VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Urteil vom 14.08.2019 - 1 K 868/19.KS.A - asyl.net: M28054
https://www.asyl.net/rsdb/M28054
Leitsatz:

Keine Verletzung rechtlichen Gehörs, wenn zur mündlichen Verhandlung keine Sprachmittlung geladen wurde:

"1. Wenn im Termin zur mündlichen Verhandlung nur Rechtsfragen zu klären sind, nach einem ablehnenden Eilbeschluss kein entgegenstehender Vortrag mehr erfolgt ist oder nicht zu erwarten ist, dass Verständigungs­schwierigkeiten auftreten, darf das Gericht davon absehen, einen Dolmetscher zu laden.

2. Weist das Gericht mit der Ladung darauf hin, dass es keinen Dolmetscher zum Termin lädt, muss der Kläger offenlegen, wenn er auch ohne die Anordnung persönlichen Erscheinens an der mündlichen Verhandlung teilnehmen will und einen Dolmetscher benötigt. Tut er dies nicht, kann im Termin Urteil ergehen, ohne dass insoweit rechtliches Gehör verletzt wird.

3. Der Kläger muss in einem Drittstaat (hier: Italien) keinen Asylantrag gestellt haben. Die Zuständigkeit des Drittstaats begründet sich, wenn der Asylbewerber dort Fingerabdrücke abgegeben hat und aus dem Drittstaat illegal über die Grenze eingereist ist.

4. Die Zustimmungsfiktion der (italienischen) Behörden wirkt konstitutiv.

5. Asylbewerber können auch in Italien ihre elementarsten Bedürfnisse befriedigen, insbesondere eine Unterkunft finden, sich ernähren und waschen ("Bett, Brot, Seife")."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Italien, mündliche Verhandlung, Dolmetscher, rechtliches Gehör, Übersetzung, Sprachmittlung, Verwaltungsgericht,
Normen: GG Art. 103 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Daran vermag auch nichts zu ändern, dass der Kläger im Termin erschienen ist, sich aber nach eigenen Angaben nicht in Deutsch oder Englisch verständigen konnte, § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG. Rechtliches Gehör des Klägers wurde nicht verletzt. Denn die fehlenden Sprachkenntnisse kamen für das Gericht u.a. deswegen überraschend, weil die Klagebegründung vom 10.04.2019 (Bl. 31 ff.) noch in einwandfreiem Deutsch erfolgte. Es war auch nicht ersichtlich, dass ihm hierbei jemand geholfen hat. Für das Gericht war daher nicht erkennbar, dass – sollte der Kläger trotz des Hinweises und der Nichtanordnung des persönlichen Erscheinens in der Ladung zum Termin erscheinen – er einen Dolmetscher benötigt. Im Übrigen zeigt die Wertung des § 17 Abs. 2 AsylG, dass der Kläger sich eigeninitiativ in den Zustand versetzen kann, der mündlichen Verhandlung zu folgen. Dieses Versäumnis ist ihm anzulasten, der Termin musste daher nicht vertagt werden. Aus diesem Grund hat das Gericht in der Ladung extra darauf hingewiesen, dass es keinen Dolmetscher lädt, weil nach dem ablehnenden Eilbeschluss kein weiterer Vortrag erfolgt ist und nur Rechtsfragen zu klären sind. Weil der Kläger nichts mehr gegen die Entscheidung des Gerichts vorgebracht hat, ist auch sein persönliches Erscheinen nicht angeordnet worden, so dass er hieraus ebenso wenig ein Recht herleiten kann. Zudem hat er sein Recht auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ja wahrgenommen. Wenn ihm aber bewusst war, dass er Verständigungsschwierigkeiten vor Gericht haben würde, hätte er selbst einen Dolmetscher oder sonstigen Übersetzer mitbringen müssen. Alternativ hätte er dies offenlegen und dem Gericht mitteilen müssen, dass er trotz fehlendem persönlichen Erscheinen und fehlendem Dolmetscher beabsichtige, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Wie dem Gericht aus vergleichbaren Fällen bekannt ist, ist es zudem durchaus nicht selten, dass dies mitgeteilt wird. Das Gericht hätte dann, wie dies in vergleichbaren Fällen geschehen ist, einen Dolmetscher zum Termin nachgeladen. Dieses Versäumnis ist ihm ebenfalls anzulasten. Mehr noch: In vergleichbaren Fällen hätte das Gericht den Dolmetscher sogar wieder abgeladen, wenn es – wie hier – kurz vor dem Termin erfahren hätte, dass der Kläger unbekannten Aufenthalts/flüchtig ist (so Bl. 70). Letztlich hätte es der Kläger andernfalls selbst in der Hand, das Verfahren zu verzögern, indem er sich absichtlich nicht meldet, aber zur mündlichen Verhandlung erscheint und in der Folge vertagt werden müsste.

Weiter ist zu fragen, was an Vortrag im Termin hätte erfolgen können, der nicht bereits gehalten worden ist. So hat der Kläger seit Einreichung der Klage ca. 4 1/2 Monate Zeit gehabt, näher vorzutragen. Das Gericht hat seine Rechtsansicht bereits Anfang Mai 2019 offengelegt, ohne dass hiergegen noch Argumente vorgebracht worden sind. Es ist nicht ersichtlich, wieso der Kläger dies nicht konnte. Dies gilt umso mehr, als ihm eine Präklusionsfrist nach § 87b VwGO bis kurz vor dem Termin gesetzt war. Hierauf ist ebenfalls keine Reaktion erfolgt, genauso wenig wie eine Entschuldigung, warum Vortrag nunmehr erst erfolgen können soll. Es ist noch nicht einmal angekündigt, dass er weiter vortragen will. [...]