VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.02.2020 - 11 S 2/20 - asyl.net: M28158
https://www.asyl.net/rsdb/M28158
Leitsatz:

einstweiliger Rechtsschutz gegen Abschiebung wenn über rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrag noch nicht entschieden wurde:

"Während der Dauer der Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG können die Durchführung des aufenthaltsrechtlichen Verwaltungsverfahrens, das durch den rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung des bisherigen oder Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels eingeleitet worden ist, und die durch die Fiktionswirkung vermittelte Rechtsposition durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO gegenüber dem Rechtsträger der unteren Ausländerbehörde gesichert werden."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Wechsel des Aufenthaltszwecks, Fiktionswirkung, Verlängerungsantrag, einstweilige Anordnung, Sicherung des Verwaltungsverfahrens, vorläufiger Rechtsschutz, Abschiebung, Zuständigkeit, Fortgeltungsfiktion,
Normen: VwGO § 123, AufenthG § 81
Auszüge:

[...]

1. Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin zielt darauf, nicht abgeschoben zu werden, bevor über zwei Anträge vom 22. November 2018 und vom 30. November 2019 auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis entschieden worden ist. [...]

Dieses gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemachte Rechtsschutzbegehren kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass sie für die Abschiebung der Antragstellerin nicht zuständig sei. Welcher Antragsgegner im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit Erfolg in Anspruch genommen werden kann, hängt von der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der für die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltstiteln zuständigen unteren Ausländerbehörde und dem für Abschiebungen zuständigen Regierungspräsidium Karlsruhe ab. Anders, als das Verwaltungsgericht annimmt, kann vorläufiger Rechtsschutz gegenüber dem Rechtsträger der unteren Ausländerbehörde auch dann erfolgreich in Anspruch genommen werden, wenn das Regierungspräsidium Karlsruhe für die Abschiebung zuständig ist, das begehrte vorläufige Absehen von der Abschiebung aber der Sicherung des Verfahrens auf Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis dient. Denn diese Entscheidung obliegt vorliegend nicht dem Regierungspräsidium Karlsruhe, sondern der unteren Ausländerbehörde. [...]

Begehrt der Ausländer einen Aufenthaltstitel, sichert eine gegenüber dem Rechtsträger der unteren Ausländerbehörde zu erlassende einstweilige Anordnung die Durchführung des auf Erteilung oder Verlängerung des Titels gerichteten Verwaltungsverfahrens vor der Ausländerbehörde. Diese Rechtsschutzform ist außerhalb des Anwendungsbereichs des § 80 Abs. 5 VwGO statthaft (§ 123 Abs. 5 VwGO), insbesondere also in Fällen, in denen der Antrag keine Fiktion gemäß § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG ausgelöst hat. Der Rechtsschutzantrag zielt in diesen Fällen auf die Verpflichtung des Rechtsträgers der Ausländerbehörde, der für die Abschiebung zuständigen Behörde (Regierungspräsidium Karlsruhe) mitzuteilen, dass die Abschiebung nicht vor rechtskräftigem Abschluss des aufenthaltsrechtlichen Verfahrens durchgeführt werden darf (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 28.08.2019 - 11 S 1794/19 -, juris Rn. 11).

Dagegen ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, wenn zugunsten des Ausländers eine der in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG vorgesehenen Fiktionen eingetreten war und die Ausländerbehörde den Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels abgelehnt hat. Mit der ablehnenden Entscheidung endet die Fiktionswirkung. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die Ablehnungsentscheidung führt in diesem Fall dazu, dass die bestehende Ausreisepflicht nicht vollzogen werden darf (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 15). Damit ist einer Abschiebung als Vollzug der Ausreisepflicht durch das Regierungspräsidium Karlsruhe die Grundlage entzogen.

b) Die Rechtsschutzform des § 123 VwGO ist allerdings auch dann statthaft, wenn der Antragsteller in den Anwendungsbereich des § 81 Abs. 4 AufenthG fällt, die Ausländerbehörde über den Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels aber noch nicht entschieden hat. Während der Dauer der Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG können die Durchführung des aufenthaltsrechtlichen Verwaltungsverfahrens, das durch den rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung des bisherigen oder Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels eingeleitet worden ist, und die durch die Fiktionswirkung vermittelte Rechtsposition durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO gegenüber dem Rechtsträger der unteren Ausländerbehörde gesichert werden. [...]