VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 20.02.2020 - 31 L 23/20.A - asyl.net: M28197
https://www.asyl.net/rsdb/M28197
Leitsatz:

Menschenrechtswidrige Haftbedingungen im Senegal:

Im Senegal entsprechen die Haftbedingungen nicht den Mindeststandards des Art. 3 EMRK. Arrest, Untersuchungshaft und Strafhaft stellen deshalb eine erniedrigende Behandlung dar, so dass bei Gefahr der Inhaftierung ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Senegal, Haftbedingungen, Haftstrafe, Freiheitsstrafe, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Haft, Untersuchungshaft, Arrest, Abschiebungsverbot, Strafhaft,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4,
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller hat jedenfalls das Bestehen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh wegen drohender Inhaftierung im Senegal glaubhaft gemacht. [...]

Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln ist bei summarischer Prüfung nicht davon auszugehen, dass die Haftbedingungen im Senegal (bereits) den Mindeststandards des Art. 3 EMRK entsprechen; Arrest, Untersuchungshaft und Strafhaft im Senegal dürften daher eine erniedrigende Behandlung darstellen. Im Hinblick auf Art. 3 EMRK müssen die Hafträume nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestimmte Bedingungen aufweisen, insbesondere müssen die vorhandenen Tageslichtverhältnisse und die vorhandenen Sanitärzellen ausreichend sein. Auch das Niveau der Beleuchtung, der Heizung, der Lüftung und der medizinischen Versorgung sowie der Ernährung der Häftlinge ist insoweit von Bedeutung. Dem Häftling muss in der Regel eine Fläche von 3 m2 in einem Gemeinschaftshaftraum ohne Berücksichtigung des Mobiliars zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 18. August 2017 - 2 BvR 424/17 - juris Rn. 37 m.w.N). Nach dem aktuellen "Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Senegal als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG (Stand: Januar 2019)" des Auswärtigen Amtes sind die Haftbedingungen in Senegal auf Grund von überfüllten Zellen, fehlender gesundheitlicher Versorgung und Hygiene sowie Mangel an Nahrungsmitteln problematisch. Weiter heißt es auf Seite 14 des Berichts: "Die Gefängnisse wurden zur Kolonialzeit errichtet. Laut Human Rights Report 2017 Senegal" des US State Department waren die Gefängnisse des Landes mit mehr als der doppelten Kapazität belegt. Nachdem mehrere Häftlinge durch Hungerstreik gegen die schlechten Haftbedingungen protestiert hätten, erhöhte die Regierung den täglichen Satz für die Versorgung der Insassen mit Nahrung und medizinischer Betreuung von 450 F CFA schrittweise auf nun 1.100 F CFA (ca. 1,68 Euro). Problematisch sind vor allem der Drogenkonsum sowie Fälle von Vergewaltigungen durch andere Inhaftierte. Inhaftierten wird gewöhnlich nicht erlaubt, sich zu beschweren bzw. Untersuchungen zu den Haftbedingungen zu beantragen. Sie unterliegen der Zensur. Sie dürfen Besuch erhalten und können ihre Religion ausüben. Die Regierung strebt eine Reform des Justizwesens und eine deutliche Verbesserung der Haftbedingungen an. Der ehemalige Justizminister Sidiki Kaba hatte die Verbesserung der Haftbedingungen und die Regulierung der Untersuchungshaft zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit erklärt. Als Teil der Reform ist die Einrichtung von landesweit vier zusätzlichen Strafgerichtskammern vorgesehen, die zu einer Verkürzung der Dauer der Untersuchungshaft beitragen soll. Ebenso ist die Einführung elektronischer Fußfesseln angekündigt, um die Zahl der Untersuchungshäftlinge zu reduzieren." Nach Vorstehendem erscheint derzeit beachtlich wahrscheinlich, dass die Ziele des ehemaligen Justizministers und die von Art. 3 EMRK geforderten Mindeststandards noch nicht erreicht worden sind. [...]