VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Beschluss vom 15.01.2020 - A 9 K 3079/19 - asyl.net: M28242
https://www.asyl.net/rsdb/M28242
Leitsatz:

Kein Flüchtlingsschutz für Person aus Nordkorea wegen Besitzes der Staatsangehörigkeit von Südkorea:

"Selbst bei Wahrunterstellung einer nordkoreanischen Staatsangehörigkeit und Flucht aus Nordkorea scheidet ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich deshalb aus, weil Nordkoreaner zugleich auch die Staatsangehörigkeit Südkoreas besitzen und den "Schutz dieses Staates" im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 2 a AsylG i.V.m. Art. 1 A Abs. 2 S. 2 GFK "in Anspruch nehmen können", weil sie dort auch nach den aktuellen Erkenntnisquellen offensichtlich Aufnahme finden und Eingliederungshilfe erhalten und dort auch vor Nachstellungen, Übergriffen oder Entführungen durch nordkoreanische Agenten offensichtlich sicher sind – soweit es sich nicht um desertierte Militärangehörige oder Funktionäre aus Nordkorea oder sonst Personen handelt, an deren Verfolgung das nordkoreanische Regime aufgrund ihres über die illegale Ausreise hinausgehenden regimekritischen Verhaltens ein individuelles besonderes Interesse hat.

Wird in der Abschiebungsandrohung lediglich Südkorea als Zielstaat genannt und wird eine Abschiebung nach Nordkorea ausweislich des Bescheids vom Bundesamt auch nicht ansatzweise in Betracht gezogen und ist dies auch sonst nicht ernsthaft zu befürchten, ist die Abschiebungsandrohung rechtmäßig, auch wenn sie nicht den Zusatz enthält, dass Nordkorea ein Staat ist, in den nicht abgeschoben werden darf (§§ 34 Abs. 1 S. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 3 S. 2 AufenthG)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Nordkorea, Südkorea, Republik Korea, Volksrepublik Korea, offensichtlich unbegründet, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, Suspensiveffekt, Staatsangehörigkeit,
Normen: AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 2a, GFK Art. 1 A Abs. 2 S. 2, AsylG § 34 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 59 Abs. 3 S. 2,
Auszüge:

[...]

11 Nach § 3 Abs. 1 Nr.2a AsylG ist ein Ausländer nämlich (unter anderem nur) dann Flüchtling im Sinne der GFK (Genfer Flüchtlingskonvention (BGBl. 1953, II, S. 559, 560), wenn er sich außerhalb des Landes (Herkunftslandes) befindet, "dessen Staatsangehörigkeit er besitzt" und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann.

12 Für den Fall, dass eine Person mehr als eine Staatsangehörigkeit hat, bezieht sich nach der Legaldefinition des Art. 1 A Abs. 2 S. 2 der GFK der Ausdruck "das Land, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt" auf "jedes der Länder, dessen Staatsangehörigkeit diese Person hat". Diese Definition ist hier wegen der Bezugnahme des § 3 Abs. 1 AsylG auf die GFK bei der Auslegung und Anwendung des § 3 AsylG ergänzend heranzuziehen.

13 Damit sind nach der GFK Personen, die zwei oder mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen, von der Anerkennung als Flüchtling wegen Nichterfüllung des Flüchtlingsbegriffs ausgeschlossen, wenn sie den Schutz eines dieser Staaten (in zumutbarer Weise) in Anspruch nehmen können.

14 Insoweit aber ist es seit Jahren nicht nur einhellige Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte (von der ersten bis zur letzten Instanz) sondern auch der Asylgerichte anderer Aufnahmestaaten in der Welt, dass Nordkoreaner keinen Anspruch auf eine Asylanerkennung nach Art.16a Abs. 1 GG bzw. auf eine Flüchtlingsanerkennung nach der GFK haben, weil sie automatisch auch die südkoreanische Staatsangehörigkeit besitzen, von Südkorea insofern auch aufgenommen werden, dort ungeachtet gewisser Diskriminierungen und Zurücksetzungen ohne existenzielle Probleme leben und arbeiten können und – sofern es sich (wie hier eigenem Vorbringen zufolge auch bei den Antragstellern) nicht um desertierte nordkoreanische Militärangehörige oder hochrangige Funktionäre der nordkoreanischen kommunistischen Partei handelt - in Südkorea auch ausreichend sicher vor Übergriffen und Nachstellungen nordkoreanischer Agenten und Spione sind (vgl. BVerwG, B. v. 01.12.2006 – 1 B 42/06 –, juris, Rn. 4 und B. v. 10.08.2006 – 1 B 41/06 u.a. -, juris, Rn. 4 ff. sowie B. v. 05.01.2006 – 1 B 99.05 - und B. v. 29.09.2005 – 1 B 98/05 -, juris, Rn. 4 ff.; ebenso SächsOVG, B. v. 17.01.2012 – A 5 A 283/09 -, juris; siehe auch VGH Bad.-Württ., U. v. 07.02.2008 – A 8 S 136/05 -, juris und B. v. 09.01.2006 – A 8 S 858/05 – und U. v. 03.06.2005 – A 8 S 199/04 und U. v. 03.06-2005 – A 8 S 139/05 -, juris; siehe ferner VG Bayreuth, U. v. 14.07.2006 – B 5 K 06.30023 -, juris und VG Stuttgart, U. v. 18.07.2005 – A 8 K 10334/05 -, juris sowie VG Sigmaringen, U. v. 13.06.2005 – A 2 K 12290/03 -, juris und VG Freiburg, U. v. 13.12.2004 – A 6 K 11017/03 -, juris; siehe auch Refugee Review Tribunal Australia, Entscheidung v. 19.10.2009 – 0905614 [2009] RRTA 1009 -, Rn. 68 ff. und Entscheidung v. 29.05.2007 – 071283924 [2007] RRTA 98 -, beide Entscheidungen im englischen Volltext veröffentlicht unter www.refworld.org; zum Standard-Ablehnungsgrund der südkoreanischen Staatsangehörigkeit in europäischen Asylverfahren von Nordkoreanern siehe auch Power, in: The Diplomat, "Why are North Korean Defectors Being Turned Away in Europe ?", v. 17.06.2015). [...]

16 Eine aktuelle Recherche zeigt zudem, dass sich an den dieser schon mehr als zehn Jahre alten Rechtsprechung zugrundeliegenden tatsächlichen Umständen offensichtlich und eindeutig auch zwischenzeitlich nichts zum Schlechteren für die Antragsteller geändert hat.

17 Nach wie vor besitzen Nordkoreaner automatisch auch die südkoreanische Staatsangehörigkeit (vgl. AA, Auskunft an BAMF, v. 09.02.2010). Nach wie vor werden nordkoreanische Flüchtling in Südkorea als Landsleute aufgenommen und angesiedelt, so dass mittlerweile ca. 30.000 registrierte Nordkoreaner in Südkorea leben (vgl. US DOS, Human Rights Report South Korea 2016, v. 03.03.2017 – unter ecoi.net Dokumenten Nr. 1394611). Schwierigkeiten bei der Integration ergeben sich allenfalls aus Vorurteilen und gewissen Diskriminierungen, die aber offenbar keinen Einfluss auf die stetig gestiegene Zahl nach Südkorea geflohener Nordkoreaner haben (ausführlich und auch mit zahlreichen Quellen und Statistiken zur Situation von nordkoreanischen Flüchtlingen weltweit in verschiedenen anderen Staaten, aber auch in Südkorea Speidel, "Die übersehenen Flüchtlinge - Entkommen aus dem isoliertesten Staat der Welt", Veröffentlichung des Nürnberger Menschenrechtszentrums v. 220.06.2016 im Internet über google; vgl. dazu auch Wikipedia, Stichwort: "Nordkoreanische Flüchtlinge in Südkorea", Stand 20.05.2019; vgl. ferner Wikipedia, Stichwort "North Korean Defectors", Stand30.12.2019; umfassend zur Situation von Nordkoreanern in Südkorea Lankov, "Bitter Taste of Paradise: North Korean Refugees in South Korea", in: Journal of East Asian Studies, Vol. 6, No. 1 (Jan.- April 2006), S. 105 -137, abstract dazu über google im Internet; siehe auch Kang, "Human Rights and Refugee Status of the North Korean Diaspora", in: North Korean Review, vol. 9, No. 2 (Fall 2013), S. 4 – 17, abstract dazu über google im Internet). Die Europäische Union fordert vor diesem Hintergrund auch von China, Flüchtlinge aus Nordkorea nicht nach Nordkorea abzuschieben, sondern ihnen die sichere Weiterreise nach Südkorea zu gewähren (vgl. Ziff.6 der Entschließung des EU-Parlaments [2012/2655CRSP)] v. 24.05.2012). Jährlich kommen noch immer mehr als 1000 neue geflohene Nordkoreaner nach Südkorea, wo sie zwar mit Umstellungs- und Anpassungsschwierigkeiten zu kämpfen haben, ihre rechtlicher, sozialer und wirtschaftlicher Status aber gesichert ist (vgl. dazu Lill, "Wo Nordkoreaner Angst vor Nordkoreanern haben", in: Handelsblatt v. 18.02.2018 – online über google; dazu auch Nichelmann, "Feinde oder Brüder? – Nordkoreanische Flüchtlinge in Südkorea", Deutschlandradio – online, v. 07.01.2016 und Koelbl, "Der lange Weg in die Freiheit", in: Der Spiegel 42/2013 v. 14.10.2013 – im Internet über google). [...]

21 Der nordkoreanische Geheimdienst ist zwar durchaus mit einer großen Zahl von Spionen auch in Südkorea aktiv und Nordkorea hat in den letzten Jahrzehnten auch eine ganze Reihe von Entführungen japanischer Staatsangehöriger bzw. willkürlich unter den Fischern an der südkoreanischen Küste herausgegriffener Südkoreaner verübt und entführt mit durch seine Agenten aus dem mit Nordkorea verbündeten China, das auch Flüchtlinge aus Nordkorea ausliefert, selbst immer wieder auch dort lebende oder im Rahmen von Zwangsarbeiterverträgen aktive Nordkoreaner nach Nordkorea. Entführungsfälle gegenüber nordkoreanischen Flüchtlingen aus Südkorea oder Nachstellungen durch Spione sind aber allenfalls gegenüber dorthin desertierten nordkoreanischen Militärangehörigen oder Angehörigen der nordkoreanischen Einheitspartei bekannt geworden. Gegenüber einfachen Flüchtlingen hingegen gibt es ganz offensichtlich diese Gefahr nicht, denn selbst in den oben genannten sehr ausführlichen Erkenntnismitteln zur Situation der Nordkoreaner in Südkorea wird eine solche Gefahr nicht einmal auch nur am Rande erwähnt, was im Falle einer auch nur ansatzweisen ernstlichen Gefahrensituation dieser Art zu erwarten wäre, da im Übrigen in diesen Berichten ausführlich auch alle vom Gewicht her weit unter einer Entführungsgefahr rangierenden anderen Nachteile sozialer, wirtschaftlicher, kultureller und emotionaler Art dargestellt werden, mit denen nordkoreanische Flüchtlinge in Südkorea zu kämpfen haben [...]. [...]