OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 17.12.2019 - 13 LB 323/18 - asyl.net: M28247
https://www.asyl.net/rsdb/M28247
Leitsatz:

Rechtswidrige Rücknahme einer Einbürgerung:

"Ein atypischer Fall im Sinne der Sollvorschrift des § 9 Abs. 1 StAG, der ausnahmsweise zu einem Ablehnungs­ermessen der Einbürgerungsbehörde führt, liegt bei der Regeleinbürgerung von Ehegatten Deutscher nicht bereits bei einer Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft (Trennung der Eheleute), sondern erst bei einem Scheitern der Ehe vor, das sich nach familienrechtlichen Vorschriften (§§ 1565 ff. BGB) bestimmt (hier verneint)."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Einbürgerung, deutscher Ehegatte, eheliche Lebensgemeinschaft, Trennung, Getrenntleben, Rücknahme, Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit, Erschleichen der Staatsangehörigkeit,
Normen: StAG § 9 Abs. 1, StAG § 35 Abs. 1, BGB § 1565, StAG § 42,
Auszüge:

[...]

25 1. Auf § 35 Abs. 1 StAG kann die mit ihm hauptsächlich verfügte Rücknahme der als Regeleinbürgerung des Ehegatten einer Deutschen gemäß § 9 Abs. 1 StAG behandelten Einbürgerung des Klägers vom 14. September 2009 nicht gestützt werden.

26 Nach dieser Norm kann eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung (1. Alt., Var. 1 bis 3) oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind (2. Alt.), erwirkt worden ist. In Betracht kommt im vorliegenden Fall nach Lage der Dinge nur eine rechtswidrige Einbürgerung (a)), die durch eine vorsätzliche Handlung des Klägers nach der 2. Alternative erwirkt wurde (b)). Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind hier jedoch nicht erfüllt. [...]

28 Wie der Senat bereits auf Seiten 2 f. seines Zulassungsbeschlusses vom 9. August 2018 - 13 LA 137/16 -, V.n.b., ausgeführt hat, ist eine (materielle) Rechtswidrigkeit dieser Einbürgerung - in Gestalt eines Ermessensfehlers (Ermessensunterschreitung, -ausfall, -nichtgebrauch) im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO, § 40 VwVfG, § 1 Abs. 1 NVwVfG nämlich nur dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt ihrer Vornahme die Ehe zwischen dem Kläger und seiner damaligen deutschen Ehefrau ... gescheitert war und damit ein atypischer Fall im Sinne der Sollvorschrift des § 9 Abs. 1 StAG vorlag, welcher zu einem der Beklagten unerkannt gebliebenen und daher von ihr nicht betätigten Ermessen geführt hat, den Kläger unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls dennoch einzubürgern oder aber dessen Einbürgerung abzulehnen (vgl. zu diesem Zusammenhang BVerwG, Urt. v. 9.9.2003 - BVerwG 1 C 6.03 -, BVerwGE 119, 17, juris Rn. 19, und v. 16.5.1983 - BVerwG 1 C 28.81 -, juris Rn. 33). [...]

32 (2) Der Senat hat im Zulassungsbeschluss vom 9. August 2018 (a.a.O., S. 4 bis 8 des Beschlussabdrucks) eingehend dargelegt, weshalb sich aus den bis zu diesem Zeitpunkt zu den Akten gelangten Erkenntnissen und Unterlagen erhebliche Bedenken gegen die Annahme der Beklagten und des Verwaltungsgerichts im Tatsächlichen ergeben, die eheliche Lebensgemeinschaft sei durch die räumliche Trennung der Ehegatten ab Mai 2009 nicht nur gelockert, sondern vollständig aufgehoben worden. [...]

45 bb) Selbst wenn man unabhängig von der Zeugenaussage der geschiedenen Ehefrau jedoch auf der Basis der verfügbaren Erkenntnisse davon ausginge, die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau sei in der Zeit ab Mai 2009 allein durch die häusliche Trennung objektiv im Sinne eines echten Getrenntlebens "unterbrochen" gewesen, so vermochte der Senat gleichwohl nicht die Überzeugung davon zu gewinnen, dass im Zeitraum bis zur Einbürgerung am 14. September 2009 die Erwartung einer Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft ausgeschlossen gewesen ist, wie dies für ein "Scheitern der Ehe" gemäß § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB aber zusätzlich erforderlich wäre, weil wegen des dann unterstellten nur kurzen Getrenntlebens seit ... 2009 im September 2009 die unwiderleglichen Vermutungen für ein Scheitern der Ehe aus § 1566 Abs. 1 (nach einem Jahr) oder Abs. 2 (nach drei Jahren) BGB noch nicht eingetreten sein konnten. Die geforderte negative Prognose ließ sich damals nicht stellen. Denn die Entwicklung der Beziehung zwischen den Eheleuten war dann noch derart "im Fluss" bzw. "in der Schwebe", dass in diesem Zeitraum noch nicht vom Ausschluss einer Versöhnungsmöglichkeit ausgegangen werden konnte. Dass mindestens einer der beiden Ehegatten die eheliche Lebensgemeinschaft absehbar nicht mehr habe wiederherstellen wollen, lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen. [...]

52 b) Zum anderen scheidet nach alledem das zusätzlich von § 35 Abs. 1, 2. Alt. StAG vorausgesetzte subjektive Element aus. Vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben zum Bestand oder zur Erwartung einer Wiederherstellung seiner ehelichen Lebensgemeinschaft mit ..., die für die Einbürgerung wesentlich (rechtserheblich) gewesen sind, hat der Kläger angesichts der oben zu a) getroffenen Feststellungen nicht zweifelsfrei gemacht.

53 Insbesondere war seine Erklärung vom 8. September 2009 (Bl. 79 der BA 001) nicht unrichtig, mit der Ehefrau unverändert "zusammenzuleben", da ungeachtet der häuslichen Trennung in dieser Phase von einem Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft auszugehen war und damit eine "Trennung" im familienrechtlichen Sinne (Getrenntleben) schon nicht vorlag (vgl. oben a)aa)). Selbst wenn sie unrichtig gewesen sein sollte, weil eine solche Trennung - unterstellt - doch gegeben war (vgl. oben a)bb)), bezog sich diese Unrichtigkeit nicht - wie aber von § 35 Abs. 1, 2. Alt. StAG verlangt - auf für die Einbürgerung wesentliche Umstände, weil die Trennung allein an einer gebundenen Einbürgerungsentscheidung nach § 9 Abs. 1 StAG nichts geändert hätte, da die Ehe mangels Nichterwartens einer Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft in dieser Phase noch nicht gescheitert war, worauf es aber nach dem oben Ausgeführten angekommen wäre. [...]