OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 12.12.2019 - 13 PA 365/19 - asyl.net: M28253
https://www.asyl.net/rsdb/M28253
Leitsatz:

Prozesskostenhilfe zur gerichtlichen Klärung der Rechtmäßigkeit einer Feststellung über missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung:

"Im Rahmen der Feststellung der Missbräuchlichkeit der Vaterschaft nach § 85a AufenthG ist die Behauptung, leiblicher Vater des anzuerkennenden Kindes zu sein, immer erheblich und muss im Zweifelsfall im Wege der Beweiserhebung durch das Gericht aufgeklärt werden."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Vaterschaftsanerkennung, Rechtsmissbrauch, Ausländerstrafrecht, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Eltern-Kind-Verhältnis, missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft, Feststellungsbescheid,
Normen: AufenthG § 85a Abs. 2 Nr. 3, VwGO § 166 Abs. 1 S. 1, ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, GG Art. 6,
Auszüge:

[...]

3 Aus dem Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 GG) folgt, dass an das Tatbestandsmerkmal der "hinreichenden Erfolgsaussichten" als Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschl. v. 14.6.2006 - 2 BvR 626/06 und 2 BvR 656/06 -, juris Rn. 11 ff.; Kammerbeschl. v. 27.11.2000 - 2 BvR 2109/99 -, juris Rn. 8; Beschl. v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 u.a. -, BVerfGE 81, 347, 357 f., juris Rn. 25 ff.). [...]

4 Es ist offen, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen einer missbräuchlichen Anerkennung der Vaterschaft im Sinne des § 85a AufenthG vorliegen.

5 § 85a Abs. 2 AufenthG begründet die gesetzliche Vermutung einer missbräuchlichen Anerkennung in den dort genannten Fällen. Sie schließen mit dem Merkmal "regelmäßig" andere Konstellationen missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen nicht aus. Bei Vorliegen einer der dort aufgeführten Tatbestände wird regelmäßig eine missbräuchliche Anerkennung vermutet; diese Vermutung ist allerdings widerlegbar. Die genannten Fälle begründen somit eine Vermutungswirkung, die aber bei atypischen Konstellationen an den allgemeinen Beweislastregelungen im Verwaltungsverfahren nichts ändert. Danach trägt die Behörde grundsätzlich die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die von ihr geplanten Maßnahmen. Das Vorliegen eines der in Absatz 2 genannten Tatbestände bewirkt jedoch eine Erleichterung der Anforderungen an den zu führenden Beweis, wenn das Verfahren keine Anhaltspunkte für mögliche abweichende Beweggründe bietet. Eine abweichende Bewertung kann sich trotz Vorliegens eines Regelfalls etwa daraus ergeben, dass der anerkennende Vater nachweisbar eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind begründet hat oder sich außerhalb einer sozial-familiären Beziehung in vergleichbarer Weise um das Kind kümmert (vgl. BT-Drs. 18/12415, S. 17).

6 § 85a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG benennt als Regelfall, dass ein Anerkennender bereits mehrfach die Anerkennung der Vaterschaft für Kinder verschiedener ausländischer Mütter erklärt hat, bei denen die rechtlichen Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt jeweils nicht vorlagen. Dabei handelt es sich um einen objektiven Anhaltspunkt, der eine missbräuchliche Motivlage ebenso indizieren kann wie ein Geständnis (vgl. BT-Drs. 18/12415, S. 18 unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 17.12.2013. - 1 BvL 6/10 -, juris, Rn. 54). Die Voraussetzungen dieser Regelvermutung sind nach der Darstellung des angefochtenen Bescheides hinsichtlich des Klägers erfüllt. Der Kläger ist dieser Sachdarstellung auch nicht entgegengetreten.

7 Er hat allerdings unter Beweisantritt behauptet, leiblicher Vater des Kindes zu sein. Nach § 1597a Abs. 5 BGB kann eine Anerkennung der Vaterschaft nicht missbräuchlich sein, wenn der Anerkennende der leibliche Vater des anzuerkennenden Kindes ist. Damit macht der Kläger einen gesetzlich geregelten Ausnahmefall von der Regelvermutung des § 85a Abs. 2 AufenthG geltend. Dieser Einwand ist mithin immer erheblich und muss im Zweifelsfall im Wege der Beweiserhebung durch das Gericht aufgeklärt werden. Das Verwaltungsgericht hat die Notwendigkeit einer solchen Beweiserhebung zutreffend zunächst auch selbst bejaht (vgl. Blatt 32 ff. der Gerichtsakte). Der Senat verkennt nicht, dass dies in der vorliegenden vergleichbaren Fallgestaltung regelmäßig zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe an die häufig mittellosen Anerkennenden führen kann. Das ist jedoch im Hinblick auf die eindeutige und bei Berücksichtigung der Wertungen des Art. 6 GG wohl auch zwingende gesetzliche Regelung hinzunehmen. [...]