EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 30.09.1997 - C-36/96 - Günaydin ./. Freistaat Bayern - asyl.net: M28271
https://www.asyl.net/rsdb/M28271
Leitsatz:

Voraussetzungen der "ordnungsgemäßen Beschäftigung":

1. Türkische Staatsangehörige erwerben die Rechte aus dem Assoziationsratsbeschluss nach dreijähriger Tätigkeit für ein und denselben Arbeitgeber in Deutschland auch dann, wenn die Tätigkeit eigentlich der Vorbereitung auf die Tätigkeit für ein Tochterunternehmen dieses Arbeitgebers in der Türkei dienen sollte.

2. Auch wenn die betroffene Person ursprünglich ausdrücklich erklärt hat, in die Türkei zurückkehren zu wollen, darf ihr die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nur dann verweigert werden, wenn ihr eine Täuschungsabsicht nachgewiesen werden kann.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Türkischer Arbeitnehmer, türkische Staatsangehörige, tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt, Aufenthaltserlaubnis, ordnungsgemäße Beschäftigung, vorsätzliche Täuschung, Rechtsmissbrauch,
Normen: ARB Nr. 1/80 Art. 6
Auszüge:

[...]

18 Da das Bundesverwaltungsgericht eine Auslegung der genannten Vorschrift für die Entscheidung des Rechtsstreits für erforderlich hält, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende beiden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Gehört ein türkischer Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG—Türkei über die Entwicklung der Assoziation dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats an und ist er dort ordnungsgemäß beschäftigt, wenn ihm die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit bei einem Arbeitgeber im Mitgliedstaat nur vorübergehend und nur zu dem Zweck erlaubt wurde, sich auf eine Tätigkeit in einem Tochterunternehmen seines Arbeitgebers in der Türkei vorzubereiten?

2. Bei Bejahung von Frage 1:

Steht einem Anspruch nach Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 der Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegen, wenn der türkische Arbeitnehmer seine Absicht, nach Vorbereitung auf die Tätigkeit in der Türkei dorthin zurückzukehren, ausdrücklich erklärt und die Ausländerbehörde seinen vorübergehenden Aufenthalt im Inland nur mit Rücksicht auf diese Erklärung gestattet hat?

Zur ersten Frage

19 Diese Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 so auszulegen ist, daß ein türkischer Staatsangehöriger dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört und dort im Sinne dieser Bestimmung ordnungsgemäß beschäftigt ist, so daß er einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat hat, obwohl ihm dort die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber nur vorübergehend und nur zu dem Zweck, sich mit einer Tätigkeit in einem Tochterunternehmen seines Arbeitgebers in der Türkei vertraut zu machen und sich auf sie vorzubereiten, erlaubt worden ist und ihm Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse nur zu diesem Zweck erteilt worden sind. [...]

28 In einem Fall wie dem des Klägers ist dem türkischen Wanderarbeitnehmer die Einreise in den betreffenden Mitgliedstaat gestattet worden, und er hat dort rechtmäßig kraft der erforderlichen nationalen Erlaubnisse ohne Unterbrechung über drei Jahre lang eine unselbständige Erwerbstätigkeit, hier die eines Diplomingenieurs, bei ein und demselben Arbeitgeber ausgeübt.

29 Für die Zugehörigkeit eines solchen Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 kommt es nach ständiger Rechtsprechung (Urteil Bozkurt, a. a. O., Randnrn. 22 f.) zunächst darauf an, ob das Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats lokalisiert werden kann oder eine hinreichend enge Verknüpfung mit diesem Gebiet aufweist, wobei insbesondere der Ort der Einstellung des türkischen Staatsangehörigen, das Gebiet, in dem oder von dem aus die Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt wurde, und die nationalen Vorschriften im Bereich des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherheit zu berücksichtigen sind.

30 Es ist unstreitig, daß diese Voraussetzungen in einer Situation wie derjenigen des Klägers erfüllt sind.

31 Des weiteren ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis steht, aufgrund dessen er für eine andere Person nach deren Weisung eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (Urteil vom selben Tag in der Rechtssache C-98/96, Ertanir, Slg. 1997, I-5197, Randnr. 43).

32 Nichts hindert nämlich einen Mitgliedstaat daran, einem türkischen. Arbeitnehmer die Einreise und den Aufenthalt nur zu dem Zweck zu erlauben, in seinem Hoheitsgebiet eine besondere Berufsausbildung, namentlich im Rahmen eines Ausbildungsvertrags, zu absolvieren.

33 Gleichwohl ist in einem Fall, wie er im Ausgangsverfahren vorliegt, der türkische Arbeitnehmer, der nach Abschluß seiner Berufsausbildung einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nachgeht, nur um sich mit einer Führungsaufgabe in einem Tochterunternehmen seines Arbeitgebers vertraut zu machen und sich auf sie vorzubereiten, als in einem normalen Arbeitsverhältnis stehend anzusehen, wenn für ihn bei der Ausübung der tatsächlichen und echten wirtschaftlichen Tätigkeit, die er für seinen Arbeitgeber nach dessen Weisung leistet, die gleichen Arbeits- und Vergütungsbedingungen gelten wie für Arbeitnehmer, die in dem betreffenden Unternehmen gleiche oder gleichartige wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, und sich seine Situation somit objektiv nicht von derjenigen dieser Arbeitnehmer unterscheidet.

34 Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist und ob der Arbeitnehmer insbesondere nicht aufgrund einer nationalen Sonderregelung eingestellt worden ist, die eigens auf seine Eingliederung in das Berufsleben abzielt, und ob er als Gegenleistung für seine Leistungen eine Vergütung in einer Höhe erhält, wie sie üblicherweise von dem betreffenden Arbeitgeber oder in der fraglichen Branche an Personen, die gleiche oder gleichartige wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben, gezahlt wird und die nicht im Rahmen eines Sonderprogramms für die Eingliederung des Betroffenen in das Erwerbsleben überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.

35 Der vorstehenden Auslegung steht in einer Situation, wie sie im Ausgangsverfahren gegeben ist, der Umstand nicht entgegen, daß dem Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat nur Aufenthalts-und/oder Arbeitserlaubnisse erteilt worden sind, die auf die vorübergehende Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber beschränkt waren und durch die dem Betroffenen ein Wechsel des Arbeitgebers in dem betreffenden Mitgliedstaat untersagt wurde.

36 Zwar berührt der Beschluß Nr. 1/80 beim gegenwärtigen Stand des Rechts in keiner Weise die Befugnis der Mitgliedstaaten, einem türkischen Staatsangehörigen die Einreise in ihr Hoheitsgebiet und die Ausübung einer ersten unselbständigen Erwerbstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht zu gestatten, und er steht auch grundsätzlich nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, die Bedingungen seiner Beschäftigung bis zum Ablauf des in Artikel 6 Absatz 1 erster Gedankenstrich dieses Beschlusses genannten einen Jahres zu regeln.

37 Jedoch kann Artikel 6 Absatz 1 nicht dahin ausgelegt werden, daß er es einem Mitgliedstaat gestattet, einseitig den Inhalt des Systems der schrittweisen Eingliederung der türkischen Staatsangehörigen in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats zu verändern, indem er einem Arbeitnehmer, dem die Einreise in sein Hoheitsgebiet gestattet worden ist und der dort über dreieinhalb Jahre lang rechtmäßig eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat, die Rechte vorenthält, die diese Vorschrift erster bis dritter Gedankenstrich ihm, abgestuft nach der Dauer seiner Beschäftigung als Arbeitnehmer, verleiht. 38 Durch eine solche Auslegung würde letztlich der Beschluß Nr. 1/80 ausgehöhlt und jeder praktischen Wirksamkeit beraubt. [...]

42 So hat der Gerichtshof im Urteil Sevince (a.a.O., Randnr. 31) ausgeführt, daß sich ein türkischer Arbeitnehmer während eines Zeitraums, in dem er infolge der aufschiebenden Wirkung einer von ihm erhobenen Klage gegen eine ihm das Aufenthaltsrecht versagende Entscheidung bis zum Ende des Rechtsstreits vorläufig in dem betreffenden Mitgliedstaat bleiben und dort eine Beschäftigung ausüben durfte, nicht in einer gesicherten und mehr als nur vorläufigen Position auf dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats befand.

43 Desgleichen hat der Gerichtshof im Urteil Kus (a.a.O.) entschieden, daß auch ein Arbeitnehmer, dem ein Aufenthaltsrecht nur aufgrund einer nationalen Regelung zuerkannt worden ist, die den Verbleib im Aufnahmeland während der Dauer des Verfahrens für die Gewährung der Aufenthaltserlaubnis gestattete, die genannte Voraussetzung nicht erfüllte, weil er das Recht, sich in diesem Land aufzuhalten und dort zu arbeiten, nur vorläufig bis zur endgültigen Entscheidung über sein Aufenthaltsrecht erworben hatte (Randnr. 13).

44 Der Gerichtshof hat dazu ausgeführt, daß Beschäftigungszeiten so lange nicht als ordnungsgemäß im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 angesehen werden können, wie nicht endgültig feststeht, daß dem Betroffenen während des fraglichen Zeitraums das Aufenthaltsrecht von Rechts wegen zustand; andernfalls würde einer Gerichtsentscheidung, durch die ihm dieses Recht endgültig abgesprochen wird, jede Bedeutung genommen und es ihm damit ermöglicht, für sich die in Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vorgesehenen Rechte während eines Zeitraums zu begründen, in dem er die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllte (Urteil Kus, a.a.O., Randnr. 16).

45 Schließlich hat der Gerichtshof im Urteil vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-285/95 (Kol, Slg. 1997, I-3069, Randnr. 27) entschieden, daß Beschäftigungszeiten, die ein türkischer Arbeitnehmer während der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt hat, die ihm nur aufgrund einer Täuschung der Behörden durch ihn erteilt worden ist, nicht auf einer gesicherten Position beruhen, sondern als in einer nur vorläufigen Position zurückgelegt zu betrachten sind, da ihm während dieser Zeiten von Rechts wegen kein Aufenthaltsrecht zustand.

46 Dagegen ist in einem Fall, wie er im Ausgangsverfahren vorliegt, festzustellen, daß das Aufenthaltsrecht des türkischen Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat in keiner Weise streitig war und daß er sich nicht in einer Situation befand, die nur vorläufig war und jederzeit hätte in Frage gestellt werden können, denn ihm war im November 1986 gestattet worden, in diesem Staat ohne Unterbrechung bis zum 30. Juni 1990 eine tatsächliche und echte unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben, so daß seine Rechtsstellung während dieses gesamten Zeitraums gesichert war. [...]

48 Hingegen läßt sich nicht einwenden, daß der betroffene Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat nur befristete und mit Bedingungen versehene Aufenthalts-und/oder Arbeitserlaubnisse erhalten habe.

49 Nach ständiger Rechtsprechung stehen den türkischen Arbeitnehmern die durch Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte nämlich unabhängig davon zu, daß die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ein spezielles Verwaltungsdokument wie eine Arbeits- oder eine Aufenthaltserlaubnis ausstellen (vgl. in diesem Sinn Urteil Bozkurt, a.a.O., Randnrn. 29 f.). [...]

51 Ferner steht dieser Auslegung in einem Fall, wie er dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, auch nicht der Umstand entgegen, daß dem Arbeitnehmer die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse zu dem genau bestimmten Zweck erteilt worden sind, es ihm zu ermöglichen, seine beruflichen Kenntnisse in einem Unternehmen eines Mitgliedstaats zu vertiefen, um später Aufgaben in einem Tochterunternehmen seines Arbeitgebers in der Türkei wahrzunehmen.

52 Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 macht nämlich die Zuerkennung der in ihm vorgesehenen Rechte der türkischen Arbeitnehmer nicht davon abhängig, aus welchem Grund diesen Arbeitnehmern ursprünglich die Einreise, eine Arbeitstätigkeit und der Aufenthalt gestattet worden sind (Urteile Kus, a.a.O., Randnrn. 21 bis 23, und Eroglu, a.a.O., Randnr. 22). [...]

55 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 so auszulegen ist, daß ein türkischer Staatsangehöriger, der in einem Mitgliedstaat ohne Unterbrechung über drei Jahre lang rechtmäßig eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit im Dienst ein und desselben Arbeitgebers ausgeübt hat und dessen berufliche Situation sich objektiv nicht von der anderer von demselben Arbeitgeber oder in der betreffenden Branche beschäftigter Arbeitnehmer unterscheidet, die gleiche oder gleichartige Tätigkeiten ausüben, im Sinne dieser Bestimmung dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehört und dort ordnungsgemäß beschäftigt ist. Ein solcher türkischer Staatsangehöriger hat somit einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat, obwohl ihm dort die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber nur vorübergehend und nur zu dem Zweck, sich mit einer Tätigkeit in einem Tochterunternehmen seines Arbeitgebers in der Türkei vertraut zu machen und sich auf sie vorzubereiten, erlaubt worden ist und ihm Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse nur zu diesem Zweck erteilt worden sind.

Zur zweiten Frage

56 Wie sich aus der Begründung des Vorlagebeschlusses ergibt, geht diese Frage des Bundesverwaltungsgerichts im wesentlichen dahin, ob einem türkischen Arbeitnehmer die Inanspruchnahme der Rechte aus Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verwehrt sein kann, wenn er seinen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat verlängern will, obwohl er ausdrücklich erklärt hatte, daß er mit der Beschränkung seines Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat einverstanden sei und nach Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat, die der Vervollkommung seiner beruflichen Fähigkeiten dienen sollte, in die Türkei zurückkehren wolle.

57 Hierzu ist erstens festzustellen, daß einem türkischen Arbeitnehmer wie dem Kläger die Inanspruchnahme der Rechte aus dem Beschluß Nr. 1/80 nicht allein deshalb verwehrt sein kann, weil er sich im Aufnahmemitgliedstaat auf Artikel 6 Absatz 1 dieses Beschlusses beruft, obwohl er sich zunächst mit der Beschränkung seiner Aufenthaltserlaubnis in diesem Mitgliedstaat einverstanden erklärt hatte (siehe Randnr. 54 dieses Urteils und Urteil Ertanir, a.a.O., Randnrn. 58 bis 61). 58 Zweitens kann ein auf Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 gestützter Antrag grundsätzlich nicht deshalb als rechtsmißbräuchlich angesehen werden, weil der betroffene Arbeitnehmer in der Vergangenheit erklärt hatte, daß er den Aufnahmemitgliedstaat nach seiner Vorbereitung auf eine Tätigkeit, die er in seinem Herkunftsland ausüben wolle, zu verlassen gedenke.

59 Wie die Kommission ausgeführt hat, ist es durchaus denkbar, daß der Kläger zunächst die feste Absicht hatte, nach Ausübung einer mehrjährigen unselbständigen Erwerbstätigkeit in Deutschland in die Türkei zurückzukehren, ihn dann aber legitime neue Umstände zu einer Meinungsänderung bewogen. Hierzu hat der Kläger vorgetragen, zum einen habe das Tochterunternehmen seines Arbeitgebers in der Türkei diesem im Januar 1991 mitgeteilt, daß wegen der damaligen Situation in der Türkei seine Übernahme nicht möglich sei, und zum anderen lege das Siemenswerk in Amberg größten Wert darauf, ihn als besonders wertvollen Mitarbeiter zu behalten, zumal die zuständigen deutschen Behörden sich schon zu einer Verlängerung seiner Arbeitserlaubnis bereit erklärt hätten.

60 Unter diesen Umständen kann dem türkischen Arbeitnehmer die Inanspruchnahme der Rechte aus Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nur dann verwehrt sein, wenn das vorlegende Gericht feststellen sollte, daß er die Angabe, den Aufnahmemitgliedstaat nach einer bestimmten Zeit verlassen zu wollen, nur zu dem Zweck gemacht hat, die zuständigen Behörden zu veranlassen, ihm zu Unrecht die erforderlichen Erlaubnisse zu erteilen.

61 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, daß es keinen Rechtsmißbrauch darstellt, wenn ein türkischer Arbeitnehmer seinen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat verlängern will, obwohl er sich ausdrücklich mit der Beschränkung seines Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat einverstanden erklärt hatte. Durch den Umstand, daß dieser Arbeitnehmer erklärt hatte, nach Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat, die der Vervollkommnung seiner beruflichen Fähigkeiten dienen sollte, in die Türkei zurückkehren zu wollen, könnte ihm die Inanspruchnahme der Rechte aus Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nur dann verwehrt sein, wenn das vorlegende Gericht feststellen sollte, daß er diese Erklärung nur zu dem Zweck abgegeben hat, unberechtigterweise die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse im Aufnahmemitgliedstaat zu erlangen. [...]