Kein Flüchtlingsschutz wegen drohender religiöser Verfolgung in Marokko nach Konversion zum Christentum:
1. Die Verfolgung zum Christentum konvertierter Muslime erreicht in Marokko im allgemeinen kein asylrelevantes Ausmaß, sofern die betroffene Person nicht missionarisch tätig ist.
2. Etwaige behördliche Diskriminierungen erreichen kein asylrelevantes Maß .
(Leitsätze der Redaktion, anders aber VG Hannover, Urteil vom 19.09.2018 - 3 A 11422/17 - asyl.net: M26628)
[...]
3. Diese Auskunftslage zugrunde gelegt droht dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Marokko nicht beachtlich wahrscheinlich eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Die Situation der vom Islam zum Christentum übergetretenen marokkanischen Staatsangehörigen, die ihren Glauben öffentlich, insbesondere durch Gottesdienstbesuche in Kirchen, ausüben wollen, die aber nicht missionarisch tätig sind, stellt sich zwar problematisch dar. Behördliche Repressionen sind nicht auszuschließen. Eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden, lässt sich jedoch nicht zur nötigen Überzeugung des Senats feststellen. [...]
a. Der Abfall vom Islam ist nach dem marokkanischen Strafgesetzbuch nicht strafbewehrt. Eine Strafandrohung für Apostasie lässt sich auch dem islamischem Recht nicht mit der nötigen Gewissheit entnehmen. Die Fatwa des High Council of Ulema, die sich für die Todesstrafe im Falle einer Apostasie ausspricht, hat nach den ganz überwiegenden Auskünften keine rechtlich bindende Wirkung und es sind keine Fälle bekannt, in denen die Todesstrafe gegen Apostaten verhängt worden ist. Zudem hat der Rat die fragliche Fatwa nach verschiedenen Berichten selbst relativiert (vgl. IRB 2018, S. 1 und 2; US DOS 29. Mai 2018, S. 5).
Sonstige staatliche Sanktionen, die allein an eine Apostasie als solche anknüpfen, sind ebenfalls nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellbar. Im Gegenteil ist mehreren Auskünften übereinstimmend zu entnehmen, dass vom Islam zum Christentum übergetretene marokkanische Staatsangehörige weitestgehend von staatlichen Reaktionen unbehelligt bleiben, solange sie den neu angenommen Glauben im privaten Bereich ausüben (vgl. IRB 2018, S. 4; Landinfo, S. 5; Lagebericht AA vom 21. Dezember 2018, S. 12).
b. Auch mit Blick auf die von der von der Religionsfreiheit geschützte öffentliche Glaubensausübung lässt sich jedenfalls bei Personen in der Situation des Klägers, für die die öffentliche Glaubensausübung im Wesentlichen im Besuch von Gottesdiensten in Kirchengebäuden besteht, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr schwerwiegender Verletzung grundlegender Menschenrechte im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG feststellen.
aa. Dem Kläger droht nicht hinreichend wahrscheinlich eine Strafverfolgung oder Freiheitsentziehung durch marokkanische Behörden. Die Ausübung einer anderen Religion als der Islam als Staatsreligion ist in Marokko nicht unter Strafe gestellt. Strafrechtlich relevant nach Art. 220 des marokkanischen Strafgesetzbuchs ist ein Verhalten (erst) dann, wenn es darauf zielt, den Glauben eines Muslims zu erschüttern oder ihn zu einer anderen Religion zu konvertieren. Missionarische Tätigkeiten sind indes nicht Bestandteil der Glaubensausübung des Klägers.
Unbeschadet dieser Gesetzeslage sind auch nach der Praxis marokkanischer Behörden keine polizeilichen Verhaftungen marokkanischer Christen in der Situation des Klägers beachtlich wahrscheinlich. Zwar existieren Auskünfte, die über solche polizeilichen Maßnahmen berichten. Hier handelt es sich allerdings um Einzelfälle, für die ohne Hinzutreten besonderer, jedenfalls beim Kläger nicht gegebener Umstände kein reales Risiko besteht. Die Auskünfte zu Verhaftungen marokkanischer Konvertiten enthalten ganz überwiegend keine genauen und belastbaren Angaben zu Häufigkeit und Anzahl der betroffenen Personen. Ebenfalls fehlen nachvollziehbare Beschreibungen konkreter Fälle. Vielmehr erschöpfen sich die Erkenntnisse in pauschalen Hinweisen auf "einige" ("some") (vgl. USDOS 29. Mai 2018, S. 1 und 5) oder "mehrere" ("several") Betroffene, "zum Beispiel" ("for instance") Christen (vgl. HI 2018, S. 6).
Lediglich eine Auskunft weist konkret auf zwei Personen hin, die von der Polizei festgehalten worden seien, gegen die aber offenbar nach einer Beschwerde zum Justizminister keine weiteren Ermittlungen eingeleitet wurden (Vgl. IRB 2018, S. 3).
Den Ausführungen des internationalen überkonfessionellen christlichen Hilfswerks evangelikaler Prägung "Open Doors" (so die Beschreibung im Wikipedia-Eintrag der Organisation (https://de.wikipedia.org/wiki/Open_Doors ), wonach Christen muslimischer Herkunft in Marokko "regelmäßig festgehalten und über ihre Motive und Kontakte befragt" werden, folgt der Senat nicht. Hierbei handelt es sich um eine Behauptung ohne Beleg. Weder werden konkrete Fälle beschrieben noch Quellen angegeben, auf die sich die Einschätzung stützt (vgl. Open Doors, S. 2).
Dass freiheitsentziehende polizeiliche Maßnahmen gegenüber marokkanischen Konvertiten mit regelmäßiger Häufigkeit erfolgen, wird durch keine andere Auskunft bestätigt. Schließlich geht die Lagebeurteilung von Open Doors offenbar von der Prämisse aus, der Glaubenswechsel vom Islam zum christlichen Glauben sei illegal und könne nach marokkanischem Recht bestraft werden (vgl. Open Doors, S. 8).
Dies ist nach den obigen Ausführungen gerade nicht der Fall.
Des Weiteren weisen unterschiedliche Auskünfte darauf hin, dass die Anzahl von Razzien und Verhaftungen rückläufig sei bzw. dass es fast keine Verhaftungen mehr gebe (Vgl. Landinfo, S. 5, und IRB 2018, S. 5).
Diese Tendenz entspricht auch anderen Erkenntnissen, wonach der marokkanische König einen toleranten Islam vertritt und den interreligiösen Dialog fördert (vgl. Deutschlandfunk: Marokko. Des Königs neuer Glaube, 6. September 2017) und christliche Konvertiten von einem gewissen Klima der Toleranz profitieren (vgl. Le Monde: Au Maroc, la vie cachée des convertis au protestantisme évangélique, 29. März 2019).
So war im März 2019 der Papst zu Besuch in Marokko und feierte dort eine Messe mit Christen (vgl. Süddeutsche.de: Papst Franziskus ruft in Marokko zu mehr Dialog auf, 30. März 2019; Süddeutsche.de: Papst Franziskus feiert Messe mit Christen in Marokko, 31. März 2019), und es wird z. B. auch über die Gründung eines gemeinsamen Ausschusses mit dem Vatikan zur Förderung des interreligiösen Dialogs, über ein Treffen zwischen dem marokkanischen Nationalen Rat für Menschenrechte mit christlichen Gruppen und über eine Konferenz von Christen, Shia-Muslimen und Baha'i, die mehr Schutz für religiöse Minderheiten forderte und die von Behörden nicht behindert wurde, berichtet (USDOS 29. Mai 2018, S. 9 und 10).
Neben diesen jüngsten Entwicklungen ist ferner zu berücksichtigen, dass die in den obigen Auskünften berichteten Verhaftungen zum Teil einen Zusammenhang mit dem betroffenen Konvertiten vorgeworfenen missionarischen Tätigkeiten aufweisen (vgl. HI 2018, S. 6), wobei es anderen Angaben zufolge auch bei missionarischen Aktivitäten relativ selten zu Gerichtsverfahren kommen soll (vgl. Landinfo, S. 3).
Über ein erhöhtes Risiko behördlicher Reaktionen wird schließlich auch im Falle einer aktiven und militanten Leugnung des Islams oder Kritik an ihm berichtet (vgl. Landinfo, S. 5; HI 2018, S. 7).
Diese Verhaltensweisen haben einen Bezug zu den Straftatbeständen des Art. 220 des marokkanischen Strafgesetzbuchs. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass der betroffene Konvertit nicht nur seine Religion gewechselt und seinen neuen Glauben (öffentlich) praktiziert hat, sondern dabei zusätzlich missioniert oder den Islam als Staatsreligion öffentlich kritisiert. (Nur) Für solche Fälle liegen auch substantiierte Informationen mit konkreten Angaben zu den betroffenen Personen und den Hintergründen vor: Nach dem Bericht von Humanists International wurde im Mai 2013 der Gründer des Rates der marokkanischen Ex-Muslime, der Atheist Imad Iddine Habib, von Behörden belästigt. In 2012 wurde Khalid Gueddar, ein bekannter Karikaturist, wegen Beleidigung des Islams verhaftet. In 2012 wurde der Atheist Zakaria Zine Al-Abidine, ebenfalls ein Karikaturist, zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren wegen bestimmter Kommentare auf seiner Facebook-Seite zum Propheten Mohammed verurteilt. Schließlich wurde dem Atheist und Blogger Kacem El Ghazzali - wenngleich wohl nicht seitens marokkanischen Behörden - vorgeworfen, gegen Art. 220 des marokkanischen Strafgesetzbuch verstoßen zu haben, nachdem er in einem Fernsehinterview über Atheismus gesprochen hat (Vgl. HI 2018, S. 7).
In diesen Fällen waren stets solche Personen von staatlicher (Straf-) Verfolgung betroffen, die aus der Masse der marokkanischen Apostaten herausragen, weil sie eine öffentliche Funktion wahrgenommen haben oder mit ihrer (nicht-) religiösen Überzeugung durch Karikaturen, Blogs, soziale Medien oder Präsenz im Fernsehen in hervorgehobener Weise in die Öffentlichkeit getreten sind.
Vergleichbare Umstände, die begründete Anhaltspunkte für eine solche gesteigerte Gefahrenlage geben könnten, lassen sich im Streitfall für den Kläger nicht feststellen. Über die Konversion vom Islam zum Christentum als solche und die öffentliche Glaubensausübung im Rahmen öffentlicher Gottesdienste hinaus hat der Kläger keine exponierten religiösen Aktivitäten, namentlich solche, die eine Kritik am Islam oder missionarische Tätigkeiten umfassen, vorgetragen.
Nach alledem sind für Personen in der Situation des Klägers allenfalls einzelne Fälle von Verhaftungen nachvollziehbar, die ihrer Größenordnung nach auf einige oder mehrere Personen beschränkt sind. Auch unterstellt, dass nur ein geringer Teil der konvertierten Christen in Marokko von insgesamt zwischen (knapp) 1.000 bis 8.000 Personen den Glauben öffentlich ausüben, lässt sich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Kläger, einer Strafverfolgung oder Freiheitsentziehung ausgesetzt zu sein, nicht mit der nötigen Gewissheit feststellen (vgl. zu der im Rahmen der Gefahrenprognose erforderlichen, an eine Gruppenverfolgung anlehnende Relationsbetrachtung zwischen der Anzahl der Personen in der Situation des Klägers und der Häufigkeit von Verfolgungsakten BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - , juris, Rn. 33 und 41).
bb. Eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG droht dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unter dem Gesichtspunkt physischer Gewalt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung durch marokkanische Behörden. Dabei verkennt der Senat nicht, dass marokkanische Behörden nach verschiedenen Auskünften die freie Ausübung der Religion behindern und einschränken. Berichtet wird - wie oben unter A. II. 3. b. dargestellt - über Überwachung von Christen durch Telefonanrufe und Hausbesuche sowie über Razzien bei christlichen Gruppen. Ebenso werden Polizeikontrollen vor Kirchengebäuden mitgeteilt sowie verbale Warnungen und Drohungen durch die Polizei, worauf auch der Kläger in seinen Befragungen im erstinstanzlichen Verfahren in Bezug auf seine eigene Person hingewiesen hat (Vgl. USDOS 29. Mai 2018, S. 7; IRB 2018, S. 3; HI 2018, S. 6).
(1) Solche Eingriffe drohen dem Kläger allerdings nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit. Konkrete Angaben zu Anzahl und Häufigkeit derartiger Maßnahmen beinhalten die betreffenden Auskünfte nicht. Zudem stehen den vorgenannten Informationen andere, differenzierende Erkenntnisse gegenüber, wonach marokkanische Christen eine unterschiedliche Behandlung erfahren würden. So sei teilweise zwar von christlichen Gruppen über polizeiliche Repressionen berichtet worden, teilweise seien aber auch keine Beeinträchtigungen bei der Glaubensausübung mitgeteilt worden. Darüber hinaus hätten christliche Gruppen angegeben, mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Sie würden die Behörden über größere Veranstaltungen informieren und ihnen sei Schutz zur Verfügung gestellt worden. Schließlich verweisen Quellen (allgemein) darauf, dass eine Konversion in Marokko keine rechtlichen, sondern primär soziale Konsequenzen habe (vgl. USDOS 29. Mai 2018, S. 7; IRB 2018, S. 4; Landinfo, S. 2 und 4).
Bei einer wertenden Gesamtschau der unterschiedlichen Erkenntnisse bietet sich dem Senat ein differenziertes Bild. Es kann zu den dargestellten Repressalien gegenüber konvertierten Christen kommen - ebenso können sie auch ausbleiben. Belastbare Anhaltspunkte für die Annahme, dass über Einzelfälle hinaus ein überwiegender oder zumindest erheblicher Anteil der zwischen (knapp) 1.000 bis 8.000 vom Islam zum Christentum konvertierten marokkanischen Staatsangehörigen im Falle einer öffentlichen Glaubensausübung staatlichen Schikanen ausgesetzt wäre, existieren nicht. Solche Maßnahmen sind nicht auszuschließen, aber eben auch nicht beachtlich wahrscheinlich.
Soweit das Verwaltungsgericht seine gegenteilige Auffassung u.a. auf die Erwägung stützt, der Umstand, dass sich nur wenige Berichte über staatliche Maßnahmen gegen christliche Konvertiten fänden, beruhe ganz wesentlich darauf, dass sich diese angesichts einer realen Gefahr, solchen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, ihren Glauben nicht öffentlich ausübten, bleibt dies letztlich spekulativ und wird dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht gerecht. Vor allem lässt die Argumentation aber außer Betracht, dass es mehrere Auskünfte gibt, die (jedenfalls auch) auf eine von staatlichen Eingriffen unbehelligte Glaubensausübung hinweisen. Ferner wird ausgeblendet, dass nach verschiedenen Erkenntnissen die Ursache für die regelmäßige Ausübung des christlichen Glaubens nur im privaten Bereich nicht allein die vom Verwaltungsgericht (ausschließlich) angeführte Sorge vor staatlichen Repressionen ist. Grund hierfür ist auch - und bestimmten Auskünften zufolge sogar in erster Linie - der gesellschaftliche Druck und die sozialen Folgen, die dem Betroffenen aus einem Bekanntwerden des Glaubensübertritts in der Familie, im Freundeskreis und am Arbeitsplatz erwachsen können (vgl. zu den sozialen Folgen aus "Hauptgrund": IRB 2018, S. 4 und 5; USDOS 29. Mai 2018, S. 10).
(2) Ungeachtet dessen erreichen die in Rede stehenden Repressionen auch ihrer Schwere nach nicht den Grad einer asylerheblichen schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung. Keine der in Frage kommenden Maßnahmen besteht in der Ausübung (physischer) Gewalt oder in einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung.
Wann eine solche Behandlung vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss ein Minimum an Schwere erreichen, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist jedoch, in der Natur der Sache, relativ. Kriterien hierfür sind aus allen Umständen des Falles abzuleiten. Hierzu gehören etwa die Art der Behandlung oder Bestrafung und der Zusammenhang, in dem sie erfolgte, die Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihre zeitliche Dauer, ihre physischen und geistigen Wirkungen, und in einigen Fällen Geschlecht, Alter u. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. EGMR, Urteil vom 7. Juli 1989 - 1/1989/161/217 -, NJW 1990, 2183, 2186 (Rn. 100); Bergmann/Dienelt/Bergmann, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 4 AsylG, Rn. 10).
Von einer unmenschlichen Behandlung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein bestimmtes Verhalten vorsätzlich für mehrere Stunden am Stück angewandt wurde und entweder eine körperliche Verletzung oder intensive physische oder psychische Leiden verursacht hat. Als Standardfall lässt sich die Misshandlung in Form von Schlägen herausfiltern, wobei es nicht um die Erzwingung einer Aussage und damit nicht um Folter geht. Erniedrigend ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn dies nicht gewollt war, ist die Feststellung einer erniedrigenden Behandlung nicht zwingend ausgeschlossen (vgl. Kluth, in: BeckOK zum Ausländerrecht, Stand 1. November 2018, § 4 AsylG, Rn. 15 f. m.w.N.).
Keine der nach den Erkenntnissen in Frage kommenden Maßnahmen weist die danach erforderliche Schwere auf. Dies gilt auch für die in Rede stehende Überwachung, für Razzien bei religiösen Versammlungen, für polizeiliche Kontrollen einschließlich der Aufnahme der Personalien oder für etwaige verbale Bedrohungen seitens der Polizei. Dass es bei den polizeilichen Repressionen nicht zu Handlungen kommt, die als schwerwiegende Menschenrechtsverletzung zu qualifizieren sind, deckt sich mit den Schilderungen des Klägers zu den ihm zweimal widerfahrenen Polizeikontrollen beim Besuch einer Kirche in Casablanca. Über die Feststellung der Personalien und Warnungen der Polizei für den Wiederholungsfall hinaus ist es nach seinen Angaben nicht zur Anwendung von Gewalt oder zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gekommen.
cc. Eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung ist schließlich nicht mit Blick auf die familien- und personenstandsrechtliche Behandlung von zum Christentum konvertierten marokkanischen Staatsangehörigen erkennbar. Nach den bereits dargestellten Erkenntnissen sind zum Christentum übergetretene Marokkaner gezwungen, nach den Vorgaben islamischen Rechts zu heiraten. Gleiches gilt für Beerdigungen und im Erbrecht. Durch diese Einschränkungen ist indes eine Verletzung der Rechtsgüter Leib, Leben oder Freiheit oder eine Strafverfolgung bzw. unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nicht zu besorgen.
dd. Die nach den zur Verfügung stehenden Auskünften möglichen, durchaus gravierenden sozialen Folgen in Form einer Ächtung eines konvertierten marokkanischen Staatsangehörigen durch Familie, Freunde oder am Arbeitsplatz gehen nicht vom marokkanischen Staat als tauglicher "Verfolger" im Sinne des § 3c Nr. 1 AsylG aus. Anhaltspunkte dafür, dass die marokkanischen Behörden nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung, die von einem nichtstaatlichen Akteur ausgeht, zu bieten (§ 3c Nr. 3 AsylG), bestehen ebenso wenig wie dafür, dass es dem Kläger nicht möglich wäre, insoweit internen Schutz nach § 3e Abs. 1 AsylG zu erlangen.
4. Dem Kläger drohen im Falle einer Rückkehr nach Marokko keine Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, und die so gravierend ist, dass er davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 der Vorschrift beschriebenen Weise betroffen ist.
Bei der Prüfung einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG sind zunächst alle in Betracht kommenden Eingriffshandlungen in den Blick zu nehmen, und zwar Menschenrechtsverletzungen wie sonstige schwerwiegende Repressalien, Diskriminierungen, Nachteile und Beeinträchtigungen. Es dürfen Handlungen nicht vorschnell deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nur eine Diskriminierung, aber keine Menschenrechtsverletzung darstellen.
Führen - wie hier - die einzelnen in Betracht kommenden Eingriffshandlungen nicht zu einer Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, ist weiter zu prüfen, ob die Summe der nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu berücksichtigenden Eingriffe zu einer ähnlich schweren Rechtsverletzung beim Betroffenen führt wie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Nr. 1 der Vorschrift (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - , juris, Rn. 37).
Die gebotene Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A GFK (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Neuauflage Dezember 2011, Rn. 53). In die Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z. B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG entspricht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - , juris, Rn. 36).
Im Streitfall kann anhand einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Eingriffshandlungen (vgl. A. II. 3. b.) allerdings schon deswegen eine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht angenommen werden, weil es (auch bzw. erst recht) der insoweit vorausgesetzten Kumulation mehrerer staatlicher Maßnahmen an der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit fehlt. Drohen dem Kläger (außer der familienrechtlichen Weiterbehandlung als Muslim) schon die einzelnen Maßnahmen nicht ausreichend wahrscheinlich, ist es noch unwahrscheinlicher, dass mehrere solcher Maßnahmen kumulieren. Ungeachtet dessen führt die Gesamtbetrachtung auch in qualitativer Hinsicht nicht auf eine Betroffenheit des Klägers, die einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG gleichkommt. Bei einer Summation der möglichen staatlichen Diskriminierungen und Schikanen (polizeiliche Kontrollen, Überwachungen und Drohungen, familien- bzw. personenstandsrechtliche Diskriminierungen) ist der Kläger nicht derart gravierend betroffen, wie er es wäre, wenn er einer nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG maßgeblichen Verletzung der Rechtsgüter Leben, Leib oder Freiheit bzw. einer Strafverfolgung oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt wäre.
B. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 AsylG oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG. Zur Begründung wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts verwiesen. Insoweit greift auch der Vortrag des Klägers nicht durch, er sei wegen eines ihm - seiner Ansicht nach zu Unrecht - angelasteten Autounfalls durch ein marokkanisches Strafgericht zu einer Geldstrafe verurteilt worden, die er nicht bezahlt habe, so dass ihm bei Wiedereinreise nach Marokko eine sofortige Verhaftung drohe. [...]