VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 05.03.2019 - 27 K 9058/17.A - asyl.net: M28362
https://www.asyl.net/rsdb/M28362
Leitsatz:

Klageabweisung, da älteren Mädchen der Edo in Nigeria keine Genitalverstümmelung droht:

1. Genitalverstümmelung wird bei den Edo in Nigeria in der Regel in den ersten Lebenswochen vorgenommen und ist danach, zumal ohne Zustimmung der Eltern, unwahrscheinlich.

2. Selbst wenn sie droht, besteht eine interne Fluchtalternative in den Großstädten Nigerias.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Nigeria, Genitalverstümmelung, Edo, interner Schutz, interne Fluchtalternative,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3e
Auszüge:

[...]

Das Gericht ist indes in der Sache nicht davon überzeugt, dass den Klägerinnen zu 3. und 4. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr nach Nigeria eine Genitalverstümmelung droht. Zwar gehören die Eltern der Klägerinnen ihren Angaben zufolge der Volksgruppe der Edo an, bei denen nach den vorliegenden Erkenntnissen die weibliche Genitalbeschneidung praktiziert wird. Allerdings liegt das Beschneidungsalter bei der Volksgruppe der Edo nach den vorliegenden Auskünften in den ersten Lebenswochen zwischen dem 7. und 14. Tag nach der Geburt. Nach den vorliegenden Auskünften hat die Beschneidung im Pubertätsalter in den letzten Jahren rapide abgenommen und eine Beschneidung im Erwachsenenalter findet gar nicht bzw. nur noch in Einzelfällen statt (vgl. zum Beschneidungsalter etwa: Institut für Afrika-Kunde, Auskunft an das VG Aachen vom 21. August 2002, abrufbar unter: www.ecoi.net/file_upload/1329_1203070849_mk618-2601nig.pdf).

Die Klägerin zu 3. ist aber mittlerweile fast 5 Jahre alt, die Klägerin zu 4. fast 2 Jahre alt.

Gegen eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Genitalbeschneidung spricht zudem, dass eine Beschneidung minderjähriger Mädchen in der Regel mit Zustimmung oder auf Veranlassung der Eltern erfolgt (vgl. ACCORD, ecoi.net-Zusammenfassung: Weibliche Genitalverstümmelung in Nigeria, abrufbar unter: www.ecoi.net/de/dokument/1185811.html).

Die Kläger zu 1. und 2. haben sich in der mündlichen Verhandlung jedoch übereinstimmend gegen eine Beschneidung der Klägerinnen zu 3. und 4. ausgesprochen. Es ist einer Familie mit zwei Elternteilen auch möglich und in jeder Hinsicht zumutbar, sich gegen möglichen Zwang durch ihre Familie(n) zur Wehr zu setzen und ihr Kind zu schützen. [...]

Unabhängig von alldem gilt für alle Kläger selbständig tragend: Selbst wenn unterstellt wird, dass die Kläger nicht in ihren Heimatort zurückkehren können, weil entweder dem Kläger zu 1. Verfolgung durch seine Familie oder den Klägerinnen zu 3. und 4. eine Genitalverstümmelung droht, steht den Klägern schon deshalb kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, weil für sie eine interne Schutzmöglichkeit i.S. des § 3e AsylG existiert. Es ist den Klägern möglich, sich einer etwaigen Bedrohung in ihrer Heimatregion dadurch zu entziehen, dass sie ihren Aufenthalt an einen anderen, ausreichend weit von seiner Heimatstadt entfernten Ort verlagern. Angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten Nigerias, einem Land mit ca. 200 Millionen Einwohnern und mehreren Millionenstädten (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10. Dezember 2018 (Stand: Oktober 2018), S. 6; de.wikipedia.org/wiki/Nigeria: Einer Schätzung von 2015 zufolge soll es in Nigeria 20 Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern, darunter zehn Millionenstädte. Die mit Abstand bevölkerungsreichste Agglomeration ist Lagos mit 13,340 Millionen Einwohnern. Weitere Städte sind Kano (4.030.000 Einwohner), Ibadan (3.060.000 Einw.), Abuja (2.710.000 Einw.) und Port Harcourt (2.010.000 Einw.), das weder über ein Meldewesen verfügt, so dass es keine Möglichkeit gibt, bei einer zuständigen Behörde nach der Wohnanschrift einer Person zu fragen (vgl. den Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10. Dezember 2018 (Stand: Oktober 2018), S. 24; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 14. Mai 2014 an das Bundesamt; Bundesrepublik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Nigeria, Gesamtaktualisierung am 2. September 2016, letzte Kurzinformation vom 8. Mai 2017, S. 14.ff.), noch ein zentrales Fahndungssystem besitzt (vgl. Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 21. Juni 2017 an das Bundesamt (zu Anfragen vom 17. März 2017 und 10. April 2017); Bundesrepublik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Nigeria, Gesamtaktualisierung am 2. September 2016, letzte Kurzinformation vom 8. Mai 2017, S. 61), ist die Wahrscheinlichkeit, einen Menschen in einem anderen Landesteil außerhalb seiner Heimatregion zu finden, als gering einzuschätzen (s. auch Bundesrepublik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Nigeria, Gesamtaktualisierung am 2. September 2016, letzte Kurzinformation vom 8. Mai 2017, S. 18, wonach die Terroristen nicht in der Lage sind, eine Person überall in Nigeria aufzuspüren; auch Deserteure der Boko Haram können danach in den Süden umsiedeln, wo sie sicher sind; s. ferner S. 40 und 61).

Es sind im Übrigen keine durchgreifenden Gründe vorgetragen, die dagegen sprechen würden, dass vernünftigerweise erwartet werden kann, dass die Familie sich andernorts niederlässt. Der Einzelrichter verkennt nicht, dass die wirtschaftliche Lage für einen großen Teil der Bevölkerung Nigerias schwierig ist. Jedoch sind für die Bewertung des konkreten Einzelfalles die Möglichkeiten der Lebensunterhaltssicherung in der Person des Klägers und seiner Frau in den Blick zu nehmen. Es ist davon auszugehen, dass die Kläger zu 1. und 2. als erwachsene und gesunde Menschen im Fall einer Rückkehr in der Lage sein werden, durch eine Arbeitsaufnahme ein kleines Einkommen zu erzielen, um damit für sich und ihre Familie zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. Der Kläger verfügt nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung über eine Schulausbildung. Er hat sogar zwei Jahre lang eine Schule für Marketing und Betriebswirtschaft besucht. Im Übrigen hat er dem Gericht glaubhaft geschildert, dass er bereits in diversen Bereichen des informellen Arbeitsmarkts in Nigeria tätig war. Zunächst hat er mit seiner Mutter in einem landwirtschaftlichen Betrieb geholfen, zudem kennt er sich nach eigenen Angaben mit Elektrizität aus und hat mit Heizungen und Klimaanlagen gearbeitet und Leuten geholfen, die Probleme mit elektrischen Geräten hatten. Schließlich hat er auch im Baugewerbe gearbeitet und Freunden geholfen, Maurerarbeiten durchzuführen. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, warum der Kläger angesichts dieser diversen Fähigkeiten und Erfahrungen nicht in der Lage sein sollte, an eine entsprechende Form der Lebensunterhaltssicherung anzuknüpfen. Jedenfalls könnte die Klägerin zu 2. ihre Tätigkeit als Friseurin wieder aufnehmen.

Im Fall einer freiwilligen Rückkehr nach Nigeria kann der Kläger bei Vorliegen der Voraussetzungen ferner die Rückkehrhilfen des REAG/GARP-Programms 2017 - Reintegration and Emigration Programme for Asylum-Seekers in Germany (REAG) Government Assisted Repatriation Programme (GARP) Projekt "Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger Rückkehrer/innen" in Anspruch nehmen, vgl.: www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Rueckkehr/reaggarp-merkblatt-foerderung.html, siehe auch: Bundesrepublik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 6. Juli 2015: Nigeria: Rückkehr, Reintegration).

Dementsprechend scheitert auch ein Anspruch auf Asylanerkennung der Klägerin zu 4. an einer innerstaatlichen Fluchtalternative. [...]