Flüchtlingsanerkennung für Tamilin aus Sri Lanka:
1. Flüchtlingsanerkennung für eine junge Tamilin, die 2007 von der LTTE zwangsrekrutiert, seit 2009 mehrmals von der srilankischen Armee gefangengenommen und gefoltert wurde und 2013 geflüchtet ist.
2. Tamilische Volkszugehörige, die bereits in Gefangenschaft der Armee waren, müssen auch heute noch mit erneuter Inhaftierung rechnen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie sich der LTTE freiwillig angeschlossen hat, wie lange das her ist und welcher Art ihre Tätigkeit für die LTTE war.
3. Auch unter dem 2015 gewählten Präsidenten Sirisena drohen Personen, die des Terrorismus verdächtigt werden, schwere Menschenrechtsverletzungen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Sri Lanka ist geprägt von dem von 1983 bis 2009 andauernden Bürgerkrieg. Gerade zum Ende des Bürgerkriegs im Jahr 2009 waren Hunderttausende Menschen, die ihre Heimatorte im tamilischen Norden und Osten hatten verlassen müssen, auf der Flucht. Nach dem Ende des Bürgerkriegs im Mai 2009 brachte sie die Armee in geschlossenen Lagern hauptsächlich in Vavuniya im nördlichen Vanni unter, zu denen nationale und internationale Hilfsorganisationen lange nur eingeschränkt Zugang hatten. Die Regierung begründete diese Lagerunterbringung mit der Notwendigkeit, sich unter den Binnenvertriebenen verbergende ehemalige LTTE-Kämpfer herauszufiltern, und der Unmöglichkeit, die Betroffenen in noch verminte Heimatorte zurückkehren zu lassen. Einem gesonderten Regime unterlagen die geschlossenen, so genannten "Rehabilitationslager", in denen ehemalige LTTE-Kämpfer untergebracht waren (Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 30.10.2013 und vom 01.06.2012). Die meisten der Verdächtigten, die in den "Rehabilitationslagern" festgehalten wurden, sind in den letzten Wochen der Kampfhandlungen und in der Zeit unmittelbar danach inhaftiert worden. Auch danach, nämlich im Oktober 2009, erfolgten jedoch neue Inhaftierungen (Human Rights Watch, Legal Limbo - The Uncertain Fate of Detained LTTE Suspects in Sri Lanka, Februar 2010, S. 6). Anfang Mai 2010 wurde eine teilweise Verschlankung der Notstandsbestimmungen verfügt, wesentliche Regelungen blieben jedoch in Kraft und das Antiterrorgesetz von 1979 (Prevention of Terrorism Act - PTA -) sieht ähnliche Regelungen wie die im Notstandsgesetz weggefallenen vor. Die Sicherheitskräfte hatten damit weitreichende Ausnahmerechte. Übergriffe von Polizei und Militär haben aber erkennbar nachgelassen. In den Einzelfällen, in denen auf die Antiterrorgesetze zurückgegriffen wurde und die bekannt werden, gingen die Sicherheitskräfte jedoch in vergleichbarer Weise vor wie früher (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30.10.2013; vgl. zum PTA auch amnesty international, Only justice can heal our wounds, April 2017, S. 18 sowie IRB, Treatment of Tamils in society and by authorities, the Eelam People's Democratic Party (EPDP), including the relationship with Tamil population (2014 to Feb. 2017), 2.5). Trotz Stabilisierung der Sicherheitslage gab es weiterhin ernstzunehmende Berichte über extralegale Tötungen, die auch staatlichen Sicherheitskräften zugeschrieben werden. Der Generalverdacht, dass jeder Tamile ein Anhänger, Unterstützer oder gar Mitglied der LTTE war und ist, der im singhalesischen Teil der Gesellschaft sowie insbesondere bei den Sicherheitskräften von vielen lange gehegt wurde, hat mit zunehmendem Zurückliegen der Kämpfe erheblich an Virulenz verloren (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 01.06.2012). So kann eine systematische Verfolgung von Tamilen allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit nicht konstatiert werden (hierzu unter dem Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung - verneinend -: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 05.10.2016 - A 10 S 332/12 -, juris). Allerdings drohte Tamilen noch immer in Polizeigewahrsam die Gefahr erheblicher Misshandlungen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30.10.2013, S. 12). [...]
Es liegen keine hinreichenden stichhaltigen Gründe vor, die dagegen sprechen, dass sie bei einer Rückkehr nach Sri Lanka im gegenwärtigen Zeitpunkt erneut von Verfolgung bedroht ist.
Insbesondere ergibt sich dies auch nicht unter Berücksichtigung des Umstands des nach den Wahlen im Jahr 2015 erfolgten Regierungswechsel.
Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes hat sich die Lage unter der Regierung des Anfang 2015 gewählten Präsidenten Sirisena zwar durchaus zum Positiven verändert. Im Vergleich zur Vorgängerregierung Rajapaksa werden Demokratie und Rechtsstaat gestärkt und Menschenrechte, insbesondere Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit wieder respektiert. Eine weitreichende Verfassungsreform steht in Aussicht. Dabei soll u.a. auch festgelegt werden, wie viele Kompetenzen von der Zentralregierung auf die Provinzen verlagert werden. Die neue Regierung hat die Wiederversöhnung zwischen der Bevölkerungsmehrheit der Singhalesen (rd. 75%) und den Tamilen im Norden und Osten ("Sri Lanka Tamils", 11,2%) wieder angestoßen (Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 16.12.2017, S. 5 und 7 sowie vom 21.11.2016 und vom 30.12.2015). Allerdings sind trotz dieser Fortschritte insbesondere im Norden und Osten noch nicht alle Menschenrechtsverletzungen abgestellt. So kommen in Einzelfällen weiterhin vorübergehende Entführungen, Folterungen und Einschüchterungen durch den Sicherheitsapparat vor (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.12.2017, S. 5). Auch ist der problematische PTA, der u.a. eine Festnahme ohne Angaben von Gründen und die Ausübung körperlichen Zwangs erlaubt, um eine Aussage zu erhalten, trotz gegenläufiger Bekundungen und gesetzgeberischer Maßnahmen der Regierung noch immer in Kraft. Er wurde auch im Jahre 2016 noch als Grundlage für als willkürlich kritisierte vorübergehende Verhaftungen herangezogen. Zahlreiche neue Gesetzentwürfe wurden bereits diskutiert und dann wieder verworfen. Seit Ende 2016 wird der PTA jedoch nicht mehr auf neue Fälle angewendet. Ein Entwurf für einen neuen Counter Terrorism Act (CTA) liegt vor, ist jedoch noch nicht verabschiedet (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.12.2017, S. 5 und S. 12 f.).
Zwar ist Folter in Sri Lanka nach Art. 11 der Verfassung verboten. Dennoch ist Folter durch Polizisten internationalen Organisationen und Presseberichten zufolge weiterhin verbreitet, um Geständnisse zu erpressen. Dies hat auch der VN-Sonderberichterstatter über Folter Mendez nach seinem Besuch im April/Mai 2016 festgestellt und darauf hingewiesen, dass 90% der Verurteilungen in Sri Lanka aufgrund von Aussagen in Polizeigewahrsam erfolgten. UNHRC Sri Lanka verzeichnete für die ersten acht Monate 2016 208 Beschwerden aufgrund von Folter (2015: 420; 2014: 489; 2013: 600, jeweils gesamtes Jahr). Wegen des enormen Zeit- und Geldaufwands gerichtlicher Verfolgung für die Opfer kommt in der Realität kaum ein Fall zur Anzeige (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.12.2017, S. 12; zur weiterhin bestehenden Foltergefahr u.a. SFH, Sri Lanka, Gefährdung von Personen mit Erwähnung auf staatlicher Liste von Terrorismusverdächtigen, 21.02.2018; SFH, Sri Lanka, Entführungen von tamilischen Personen mit LTTE-Verbindungen im Distrikt Jaffna, 12.01.2018; IRB, Treatment of Tamils in society an by authorities, the Eelam People's Democratic Party (EPDP), including the relationship with Tamil population (2014 to Feb. 2017), 2.5); UK Home Office, Sri Lanka, Tamil Separatism, Juni 2017, S. 28 ff. und 34 ff.).SFH, Sri Lanka, Gefährdung bei Rückkehr und Zugang zu medizinischer Versorgung in Haft vom 22.04.2016).
Auch besteht weiterhin die Gefahr der Festnahmen gerade von Personen, denen Aktivitäten in oder auch nach dem Bürgerkrieg im Umfeld der LTTE unterstellt werden. So hat Auswärtige Amt im Jahr 2016 auch weiterhin die Möglichkeit einer Festnahme für Personen bejaht, die (auch nach dem Krieg etwa im Jahr 2013) aus einem Armeecamp geflohen waren. Sogar Sri Lanker, welche nicht geflohen waren, sondern in Programmen der Regierung rehabilitiert worden sind, stehen danach oft noch unter strenger Bewachung des Militärgeheimdienstes (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Stuttgart vom 20.09.2016).
Rückkehrer müssen grundsätzlich keine staatlichen Repressalien gegen sich fürchten. Sie müssen sich aber nach Rückkehr Vernehmungen durch die Immigration, das National Bureau of Investigation und das Criminal Investigation Department (CID) stellen. Ob es dabei zur Anwendung von Gewalt kommt, ist nicht bekannt. Wer einen Asylantrag im Ausland gestellt hat, hat nach Angaben des Auswärtigen Amtes heute als Rückkehrer allein aufgrund dieses Umstands keine Diskriminierung durch die sri-lankischen Behörden zu befürchten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.12.2017, S. 5, 12). Bei Vorlage eines von einer sri-lankischen Auslandsvertretung ausgestellten Reisedokuments zur einmaligen Rückkehr nach Sri Lanka (Identity Certificate Overseas Mission, ICOM, auch Emergency-Pass genannt) werden betroffene Personen regelmäßig von der Einreisebehörde und von der Kriminalpolizei (CID) einer Personenüberprüfung unterzogen und zu Identität, politischem Hintergrund und Reiseziel befragt. Auch in jüngerer Zeit wird auch seitens des Auswärtigen Amtes auf Berichte über die fortgesetzte Verletzung von Menschenrechten hingewiesen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.12.2017, S. 15). Berichten von amnesty international zufolge wurden im Jahr 2015 verschiedene tamilische Rückkehrer, die bereits früher vor ihrer Ausreise schon einmal verhaftet worden waren, willkürlich inhaftiert und gefoltert. Weiter liegen Berichte vor, wonach Offizielle des Militärgeheimdienstes des Vanni Security Force Headquarters in der Stadt Vavuniya seit den Wahlen im Januar 2015 aktiv nach tamilischen Personen suchen, die aus dem Ausland zurückkehrten, um diese zu befragen. Selbst das sichere Verlassen des Flughafens ist demnach keine Garantie für die spätere Sicherheit. Nach Einschätzung des International Truth & Justice Project Sri Lanka überwachen die Geheimdienste Rückkehrende während mehrerer Tage, bevor sie sie ergreifen. Von verschiedenen Seiten wird berichtet, dass weiterhin Personen verhaftet werden, die der angeblichen Verbindungen zur LTTE verdächtigt werden. Dabei spiele es keine Rolle, wie schwach diese Verbindung sei oder vor wie langer Zeit sie bestand und auch nicht, ob die Person nur auf niedriger Stufe für die LTTE tätig war. Während der Verhöre seien mehrere der Betroffenen beschuldigt worden, die LTTE wiederaufbauen zu wollen oder das Land in Unruhe zu bringen. Auch für die Jahr 2016 und 2017 wird berichtet, dass tamilische Personen entführt, illegal gefangen gehalten, gefoltert und vergewaltigt wurden und hierbei gerade auch staatliche Sicherheitskräfte beteiligt gewesen sein sollen. Es gibt insbesondere Hinweise dahin, dass Angehörige staatlicher Sicherheitskräfte und des Militärs teilweise in entführungsähnlichen Aktionen Personen verhaften, ohne sich als Behördenvertreter kenntlich zu machen, wobei die Betroffenen dann später in Polizeihaft wieder "auftauchen" (SFH, Sri Lanka, Gefährdung von Personen mit Erwähnung auf staatlicher Liste von Terrorismusverdächtigen, 21.02.2018; SFH, Sri Lanka, Entführungen von tamilischen Personen mit LTTE-Verbindungen im Distrikt Jaffna, 12.01.2018, dort insbesondere zu den sog. "White Van-Abductions", den Entführungen durch weiße Lieferwagen, wie sie schon in den Jahren nach dem Ende des bewaffneten Konflikts erfolgten; außerdem auch: SFH, Sri Lanka, Gefährdung bei Rückkehr und Zugang zu medizinischer Versorgung in Haft vom 22.04.2016). In ähnlicher Weise hatte das Auswärtige Amt in der Vergangenheit Hinweise darauf, dass derjenige, der einmal in den Verdacht der LTTE-Nähe geriet - auch wenn sie seinerzeit nicht nachgewiesen werden konnte - damit rechnen müsse, dass der Verdacht ihm später erneut zur Last gelegt wird (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30.10.2013).
Insbesondere im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen in Sri Lanka ist ohnehin festzuhalten, dass seit dem aktuellen Bericht des Auswärtigen Amts vom 26.10.2018 das politische System Sri Lankas erhebliche Erschütterungen erfahren hat, die die Fortschritte der letzten Jahre in Frage zu stellen geeignet sind, nachdem mit Unterstützung des - eigentlich für die Erneuerung stehenden - Staatspräsidenten Sirisena dessen Amtsvorgänger Rajapaksa zum Premierminister ernannt werden sollte bzw. worden ist (Bericht tagesschau.de vom 10.11.2018 "Parlament aufgelöst - Machtkampf in Sri Lanka"; Artikel FR.de vom 11.11.2018 "Neuwahlen - Sri Lankas Präsident löst Parlament
auf"; NZZ, Artikel vom 16.11.2018, "Sri Lanka schlittert tiefer in die Krise"), auch wenn dies letztlich misslang (Bericht tagesschau.de vom 16.12.2018 "Regierungskrise in Sri Lanka - Der Neue ist der Alte" und Bericht zeit.de vom 15.12.2018 "Mahinda Rajapaksa - Sri Lankas umstrittener Regierungschef tritt zurück").
Insgesamt führt die aktuelle Lage in Sri Lanka daher zwar nicht dazu, dass jedem tamilischen Rückkehrer politische Verfolgung droht.
Im konkreten Fall der Klägerin besteht aber nach wie vor ein erhöhtes Gefahrenpotential. Bei einer Überprüfung der Klägerin anlässlich ihrer Einreise wird man feststellen, dass sie aus dem Norden Sri Lankas stammt und tamilisch spricht. Die Klägerin war vor ihrer Ausreise den Sicherheitskräften bekannt und war wiederholt fest- bzw. mitgenommen worden (vgl. zur fortwährenden Gefahr von Personen, die der Terrorismusunterstützung verdächtigt werden die o.g. SFH-Auskünfte vom 21.02.2018, dort insbesondere S. 9, und vom 12.01.2018). Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese Suche der Sicherheitskräfte nicht weiterhin andauert. Angesichts des Umstandes, dass die Klägerin erkennungsdienstlich behandelt worden ist und Schriftstücke in singhalesischer Sprache, die sie nicht verstanden hat, unterschrieben hat, ist im Übrigen auch nicht auszuschließen, dass noch Unterlagen vorhanden sind, auf Grundlage derer erneute "Befragungen" für angezeigt gehalten werden. [...]