Keine Flüchtlingsanerkennung wegen Entziehung vom Nationaldienst durch Ausreise:
Verfolgung wegen Wehr- oder Nationaldienstentziehung in Eritrea knüpft nicht an einen der in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe an.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
28 2. Dies zugrunde gelegt vermag eine dem Kläger im Fall seiner Rückkehr nach Eritrea gegebenenfalls drohende Einberufung zum Wehr-/Nationaldienst für sich genommen, d.h. ohne das Hinzutreten individueller Umstände, die im Fall des Klägers fehlen, die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG nicht zu rechtfertigen; denn die Wehr- bzw. Nationaldienstpflicht in Eritrea knüpft als solche nicht - wie es § 3a Abs. 3 AsylG für die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung erfordert und wie es vor allem auch der Wortlaut von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG "aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen [...]" vorsieht - an einen der in den §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe an, da die Verpflichtung zur Ableistung des Wehr- bzw. Nationaldienstes im Wesentlichen alle eritreischen Staatsangehörigen gleichermaßen trifft und zwar ohne Unterscheidung nach Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Diese Auffassung entspricht der gesamten hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung (HessVGH, U.v. 30.7.2019 - 10 A797/18.A - juris Rn. 23 ff.; OVG Saarland, U.v. 21.3.2019 - 2 A 7/18 - juris Rn. 27 ff. und 2 A 10/18 - juris Rn. 20 ff.; OVG Hamburg, U.v. 21.9.2018 - 4 Bf 186/18.A - juris Rn. 42 ff. und 4 Bf 232/18.A - juris Rn. 39 ff.; siehe auch BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 - juris; vgl. hierzu bereits BayVGH, B.v. 23.4.2018 - 20 ZB 18.30815 - juris Rn. 5 - 7 ; vgl. zur erstinstanzlichen Rechtsprechung, in der diese Auffassung auch ganz überwiegend vertreten wird, die Nachweise bei HessVGH, U.v. 30.7.2019 - 10 A 797/18.A - juris Rn. 25). Der Senat schließt sich dem unter Berücksichtigung der verfügbaren Erkenntnisquellen und den Ausführungen der Beteiligten aus den nachfolgend wiedergegebenen Gründen an. [...]
30 Gemäß der Proklamation Nr. 82/1995 über den Nationaldienst (Proclamation on National Service No. 82/1995) vom 23. Oktober 1995 sind in Eritrea Männer und Frauen vom achtzehnten bis zum vierzigsten Lebensjahr nationaldienstpflichtig ("active national Service") und gehören bis zum fünfzigsten Lebensjahr der Reservearmee ("reserve military service") an (Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Eritrea: Nationaldienst, Themenpapier der SFH-Länderanalyse vom 30.6.2017, S. 4). Nach abweichenden Angaben soll sich das Höchstalter für den Wehr- und Nationaldienst seit 2009 für Männer auf 57 und für Frauen auf 27 bzw. 47 Jahre belaufen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019, S. 15; Amnesty International (AI) an VG Magdeburg vom 2.8.2018). Der Nationaldienst unterteilt sich in einen aktiven Dienst von offiziell achtzehn Monaten und in einen Reservistendienst. Der aktive Nationaldienst besteht aus einer sechs Monate dauernden militärischen Ausbildung und einem sich daran anschließenden zwölfmonatigen Militärdienst oder einer entsprechend langen Verwendung im Bereich von Tätigkeiten zur Landesentwicklung. Ungeachtet der in der Proklamation Nr. 82/1995 festgelegten Dauer der Dienstpflicht und der vorgesehenen Altersobergrenzen ist der Nationaldienst in Eritrea in der Praxis jedoch grundsätzlich unbefristet. Im Jahr 2002 verlängerte die eritreische Regierung die Nationaldienstpflicht faktisch auf unbestimmte Zeit. Diese Maßnahme wurde bislang mit der proklamierten "no war no peace"-Situation im Verhältnis zu Äthiopien begründet und trotz mehrfacher Bekundungen, die Dauer des Nationaldienstes wieder auf 18 Monate zu beschränken, weiter aufrechterhalten (vgl. European Asylum Support Office (EASO), Bericht über Herkunftsländerinformationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 40 f.; AI, Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 18; Staatssekretariat für Migration (SEM), Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, vom 22.6.2016, aktualisiert am 10.8.2016, S. 45 ff.).
31 Inwieweit die jüngste Entspannung zwischen Eritrea und Äthiopien zu Veränderungen beim Nationaldienst, insbesondere bei der unbefristeten Dienstpflicht, führen wird, lässt sich nach gegenwärtiger Erkenntnisquellenlage nicht verlässlich beurteilen (vgl. dazu EASO, Eritrea, National service, exit and return, Country of Origin Information Report, September 2019, S. 22; United Kingdom Home Office (UKHO), Country Policy and Information Note - Eritrea: National service and illegal exit, Version 5.0, Juli 2018, S. 16). Der Nationaldienst kann sich oftmals über mehrere Jahre erstrecken, wobei die Dienstverpflichteten entweder für eine zivile oder eine militärische Verwendung eingeteilt werden. Ebenso kommt es vor, dass Wehrpflichtige bereits nach Ableistung des achtzehnmonatigen Wehrdienstes nicht nur aus dem Militär-, sondern auch aus dem Nationaldienst insgesamt entlassen werden, etwa um dem Dienstpflichtigen bei guten schulischen Leistungen einen frühzeitigen Zugang zu weiterführenden Bildungseinrichtungen zu ermöglichen. Frauen werden in der Regel bei Heirat oder Schwangerschaft aus dem Militär- bzw. aus dem Nationaldienst entlassen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 22.3.2019, S. 15). Generell ausgenommen vom Nationaldienst sind lediglich Personen, die ihre Dienstpflicht bereits vor Inkrafttreten der Proklamation Nr. 82/1995 erfüllt haben, sowie ehemalige Unabhängigkeitskämpfer (Art. 12 der Proklamation Nr. 82/1995). Gesundheitliche Beeinträchtigungen führen in der Regel nur dazu, dass die militärische Ausbildung oder der aktive Nationaldienst erlassen sind (Art. 13 ff. der Proklamation Nr. 82/1995), nicht jedoch die Dienstverpflichtung als solche. Ein Recht auf Wehrdienstverweigerung bzw. einen Ersatzdienst gibt es nicht (zur Nationaldienstverpflichtung insgesamt EASO, Bericht über Herkunftsländerinformationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 32 ff.; EASO, Bericht über Herkunftsländerinformationen, Eritrea: Nationaldienst und illegale Ausreise, November 2016, S. 11 ff.; EASO, Eritrea, National Service, exit and return, Country of Origin Information Report, September 2019, S. 22 ff.; SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, vom 22.6.2016, aktualisiert am 10.8.2016, S. 11 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Eritrea, Gesamtaktualisierung vom 26.2.2019, S. 12 ff.; SFH, Eritrea: Nationaldienst, Themenpapier der SFH-Länderanalyse vom 30.6.2017, S. 4 f.; AI, Just deserters: Why indefinite national service in Eritrea has created a generation of refugees, Dezember 2015, S. 18 f.). [...]
37 [...] Da die Verpflichtung zur Ableistung des staatlichen Nationaldienstes bzw. Wehrdienstes grundsätzlich sämtliche Staatsangehörigen Eritreas trifft und keine Auswahl oder Auslese anhand flüchtlingsschutzrechtlicher Merkmale erfolgt, kann daher die bloße Pflicht zur Ableistung des Militärdienstes - die sich wie dargelegt ohne Anknüpfung an persönliche Verfolgungsmerkmale im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG vollzieht - nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Bezüglich der Heranziehung zum Militärdienst kommt unabhängig davon hinzu, dass diese - wie es in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG indirekt zum Ausdruck kommt - jedenfalls grundsätzlich nicht dem sogenannten flüchtlingsschutzrechtlichen Schutzversprechen unterfällt. Ob in der Heranziehung des (inzwischen) grundsätzlich dienstverpflichteten Klägers zum Nationaldienst für sich genommen eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu sehen ist, kann offen bleiben. Denn die Nationaldienstpflicht knüpft jedenfalls nicht - wie es § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsyG und § 3a Abs. 3 AsylG fordern - an einen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe an. [...]