VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.04.2020 - 11 S 25/20 - asyl.net: M28410
https://www.asyl.net/rsdb/M28410
Leitsatz:

Zuständiges Gericht für Klage gegen Feststellung der Missbräuchlichkeit der Vaterschaftsanerkennung:

"Sind für Klagen der Mutter eines Kindes sowie des die Vaterschaft Anerkennenden gegen die Feststellung der Missbräuchlichkeit der Vaterschaftsanerkennung nach § 85a Abs. 1 Satz 2 AufenthG verschiedene Verwaltungsgerichte örtlich zuständig, bestimmt der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag nach § 53 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 VwGO das gemeinsam zuständige Verwaltungsgericht."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Vaterschaftsanerkennung, Rechtsmissbrauch, Verwaltungsgericht, örtliche Zuständigkeit, Bestimmung des zuständigen Gerichts
Normen: VwGO § 53 Abs. 3, VwGO § 53 Abs. 1 Nr. 3, VwGO § 52 Nr. 3, VwGO § 52 Nr. 5, AufenthG § 85a
Auszüge:

[...]

Die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs zur Bestimmung des zuständigen Gerichts ist gemäß § 53 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 VwGO statthaft. Danach wird das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch das nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn sich der Gerichtsstand nach § 52 VwGO richtet und verschiedene Gericht in Betracht kommen. Die Anrufung des im Rechtszug höheren Gerichts kann nach § 53 Abs. 3 Satz 1 VwGO durch jeden am Rechtsstreit Beteiligten, also auch – wie vorliegend – durch den Beklagten erfolgen.

Die sachlichen Voraussetzungen, unter denen der Verwaltungsgerichtshof das zuständige Verwaltungsgericht bestimmt, sind erfüllt. Die begehrte Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 VwGO ist nicht deshalb abzulehnen, weil diese Vorschrift sich nach ihrem Wortlaut nur auf den Fall bezieht, dass für einen Rechtsstreit zwei verschiedene Gerichte in Betracht kommen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck derselbe Verwaltungsakt von beiden jeweils teils begünstigten und beschwerten Beteiligten mit entgegengesetzten Zielen angefochten wird. In solchen Fällen dient die Zusammenführung der beiden Verfahren an einem Verwaltungsgericht nicht allein der Prozessökonomie, sondern vermeidet widersprüchliche Entscheidungen über den Kern des behördlichen Verwaltungshandelns (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15.10.1999 - 3 AV 2.99 -, juris Rn. 1, und vom 07.08.2019 - 10 AV 3.19 -, juris Rn. 3). Die Möglichkeit der Bestimmung eines gemeinsamen zuständigen Gerichts bejaht das Bundesverwaltungsgericht zudem in Fällen, in denen die Annahme einer (unechten) notwendigen Streitgenossenschaft gemäß § 64 VwGO i.V.m. § 62 Abs. 1 ZPO jedenfalls nicht fernliegt, namentlich wenn mehrere Kläger derart miteinander verbunden sind, dass einerseits zwar ein gesondertes Verfahren Einzelner möglich ist, andererseits aber, wenn sie gemeinschaftlich um Rechtsschutz nachsuchen, die Sachentscheidung für oder gegen alle identisch sein muss (BVerwG, Beschluss vom 02.07.2019 - 1 AV 2.19 -, juris Rn. 10 m.w.N.).

Diese Grundsätze lassen sich auf den vorliegenden Fall übertragen. Die Antragsgegner wenden sich mit ihren Klagen gegen die Feststellung der Missbräuchlichkeit der Vaterschaftsanerkennung nach § 85a Abs. 1 Satz 2 AufenthG durch Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.09.2019. Sie sind beide Adressaten des feststellenden Verwaltungsakts und daher beide zur Anfechtung der identischen behördlichen Regelung befugt. Für die Klage des Antragsgegners zu 1 besteht, da er außerhalb Baden-Württembergs wohnhaft und das Regierungspräsidium Karlsruhe nach § 8 Abs. 4 AAZuVO landesweit für Feststellungen nach § 85a AufenthG zuständig ist, die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Karlsruhe nach § 52 Nr. 3 Satz 3 i.V.m. Nr. 5 VwGO, während für die Klage der in Tübingen wohnhaften Antragsgegnerin zu 2 grundsätzlich nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Sigmaringen besteht. Diese auseinanderfallende örtliche Zuständigkeit birgt die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen, die im Rahmen des § 85a AufenthG nicht hinzunehmen ist. Die Klagen sind auf das gleiche Ziel gerichtet und gründen auf einem identischen Lebenssachverhalt. Sie richten sich gegen denselben feststellenden Verwaltungsakt. Durch die Bestimmung eines gemeinsamen örtlich zuständigen Gerichts nach § 53 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 VwGO ist die Einheitlichkeit der Sachentscheidung sicherzustellen.

§ 53 VwGO enthält keine Regelung, nach welchen materiellen Kriterien das zuständige Gericht zu bestimmen ist. Die Zuständigkeitsbestimmung hat daher nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu erfolgen und sich an den Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung sowie dem Gebot einer effektiven und sachgerechten Verfahrensdurchführung zu orientieren. Hierbei können Aspekte wie etwa die örtliche Nähe eines Gerichts für die Beteiligten berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.03.2009 - 7 AV 1.09 u.a. -, juris Rn. 3). [...]