OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2020 - 11 S 35.19 (Asylmagazin 9/2020, S. 325) - asyl.net: M28456
https://www.asyl.net/rsdb/M28456
Leitsatz:

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch bei vorübergehender Reiseunfähigkeit nicht ausgeschlossen:

1. Es besteht kein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung, wenn eine Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung bereits konkret vorbereitet ist.

2. Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung stehen bevor, sobald die zuständige Ausländerbehörde erstmals zielgerichtet und konkret tätig geworden ist, um die grundsätzlich mögliche Abschiebung einzuleiten. Hiervon kann auch dann noch ausgegangen werden, wenn der polizeiärztliche Dienst von einer vorübergehenden Reiseunfähigkeit ausgeht und eine Wiedervorlage mit neuem Attest in sechs Monaten anregt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Beschäftigungserlaubnis, Arbeitserlaubnis, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Reisefähigkeit, ärztliche Untersuchung, medizinische Untersuchung, Beurteilungszeitpunkt,
Normen: AufenthG § 60c,
Auszüge:

[...]

13 b. Der Antragsgegner beanstandet indes zu Recht die – im Beschluss nicht begründete - Annahme des Verwaltungsgerichts, dass konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorgestanden hätten. [...]

15 [...] Entgegen der Auffassung der Antragstellerin stellten insbesondere die am 12. Februar 2018 durchgeführte polizeiärztliche Untersuchung zur Prüfung ihrer Reisefähigkeit sowie die nach sechs Monaten vorgesehene erneute Überprüfung anhand eines aktuellen Attests solche Maßnahmen in Vorbereitung einer im Übrigen grundsätzlich möglichen Abschiebung dar.

16 Dass die Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit eine konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung sein kann, hat der Gesetzgeber mit der Aufnahme einer solchen Untersuchung in § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a) AufenthG nunmehr ausdrücklich klargestellt. Hat eine solche Untersuchung zur Feststellung einer nur vorübergehenden, durch entsprechende Behandlung zu behebenden Reiseunfähigkeit geführt – wovon hier angesichts der vom PÄD für erforderlich gehaltenen Wiedervorlage mit neuem Attest in sechs Monaten auszugehen war – steht dies der Annahme weiterhin konkret bevorstehender Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht entgegen (vgl. Fehrenbacher, in: HTK-AuslR, § 60c AufenthG – zu Abs. 2 –, Rn 38). Dem entsprechend hat der Antragsgegner (nur) eine bis zum 13. August 2018 befristete Duldung erteilt und auf dem diesbezüglichen Belegblatt (Bl. 378 des Verwaltungsvorgangs) unter "Raum für Vermerke" festgehalten, dass eine PEP-Zusage vorliege, die Antragstellerin lt. PÄD aber flugunfähig sei. Für August sei ein neues, aktuelles Attest gefordert. Laut Aussage ihres Anwalts befinde sich die Antragstellerin bei ihrem "Schwiegervater" in Hamburg. Auch die vom Antragsgegner angeführte (weitere) Verwahrung des vietnamesischen Personalausweises der Antragstellerin bestätigt, dass der Antragsgegner das Ergebnis der polizeiärztlichen Prüfung keineswegs als dauerhaftes Hindernis für eine Abschiebung der Antragstellerin ansah, sondern mögliche Vorkehrungen für eine nach Wiederherstellung der Flugfähigkeit der Antragstellerin durchzuführende Abschiebung traf.

17 Bei einem Zeitraum von sechs Monaten bis zur anstehenden erneuten Überprüfung der Reisefähigkeit erscheint jedenfalls angesichts der Umstände des konkreten Falles auch der erforderliche sachliche und zeitliche Zusammenhang zu der beabsichtigten Abschiebung noch hinreichend gewahrt. Denn die polizeiärztlichen Prüfungen der vorgelegten Atteste stellen sich hier als weitere Schritte in einer ganzen Reihe von Maßnahmen dar, die der Antragsgegner zur Abschiebung der Antragstellerin seit 2016 eingeleitet hat. Ausweislich der Verwaltungsakte führten die diesbezüglichen Bemühungen des Antragsgegners im Oktober 2016 bereits zur Zusage und Ausstellung von Passersatzpapieren für die Antragstellerin, und er versuchte mehrfach, zuletzt im März 2017, sie abzuschieben. Die bisherigen Abschiebungsversuche scheiterten zwar. Da dies aber nicht an einer fehlenden Rücknahmebereitschaft des Herkunftslandes der Antragstellerin oder einem anderen, auf absehbare Zeit nicht auszuräumenden Hindernis, sondern allein daran lag, dass die Antragstellerin für den Antragsgegner nicht auffindbar war, war und ist davon auszugehen, dass die Abschiebung der Antragstellerin bei absehbarer Wiederherstellung ihrer Reisefähigkeit auch im Übrigen grundsätzlich möglich und – die Einhaltung der ihr obliegenden Mitwirkungspflichten unterstellt - in absehbarer Zeit zu realisieren sein wird. Darauf, dass der Zeitpunkt der Abschiebung vor einer erneuten, nach Ablauf von sechs Monaten erforderlichen polizeiärztlichen Prüfung der Reisefähigkeit der Antragstellerin noch nicht konkret bestimmbar war, kommt es insoweit nicht an. [...]