VG Berlin

Merkliste
Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 05.03.2020 - 38 K 2.19 V - asyl.net: M28471
https://www.asyl.net/rsdb/M28471
Leitsatz:

Zum Familiennachzug bei Mehrehe:

1. Eine religiös geschlossene Ehe ist nach syrischem Familienrecht unabhängig von einer staatlichen Registrierung wirksam.

2. Lebt ein Ehemann mit seiner zweiten Ehefrau in Deutschland, so hat die erste Ehefrau nach § 30 Abs. 4 AufenthG keinen Anspruch auf Familiennachzug.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, wirksame Eheschließung, religiöse Eheschließung, Zweitehe, Familienzusammenführung, Ehegattennachzug, Mehrehe,
Normen: AufenthG § 36a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, AufenthG § 30 Abs. 4, AufenthG § 36 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

a) Nach § 36a Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AufenthG kann dem Ehegatten eines Ausländers, der – wie der Ehemann der Klägerin – eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 besitzt, aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis bzw. ein Visum erteilt wer-den, sofern die – teils durch § 36a AufenthG modifizierten – allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen und die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für den Ehegattennachzug zu ausländischen Staatsangehörigen erfüllt sind.

Auch unter Ausblendung von Zweifeln, ob die Klägerin die Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann begehrt (siehe § 27 Abs. 1 AufenthG), hat diese keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums.

Nach § 36a Abs. 4 i.V.m. § 30 Abs. 4 AufenthG wird nämlich, wenn ein Ausländer gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist und er gemeinsam mit einem Ehegatten im Bundesgebiet lebt, keinem weiteren Ehegatten eine Aufenthaltserlaubnis bzw. ein Visum erteilt. An der Vereinbarkeit dieser Norm mit dem verfassungs-, konventions- und unionsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie bestehen keine Zweifel, sofern in Sonderfällen ein Anspruch aus § 36 Abs. 2 AufenthG möglich ist (Tewocht, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR AufenthG § 30 Rn. 38; dazu unter b]). Da ein Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten generell nicht durch EU-Richtlinien vorgegeben ist (VG Berlin, Urteil vom 21. Januar 2020 – VG 38 K 429.19 V –, juris Rn. 32, 35), ist der Ausschlussgrund unter diesem Blickwinkel ebenfalls nicht zu beanstanden. Im Übrigen ist der Nachzugsausschluss für den Nachzug zu anerkannten Flüchtlingen im Fall der Mehrehe ausdrücklich unionsrechtlich vorgegeben, so lautet Art. 4 Abs. 4 Familienzusammenführungs-RL 2003/86/EG: "Lebt im Falle einer Mehrehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, so gestattet der betreffende Mitgliedstaat nicht die Familienzusammenführung eines weiteren Ehegatten." [...]

Der formellen Wirksamkeit seiner Ehe steht nicht entgegen, dass diese möglicherweise ohne staatliche Mitwirkung geschlossen wurde. Nach syrischem Eherecht ist nämlich die Mitwirkung des Staates für die Wirksamkeit der Eheschließung nicht erforderlich (Max-Planck-Institut [MPI] für ausländisches und internationales Privatrecht, Familienrecht in Syrien, Kommentar zum staatlichen Familienrecht: Die Ehe, Nr. 5). Ferner ist es nach syrischem Eherecht möglich, dass ein Mann mit bis zu vier Frauen zur gleichen Zeit die Ehe schließt; auch hier ist die staatliche Mitwirkung in Form der Einwilligung des Gerichts keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die polygyne Ehe (MPI für ausländisches und internationales Privatrecht, a.a.O., Nr. 1). [...]