VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 28.04.2020 - 10 L 382.19 - asyl.net: M28577
https://www.asyl.net/rsdb/M28577
Leitsatz:

Abgrenzung zwischen Betreten und Durchsuchen einer Wohnung zum Zweck der Abschiebung:

1. Auch wenn sich die Polizei gewaltsam Zutritt zum Zimmer der abzuschiebenden Person verschafft hat, handelt es sich um ein Betreten i.S.d. § 58 Abs. 5 AufenthG, nicht um eine Durchsuchung i.S.d. § 58 Abs. 6 AufenthG. Daran ändert auch nichts, dass sich die betroffene Person in ihrem Bett aufhielt und sich eine weitere dort wohnende Person im Zimmer befand.

2. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, an der Verfassungsmäßigkeit des § 58 Abs. 5 AufenthG zu zweifeln.

(Leitsätze der Redaktion)

Anmerkung des Einsenders:

Die Ansicht des Verwaltungsgerichts ist nicht nachvollziehbar. Wenn sich die Polizei zum Zwecke einer Abschiebung mit einem Rammbock Zugang zu einem Zimmer verschafft, sieht das Gericht darin keine Durchsuchung, obwohl dieser Vorgang von vornherein erkennbar eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird. Das aber ist ein Kriterium, das nach dem BVerfG für eine Durchsuchung spricht (BVerfG, Beschl. v. 16.06.1987, 1 BvR 1202/84, Rz. 38). Auch wenn hier statt einer Durchsuchung nur ein Betreten des Zimmers angenommen wird, bleibt das Gericht eine Antwort auf die Frage schuldig, warum dies zur Abwehr einer dringenden Gefahr erforderlich sein soll. Das Vorliegen einer solchen Gefahr ist aber nach Art. 13 Abs. 7 GG zwingend erforderlich. Eine dringende Gefahr setzt eine besondere zeitliche Nähe des Schadenseintritts oder eine Gefahr für ein besonders hohes Rechtsgut voraus, möglicherweise sogar beides zugleich (vgl. Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 13 Rn. 37). Beides ist in diesem Zusammenhang nicht gegeben. Die Abschiebung dient nicht dem Schutze von Leib, Leben, Freiheit oder vergleichbar hoher Rechtsgüter. Sie erfolgt auch nicht spontan, sondern setzt eine gewisse Planung voraus, da z.b. Flüge gebucht werden müssen. Wenn für Flugbuchungen Zeit ist, ist auch Zeit, um die gerichtliche Anordnung einzuholen.

Schlagwörter: Wohnungsdurchsuchung, Abschiebung, Betreten, Verfassungsmäßigkeit,
Normen: AufenthG § 58 Abs. 5, AufenthG § 58 Abs. 6, AufenthG § 58 Abs. 7, AufenthG § 58 Abs. 8, AufenthG § 58 Abs. 9, AufenthG § 48 Abs. 3 S. 2,
Auszüge:

[...]

Die Polizeibeamten haben die Wohnung des Antragstellers am 10. September 2019 nur betreten und nicht im Sinne des § 58 Abs. 6 bis 9 AufenthG durchsucht. Für den Begriff der Durchsuchung kennzeichnend ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will (BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 1987 - 1 BvR 1202/84 -, BVerfGE 76, 83-92, Rn. 26, zitiert nach juris). Dies war hier nicht der Fall. Sowohl aus dem Vortrag des Antragstellers als auch aus dem bereits genannten Tätigkeitsbericht des Antragstellers ergibt sich, dass sich der Antragsteller in seinem überschaubaren Zimmer im Bett aufhielt und sofort von den Polizeibeamten angesprochen wurde. Der Antragsteller öffnete zwar nicht die Tür, versteckte sich aber auch nicht in seinem Zimmer. Dass er von den Beamten nach Öffnen der Tür gesucht werden musste, hat er selbst nicht behauptet. Er hat auch nicht etwa dargelegt, dass er sich eine Verwechslung mit seinem Mitbewohner erhoffte. Der einzige Verweis auf die Aufforderung der Beamten an ihn und seinen Mitbewohner, ihre Ausweise zu zeigen, reicht dafür nicht aus. Der vorgetragene Tritt gegen sein Bett deutet vielmehr darauf hin, dass er ohne weiteres erkannt wurde. Der Antragsgegner hat, ohne sich in Widerspruch zu den Angaben des Antragstellers zu setzen, unter Verweis auf den Tätigkeitsbericht vom 10. September 2019 dargelegt, dass die Beamten den Antragsteller bereits aus dem Türrahmen erkannt hätten. Der Verweis des Antragstellers, dass sich dies aus dem Polizeibericht nicht ergebe, geht damit fehl. Warum das sofortige Erkennen unwahrscheinlich sein soll, ist nicht nachvollziehbar, zumal der Antragsgegner dargetan hat, dass den Polizeibeamten ein Passbild des Klägers vorgelegen habe. [...]

Hinsichtlich des Betretens seines Zimmers ohne Durchsuchungsbeschluss hat der Antragsteller auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Denn das Betreten des Zimmers durch die Beamten des Antragsgegners am ... September 2019 erfolgte nach den Vorgaben des § 58 Abs. 5 AufenthG und war somit rechtmäßig. Danach kann die die Abschiebung durchführende Behörde, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Dies war hier der Fall. Es bestanden Anhaltspunkte dafür, dass sich der Antragsteller in seinem Zimmer befand, als die Beamten an die Tür klopften. Der Antragsteller öffnete trotz des Klopfens seine Tür nicht und blieb in seinem Bett.

Anhaltspunkte dafür, an die Verfassungsmäßigkeit des § 58 Abs. 5 AufenthG zu zweifeln, hat das Gericht nicht. Das in § 58 Abs. 5 AufenthG in klarer Abgrenzung zu § 58 Abs. 6 bis 9 AufenthG geregelte Betreten unterliegt nicht einem Richtervorbehalt nach Art. 13 Abs. 2 GG (vgl. VG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Dezember 2019 - 3 K 7772/19 -, Rn. 19, juris). Der Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG ist auch gemäß Art. 13 Abs. 7 GG gerechtfertigt. Danach dürfen sonstige Eingriffe und Beschränkungen, zu denen das Betreten einer Wohnung gehört (vgl. Maunz/Dürig/Papier, 89. EL Oktober 2019, GG Art. 13 Rn. 117) nur u.a. auf Grund eines Gesetzes zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgenommen werden. Ein Gesetz liegt durch die vorzitierte Norm vor. Die Durchführung der Abschiebung eines sich illegal im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländers erfolgt zu diesem Zwecke. Das Verfahren war im Hinblick auf die von Klägerseite vertretene Verfassungswidrigkeit des § 58 Abs. 5 AufenthG auch nicht deswegen offen, weil diese Ansicht von Stimmen in der Rechtsliteratur geteilt wird. Dies allein reicht nicht aus, vielmehr müsste im Hinblick auf die einschlägige Norm eine uneinheitliche Entscheidungspraxis der Gerichte vorliegen (vgl. etwa BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 05. Dezember 2018 - 2 BvR 2257/17 -, Rn. 22 f., zitiert juris), welche hier weder mitgeteilt noch bekannt ist. Das einzig von Klägerseite zitierte Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg (VG Hamburg, Urteil vom 15. Februar 2019 - 9 K 1669/18 -, Rn. 3, juris) erging noch vor Inkrafttreten des § 58 Abs. 5 AufenthG am 21. August 2018. [...]