OVG Rheinland-Pfalz

Merkliste
Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28.05.2020 - 7 A 10904/18 (Asylmagazin 8/2020, S. 280 f.) - asyl.net: M28598
https://www.asyl.net/rsdb/M28598
Leitsatz:

Ablehnung des Asylantrags als unzulässiger Zweitantrag bei rechtskräftig festgestelltem Abschiebungsverbot rechtswidrig:

"Hat schon das Verwaltungsgericht rechtskräftig entschieden, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt, sind die Beteiligten hieran nach § 121 Nr. 1 VwGO auch im Hinblick auf eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a oder Nr. 2 AsylG gebunden (vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 7. April 2020 – 11 A 4601/18.A –) (Rn.17)(Rn.21)."

(Amtlicher Leitsatz; anschließend an EuGH Urteil vom 13.11.2019 - C-540/17; C-541/17 Deutschland gg. Hamed und Omar - Asylmagazin 1-2/2020, s. 35 f. - asyl.net: M27836)

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, internationaler Schutz in EU-Staat, Bulgarien, Drittstaatenregelung, materielles Asylrecht, Rechtskraft, Bindungswirkung, Hamed und Omar, Hamed, Omar
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG Abs. 5, EMRK Art. 3, GR-Charta Art. 4, GR-Charta Art. 52 Abs. 3, VwGO § 121
Auszüge:

[...]

13 Die Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage auch in ihrem gegen die Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids gerichteten Hauptantrag stattgeben müssen. Die dort von der Beklagten getroffene Unzulässigkeitsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der Frage, ob die Ablehnung der Asylanträge hinsichtlich sämtlicher Kläger unmittelbar auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt werden konnte, oder die Klägerin zu 3) als in Bulgarien bisher noch nicht anerkannt Schutzberechtigte jedenfalls nicht in den direkten Anwendungsbereich dieser Vorschrift fällt, steht einer Unzulässigkeitsentscheidung vorliegend die rechtskräftige  Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK entgegen. [...]

17 3. Diese Frage bedarf vorliegend allerdings keiner abschließenden Entscheidung. Denn in jedem Fall scheitert eine Unzulässigkeitsentscheidung, wenn im Falle der Rückführung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – GRC – oder Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – besteht. Das Vorliegen solch einer Gefahr hat aber schon das Verwaltungsgericht rechtskräftig und für die Beteiligten verbindlich festgestellt. [...]

21 5. Das Bestehen einer der Unzulässigkeitsentscheidung damit in beiden Fällen entgegenstehenden Gefahr im Sinne von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK hat das Verwaltungsgericht rechtskräftig festgestellt. Hieran sind die Beteiligten nach § 121 Nr. 1 VwGO gebunden. [...]

23 Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. In diesem Umfang tritt damit materielle Rechtskraft ein, d.h. der durch das Urteil ausgesprochene Inhalt ist in jedem Verfahren zwischen den Beteiligten bindend. Die erfolgreiche Verpflichtungsklage stellt bindend fest, dass der Kläger gegenüber der Behörde einen Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts hat, mithin die Unterlassung der begehrten Handlung rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Damit ist rechtskräftig festgestellt, dass die Behörde zum Erlass des Verwaltungsakts verpflichtet ist und die Voraussetzungen der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage vorliegen (vgl. Kilian/Hissnauer, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 121 Rn. 83 m.w.N.). Die Rechtskraft entfaltet Wirkung nicht nur in einem nachfolgenden Prozess mit identischem Streitgegenstand, sondern auch dann, wenn in einem weiteren Verfahren zwischen denselben Beteiligten die rechtskräftig entschiedene Frage vorgreiflich für die Beurteilung des nunmehr zur Entscheidung stehenden Rechtsverhältnisses ist (vgl. Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL 2019, § 121 Rn. 24 m.w.N.).

24 So liegt der Fall hier. Die Entscheidungen über die beiden Streitgegenstände – die Feststellung eines auf Art. 3 EMRK zurückzuführenden Abschiebungsverbots und eine aus demselben Grunde rechtswidrige Unzulässigkeitsentscheidung – können nicht auseinanderfallen. Die (Teil-)Rechtskraft des angefochtenen Urteils hindert deshalb daran, die allein verbliebene Unzulässigkeitsentscheidung aufrecht zu erhalten. [...]