VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 22.06.2020 - 25 L 123/20.A - asyl.net: M28629
https://www.asyl.net/rsdb/M28629
Leitsatz:

Keine Unterbrechung der Dublin-Überstellungsfrist bei Aussetzung des Verfahrens wegen Corona-Pandemie:

Die behördliche Aussetzung der Vollziehung der Überstellungsentscheidung "bis auf weiteres" aufgrund der fehlenden tatsächlichen Überstellungsmöglichkeit nach Frankreich wegen des Corona-Virus führt nicht zur Unterbrechung der Überstellungsfrist im Dublinverfahren.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15.05.2020 - 10 A 596/19 - asyl.net: M28449)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Abschiebungsanordnung, Corona-Virus, Überstellungsfrist, Aussetzung der Vollziehung, Fristablauf, Frankreich,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Bst. a, VO 604/2013 Art. 27 Abs. 3, VO 604/2013 Art. 27 Abs. 4, VO 604/2013 Art. 28, VO 604/2013 Art. 29 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 29 Abs. 2 S. 1, VwGO § 80 Abs. 4 S. 1 , VwGO § 80 Abs. 4 S. 3,
Auszüge:

[...]

Entgegen der Auffassung des Bundesamtes hat sich die Überstellungsfrist auch deshalb nicht verlängert, weil es dem Antragsteller mit Schreiben vom 8. April 2020 mitgeteilt hat, dass es die Vollziehung der Abschiebungsanordnung nach § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO ausgesetzt hat. Dem steht auch nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 8. Januar 2019 - BVerwG 1 C 16.18 - juris Rn. 19 ff.) die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch die Behörde generell geeignet ist, die in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehene Überstellungsfrist zu unterbrechen: Eine behördliche Aussetzungsentscheidung darf hiernach auch unionsrechtlich jedenfalls dann ergehen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen; dann haben die Belange eines Antragstellers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes offenkundig Vorrang vor dem Beschleunigungsgedanken {vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Januar 2019 - BVerwG 1 C 16.18 -, juris Rn. 27 ff. m.w.N.).

Ausgehend hiervon durfte die behördliche Aussetzungsentscheidung nicht ergehen, weil es dem Bundesamt nicht darum ging, den Belangen des Antragstellers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes hinsichtlich der noch offenen Anfechtungsklage, die einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO Rechtsbehelf darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Januar 2019 - BVerwG 1 C 16.18 -, juris Rn. 29), Rechnung zu tragen. Vielmehr erfolgte die behördliche Aussetzung "bis auf weiteres" allein aufgrund der fehlenden tatsächlichen Überstellungsmöglichkeit nach Frankreich und nicht aufgrund einer rechtlichen Überprüfung der Überstellungsentscheidung selbst (vgl. hierzu auch: VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Mai 2020 - 15 L 776/20.A -, juris Rn. 16; VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15. Mai 2020 - 10 A 596/19 -, juris Rn. 19). Im Übrigen sind auch keine weiteren Rechtsgrundlagen benannt oder ersichtlich, wonach es dem Bundesamt möglich wäre, vom Zuständigkeitsübergang nach Ablauf der in Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO vorgesehenen Frist abzuweichen (vgl. hierzu auch Europäische Kommission, COVID-19: Hinweise zur Umsetzung der einschlägigen EU-Bestimmungen im Bereich der Asyl- und Rückführungsverfahren und zur Neuansiedlung vom 17. April 2019, C 126/16, S. 5) ... [...]