Formale Antwort auf Aufnahmegesuch nicht ausreichend:
"Die Ablehnung eines Aufnahmegesuchs mit dem bloßen Hinweis auf nicht näher benannte Unregelmäßigkeiten beim Nachweis der Familienangehörigkeit ist bei wertender Betrachtung im konkreten Einzelfall als rein formale Antwort anzusehen, die nicht genügt, um einen Fristablauf und Zuständigkeitsübergang nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO auszuschließen (vgl. EuGH, Urteil vom 13.11.2018 - C-47/17 u. C-48/17 -, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 30.07.2019 - A 1 K 4345/19 -, BeckRS 2019, 25456)."
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
34 Die Antragsgegnerin hat zwar auf das Aufnahmegesuch der griechischen Behörden vom 02.04.2018 am 15.05.2018, also grundsätzlich innerhalb der Zwei-Monats-Frist des Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO, geantwortet und das Gesuch abgelehnt. Allerdings handelt es sich bei wertender Betrachtung um eine rein formale Antwort, die nicht genügt, um einen Fristablauf und Zuständigkeitsübergang nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO auszuschließen (vgl. zu den Maßstäben EuGH, Urteil vom 13.11.2018 - C-47/17, C-48/17 -, juris Rn. 67; vgl. auch VG Karlsruhe, Beschluss vom 30.07.2019, a.a.O., Rn. 50 ff.). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seiner vorgenannten Entscheidung vom 13.11.2018 ausdrücklich klargestellt, dass die Wirkungen des Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO, die an den Umstand knüpfen, dass bei Ablauf der zwingenden Fristen nach Art. 22 Abs. 1 und 6 Dublin III-VO auf ein Gesuch um Aufnahme keine Antwort erteilt worden ist, nicht durch den Versand einer rein formalen Antwort an den ersuchenden Mitgliedstaat umgangen werden können. Aus Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO geht nämlich hervor, dass der ersuchte Mitgliedstaat unter Beachtung dieser zwingenden Fristen sämtliche Überprüfungen vornehmen muss, die erforderlich sind, um über das Gesuch um Aufnahme entscheiden zu können. Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 222, S. 3), zuletzt geändert durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (ABl. 2014, L 39, S. 1), - Durchführungsverordnung - stellt ferner klar, dass in einer ablehnenden Antwort auf ein solches Gesuch ausführlich sämtliche Gründe zu erläutern sind, die zu der Ablehnung geführt haben (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 13.11.2018, a.a.O., Rn. 67).
35 Gemessen daran ist die äußerst knappe ablehnende Antwort des Bundesamts vom 15.05.2018 unter Hinweis auf nicht näher benannte Unregelmäßigkeiten bei den Nachweisen für die Familienangehörigkeit der Antragsteller als eine rein formale Antwort anzusehen, welche einem Fristablauf und entsprechenden Zuständigkeitsübergang nicht entgegensteht. Die griechischen Asylbehörden haben ihrem Aufnahmegesuch vom 02.04.2018 - neben der Information über den bei der gemeinsamen Asylantragstellung der Antragsteller zu 1 bis 8 geäußerten Wunsch der Antragsteller zu 1 und 2 auf Familienzusammenführung mit den in Deutschland lebenden Antragstellern zu 9 und 10 - zahlreiche Unterlagen beigefügt, insbesondere Kopien des Auszugs aus dem syrischen Familienregister einschließlich Übersetzung, der Aufenthaltserlaubnisse der Antragsteller zu 9 und 10, die Erklärung des Antragstellers zu 1 zur Familienzusammenführung, die Erklärungen der Antragsteller zu 9 und 10 zur Familienzusammenführung mit ihren Eltern sowie Lichtbilder der Antragsteller zu 1 bis 8. Hierauf hat das Bundesamt in seinem ablehnenden Schreiben vom 15.05.2018 lediglich geantwortet, die Familienangehörigkeit werde stark angezweifelt, der Nachweis zur Familienangehörigkeit weise Unregelmäßigkeiten auf und um Vorlage der Original-Geburtsurkunden der Kinder werde gebeten. Wörtlich heißt es: "The evidence of family bonding provided shows irregularities. Please send us the original birth certificates of the children. The relationship between the above mentioned people ist strongly doubted". Weitere Angaben zu den Gründen, die zur Ablehnung geführt haben, enthält das Antwortschreiben nicht. Insbesondere sind die Unregelmäßigkeiten weder konkret bezeichnet noch näher erläutert. Der pauschale Verweis auf Unregelmäßigkeiten bei den vorgelegten Nachweisen genügt, worauf die griechischen Behörden in ihrem Remonstrationsschreiben vom 04.06.2018 zutreffend hingewiesen haben, nicht ansatzweise den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 der Durchführungsverordnung, wonach der ersuchte Mitgliedstaat in der ablehnenden Antwort ausführlich sämtliche Gründe zu erläutern hat, die zu der Ablehnung geführt haben. Das pauschale Antwortschreiben des Bundesamts ermöglicht weder den griechischen Behörden noch den Gerichten eine sachgerechte Überprüfung der Ablehnung und erschwert auch eine "Nachbesserung" zur Wiederherstellung der Familieneinheit im Wege des Remonstrationsverfahrens nach Art. 5 der Durchführungsverordnung. Dem Antwortschreiben ist nicht zu entnehmen, dass sich die Antragsgegnerin mit den Angaben der griechischen Behörden sowie den übermittelten zahlreichen Kopien von Beweismitteln und Indizien (vgl. Art. 22 Abs. 3 Dublin III-VO i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Anhang II der Durchführungsverordnung) ernsthaft auseinandergesetzt hätte. Auch in der Sache ist nicht erkennbar, worauf die pauschal behaupteten starken Zweifel an der Familienangehörigkeit gründen und weshalb die Original-Geburtsurkunden der Kinder (also der Antragsteller zu 3 bis 10) pauschal angefordert werden. Eine spätere Korrespondenz des Bundesamts mit einem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller lässt zwar vermuten, dass die Unregelmäßigkeiten aus den mitgeteilten Geburtsdaten der Antragsteller zu 7 und 8 (23.12.2016 und 10.05.2017) herrühren, was im Schreiben vom 15.05.2018 aber gerade nicht aufgeführt wurde. Dies rechtfertigt in der Sache zwar möglicherweise Zweifel an der Richtigkeit der Geburtsdaten der Antragsteller zu 7 und 8, stellt aber nicht ohne weiteres die familiäre Zusammengehörigkeit ernsthaft in Frage (vgl. Art. 22 Abs. 4 Dublin III-VO); zumal entsprechende Bedenken im Schreiben vom 15.05.2018 nicht mitgeteilt wurden. Angesichts des im Aufnahmegesuch mitgeteilten Sachverhalts einschließlich der vorgelegten umfangreichen Beweise und Indizien sowie der - der Antragsgegnerin bekannten - Angaben der Antragsteller zu 9 und 10 im Rahmen ihrer Anhörungen vor dem Bundesamt am 14.12.2016, die sich konsistent den Angaben im Aufnahmegesuch zuordnen lassen, hätte die Ablehnung des Bundesamts vom 15.05.2018 einer ausführlichen Begründung bedurft, die jedoch unterblieben ist. Es besteht überdies kein Anlass, daran zu zweifeln, dass die Antragsteller zu 1 und 2 die Eltern der Antragsteller zu 9 und 10 und jedenfalls die Antragsteller zu 3 bis 6 die Kinder der Antragsteller zu 1 und 2 und die Geschwister der Antragsteller zu 9 und 10 sind. Vor diesem Hintergrund erscheint die pauschale Behauptung des Bundesamts im Schreiben vom 15.05.2018, es bestünden starke Zweifel an der Familienangehörigkeit, und das nicht weiter begründete Anfordern der Original- Geburtsurkunden aller Kinder (vgl. Art. 22 Abs. 4 Dublin III-VO) nicht bloß undifferenziert, sondern ohne Bezug zum konkreten Sachverhalt und ohne Würdigung der von dem ersuchenden Mitgliedstaat vorgelegten Beweise und Indizien und damit letztlich formelhaft. Eigene Bemühungen zur Aufklärung der eventuellen Ungereimtheiten und des Sachverhalts hat die Antragsgegnerin innerhalb der Frist von zwei Monaten entgegen ihrer Verpflichtung aus Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO (vgl. EuGH, Urteil vom 13.11.2018, a.a.O., juris Rn. 67) nicht unternommen. Sie hat lediglich mit Schreiben vom 09.05.2018 den Vormündern der Antragsteller zu 9 und 10 das Übernahmeersuchen weitergeleitet und um Rückmeldung bis 30.05.2018 bzw. 25.06.2018 gebeten, sofern Bedenken bezüglich der Aufnahme der Familienmitglieder bestünden. Mögliche Zweifel am Bestehen der familiären Beziehungen wurden in diesen Schreiben nicht erwähnt. Die Schreiben vermitteln vielmehr den Eindruck, dass die Antragsgegnerin selbst davon ausging, dass es sich bei den Antragstellern zu 1 bis 8 um Familienmitglieder der Antragsteller zu 9 und 10 handelt. Schließlich hat das Bundesamt bereits wenige Tage nach diesen Schreiben am 15.05.2018 das Gesuch abgelehnt, ohne den Ablauf der darin eingeräumten Fristen abzuwarten. Der allein auf nicht näher benannte Unregelmäßigkeiten bei den Nachweisen und der pauschalen Behauptung des Bestehens starker Zweifel an der Familienangehörigkeit der Antragsteller gestützten, entsprechend knappen ablehnenden Antwort der Antragsgegnerin kommt bei wertender Betrachtung der Gesamtumstände im konkreten Einzelfall damit ein rein formaler Charakter zu. [...]