VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Beschluss vom 04.08.2020 - 8 A 434/19 MD - asyl.net: M28757
https://www.asyl.net/rsdb/M28757
Leitsatz:

Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen:

1. Die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG kann nach Erteilung einer AE nach § 25 Abs. 5 AufenthG nicht mehr entgegengehalten werden.

2. Das Ausweisungsinteresse ist nach Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis möglicherweise verbraucht. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, Titelerteilungssperre, Ausweisungsinteresse, Prozesskostenhilfe, Visumsverfahren,
Normen: VwGO § 166 VwGO, ZPO § 114 S. 1, AufenthG 3 25 Abs. 5, AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, AufenthG § 10 Abs. 3, AufenthG 3 27 Abs. 3 S. 2,
Auszüge:

[...]

Nach der hier gebotenen summarischen Prüfung kann der Klägerin voraussichtlich auch die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG nicht mehr entgegengehalten werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zuletzt Urt. v. 24.05.2020 - 1 C 12.19 -, juris) greift die Sperrwirkung gemäß § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG bei Bestehen eines strikten Rechtsanspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht. Einen solchen strikten Rechtsanspruch vermittelt§ 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG. Diesem Anspruch kann dann nicht mit Erfolg die mangelnde Durchführung des Visumsverfahrens i. S. d. § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG entgegengehalten werden, wenn die Behörde dem Ausländer - wie hier der Klägerin ab dem 28.04.2017 - bereits eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt hat. Denn mit der Legalisierung des Aufenthalts durch die Erlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sei dem Ausländer gemäߧ 39 Nr. 1 AufenthVO vom Inland aus der Aufenthaltstitel zu erteilen. Derjenige, der sich - wie hier vermittels § 25 Abs. 5 AufenthG - bereits legal im Bundesgebiet aufhalte, sei nicht mehr auf die Durchführung des Visumsverfahrens vom Ausland aus zu verweisen. Für die Anwendung des § 39 Nr. 1 AufenthVO sei es dabei unerheblich, ob der Ausländer ursprünglich unerlaubt eingereist sei. [...]

Dabei wird zu bewerten sein, ob das von der Beklagten zur Begründung der Antragsablehnung angeführte Ausweisungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aktuell noch vorhanden oder bereits durch die Erteilung der humanitären Aufenthaltserlaubnis des § 25 Abs. 5 AufenthG verbraucht ist. In der Hauptsache wird weiter zu klären sein, ob die Beklagte ermessensfehlerhaft nicht nach § 27 Abs. 3 S. 2 AufenthG von der Regelerteilungsvoraussetzung abgesehen hat. Zwar hat die Klägerin - wie von der Beklagten ausgeführt - im Asyl- und anschließend im aufenthaltsrechtlichen Verfahren über ihre Identität getäuscht. Dies ist objektiv geeignet, ein spezialpräventives (vgl. § 54 Abs. 2 Nr. 8 und 9 AufenthG) wie auch ein generalpräventives Interesse zu begründen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.07.2018 - 1 C 16/17-, juris). Die behördliche Einzelfallentscheidung hat aber den durch Art. 7 der Charta der Grundrechte der EU verbürgten Schutz der Familie und des Kindeswohls in unionsrechtskonformer Weise in die Abwägung einzustellen. [...]

b) Auch hinsichtlich des weiteren Streitgegenstandes - des aus Art. 20 AEUV abgeleiteten unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts - besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht. Denn das Bestehen eines solchen Anspruchs erweist sich nach summarischer Prüfung nicht als völlig fernliegend. Zwar genügt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs das Bestehen einer familiären Bindung zwischen dem minderjährigen Unionsbürger und dem drittstaatsangehörigen Elternteil für sich genommen noch nicht, um dem Elternteil, der Drittstaatsangehöriger ist, ein aus Art. 20 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht zuzuerkennen (vgl. EuGH, Urt. v. 08.05.2018 - C-82/16 -, CURIA). Artikel 20 AEUV steht allerdings nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass den Unionsbürgern - hier dem minderjährigen Sohn der Klägerin - der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte aus dem Unionsbürgerstatus verwehrt wird und sie - hier der Sohn der Klägerin - bei Nichtgewährung der Aufenthaltsgewährung gezwungen wären, das Gebiet der Europäischen Union mit dem drittstaatsangehörigen Elternteil zu verlassen (vgl. EuGH, Urt. v. 08.03.2011 - C-34/09 -, juris).

Die Voraussetzungen des aus Art. 20 AEUV abgeleiteten Anspruchs erfüllt die Klägerin nach summarischer Prüfung insoweit, als zwischen ihr als Drittstaatsangehöriger und ihrem Sohn als Unionsbürger das erforderliche persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnis besteht. Dem Sohn der Klägerin stehen mittels seiner deutschen Staatsbürgerschaft auch die Unionsbürgerschaft und hieran anknüpfend die mit der Unionsbürgerschaft einhergehenden Rechte zu. Der Junge ist zudem erst sechs Jahre alt und lebt mit der Klägerin, die ihn versorgt, allein in einem Haushalt. Unterhalt wird durch den rechtlichen Vater nicht geleistet. [...]