VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Beschluss vom 05.08.2020 - 8 L 2311/20.TR - asyl.net: M28767
https://www.asyl.net/rsdb/M28767
Leitsatz:

Ein Asylantrag darf nicht wegen verspäteter Antragstellung nach § 30 Abs. 3 Nr. 4 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden, wenn der Aufenthalt vorher anderweitig gesichert war, so dass es zwar ausreichend Gelegenheit, aber keinen Anlass für eine Asylantragstellung gab.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: offensichtlich unbegründet, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Asylantragstellung, Unverzüglichkeit, Aufenthaltstitel, Aufenthaltserlaubnis,
Normen: AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 4,
Auszüge:

[...]

Offen bleiben kann, ob der Antragsteller i.S.d. § 30 Abs. 3 Nr. 4 AsylG eine zuvor bestandene ausreichende Gelegenheit zur Stellung seines Asylantrags ungenutzt hat verstreichen lassen. An einer ausreichenden Gelegenheit einen Asylantrag zu stellen fehlt es dabei nicht nur dann, wenn objektiv eine solche Gelegenheit nicht gegeben war. Auch fehlt es an diesem Tatbestandsmerkmal jedenfalls nach wohl überwiegender Ansicht dann, wenn der Ausländer wegen eines anderweitig gesicherten Status keine subjektive Veranlassung gesehen hat, zu einem früheren Zeitpunkt einen Asylantrag zu stellen, um Schutz vor der von ihm befürchteten Verfolgung zu erhalten. Denn neben der objektiven Gelegenheit ist auch ein hinreichender Anlass für eine frühere Asylantragstellung vorauszusetzen, um eine Obliegenheitsverletzung des Ausländers begründen zu können, die ihrerseits ein Offensichtlichkeitsurteil rechtfertigt (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 6. Februar 2019 - A 14 K 221/19 -, juris, Rn. 9; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Januar 2019 - 3 L 2586/18.A -, juris, Rn. 39; BeckOK AuslR/Heusch, 25. Edition, 1. März 2020, § 30 AsylG, Rn. 45). [...]

Denn um den Anwendungsbereich des § 30 Abs. 3 Nr. 4 AsylG zu eröffnen, wird weiter vorausgesetzt, dass dem Ausländer eine Aufenthaltsbeendigung drohen muss. Dieses Tatbestandsmerkmal stellt einen engen zeitlichen Zusammenhang mit der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme her und verlangt eine zeitliche Nähe zwischen Asylantragstellung und der drohenden Durchführung der Aufenthaltsbeendigung. Es ist dabei umstritten, ob hinsichtlich der drohenden Aufenthaltsbeendigung allein die subjektive Absicht des Ausländers oder objektive Kriterien maßgeblich sind. Die grammatikalische Auslegung spricht in Übereinstimmung mit Art. 31 Abs. 8 lit. g) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes - Asylverfahrensrichtlinie - dafür, nicht (allein) auf die subjektive Vorstellung des Ausländers, sondern auf die Möglichkeit einer zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht und die konkretisierte Absicht der für die Aufenthaltsbeendigung zuständigen Behörde, aufenthaltsbeendende Maßnahmen in naher Zukunft zu ergreifen, abzustellen. Denn der Wortlaut der Norm stellt mit der Formulierung "um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden", eine subjektive Mittel-Zweck-Relation allein zwischen der Asylantragstellung und der Abwendung einer drohenden Aufenthaltsbeendigung her. Die Aufenthaltsbeendigung, die der Ausländer mit seiner Asylantragstellung abwenden will, muss somit drohen. Hätte der Gesetzgeber auch hinsichtlich der Aufenthaltsbeendigung allein auf die subjektive Sicht des Ausländers abstellen wollen, hätte es nahegelegen, das Adjektiv "befürchtete" oder die Wendung "aus Furcht vor einer Aufenthaltsbeendigung" zu verwenden. § 30 Abs. 3 Nr. 4 AsylG geht zudem auf Art. 31 Abs. 8 lit. g) Asylverfahrensrichtlinie zurück. Dieser bestimmt, dass die Mitgliedstaaten festlegen können, dass das Prüfungsverfahren im Einklang mit den Grundsätzen und Garantien der Asylverfahrensrichtlinie beschleunigt und/oder an der Grenze oder in Transitzonen nach Maßgabe von Art. 43 Asylverfahrensrichtlinie durchgeführt wird, wenn der Antragsteller den Antrag nur zur Verzögerung oder Behinderung der Vollstreckung einer bereits getroffenen oder unmittelbar bevorstehenden Entscheidung stellt, die zu seiner Abschiebung führen würde. Die Asylverfahrensrichtlinie geht somit davon aus, dass eine Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Entscheidung oder deren unmittelbares Bevorstehen Voraussetzung für eine beschleunigte Durchführung des Asylverfahrens ist. Diese Voraussetzung kann allerdings nur nach objektiven Kriterien bestimmt werden. Die grammatikalische Auslegung stimmt daher mit der maßgeblichen Bestimmung der Asylverfahrensrichtlinie überein. Schließlich spricht für dieses Auslegungsergebnis die exekutive Praktikabilität und die gerichtliche Überprüfbarkeit, weil die subjektive Vorstellung des Ausländers darüber, ob ihm eine Aufenthaltsbeendigung droht, naturgemäß nur schwer oder gar nicht feststellbar ist (vgl. VG Dresden, Beschluss vom 18. September 2019 - 13 L 674/19.A -, juris, Rn. 19; VG Freiburg, Beschluss vom 6. Februar 2019 - A 14 K 221/19 -, juris, Rn. 11 ff. m.w.N.; a.A. BeckOK AuslR/Heusch, 25. Edition, 1. März 2020, § 30 AsylG, Rn. 46, wonach allein die subjektive Sicht des Antragstellers maßgeblich sein soll). [...]