VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 03.08.2020 - A 9 K 9336/17 - asyl.net: M28781
https://www.asyl.net/rsdb/M28781
Leitsatz:

Flüchtlingsschutz für Person aus Nordkorea bei Lebensmittelpunkt in Deutschland:

"1. Nach Art. 9 des "Act On The Protection And Settlement Support Of Residents Escaping From North Korea" kann einer Person kein Schutz gewährt werden, die "ihren Lebensunterhalt über einen längeren Zeitraum in einem anderen Land verdient hat. Südkorea ist demnach ausnahmsweise nicht bereit, einen nordkoreanischen Flüchtling aufzunehmen, wenn er seinen Lebensmittelpunkt in einem Drittstaat hat.

2. Ein nordkoreanischer Flüchtling, der seit 17 Jahren in Deutschland lebt und eine Familie gegründet hat, hat seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland. Für die Frage, ob ein Nordkoreaner seinen Lebensmittelpunkt in einem Drittland hat, kommt es neben dem zeitlichen Aspekt auch auf weitere Umstände des Einzelfalls an."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Südkorea, Nordkorea, Volksrepublik Korea, Republik Korea, Flüchtlingseigenschaft, Staatsangehörigkeit, doppelte Staatsangehörigkeit, politische Verfolgung, Act On The Protection And Settlement Support Of Residents Escaping From North Korea,
Normen: AsylG § 3 Abs. 1, GG Art. 16a, GFK Art. 1 A Abs. 2,
Auszüge:

[...]

26 b) Nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs.1 VwGO) steht es für das Gericht fest, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Nordkorea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung seitens des nordkoreanischen Staates von flüchtlingsrechtlich relevanter menschenwürdeverletzender Intensität und Schwere droht, nämlich in Form einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte nach § 3a Abs. 1 AsylG.

27 Der Kläger ist im Jahr 2000 mit seiner Familie unerlaubt aus Nordkorea ausgereist und zunächst nach China geflüchtet. Die Ausreise aus Nordkorea ist aber grundsätzlich verboten. Die Regierung versucht zu verhindern, dass Nordkoreaner in Drittländer fliehen. Die Flucht in ein Drittland wird als Landesverrat ("treachery against the nation") angesehen. Zurückgeführte Nordkoreaner habe Missbräuche, jahrelange Haftstrafen und den Tod zu befürchten (Human Rights Watch, World Report 2020 vom 04.01.2020, North Korea, abrufbar unter: www.ecoi.net/de/dokument/2022809.html, zuletzt abgerufen am 31.07.2020; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 11.02.2020, S. 17; Amnesty International, Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 – North Korea). [...]

31 a) Für den Fall, dass eine Person mehr als eine Staatsangehörigkeit hat, bezieht sich nach der Legaldefinition des Art. 1 A Abs. 2 Satz 2 der GFK der Ausdruck "das Land, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt" auf "jedes der Länder, dessen Staatsangehörigkeit diese Person hat". [...]

32 Damit sind nach der Genfer Flüchtlingskonvention Personen, die zwei oder mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen, von der Anerkennung als Flüchtling wegen Nichterfüllung des Flüchtlingsbegriffs ausgeschlossen, wenn sie den Schutz eines dieser Staaten in zumutbarer Weise in Anspruch nehmen können.

33 Vor diesem Hintergrund ist es seit Jahren nicht nur einhellige Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte sondern auch der Asylgerichte anderer Aufnahmestaaten in der Welt, dass Nordkoreaner keinen Anspruch auf eine Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 1 GG bzw. auf eine Flüchtlingsanerkennung nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben, weil sie automatisch auch die südkoreanische Staatsangehörigkeit besitzen, von Südkorea insofern auch aufgenommen werden, dort ungeachtet gewisser Diskriminierungen und Zurücksetzungen ohne existenzielle Probleme leben und arbeiten können und – sofern es sich nicht um desertierte nordkoreanische Militärangehörige oder hochrangige Funktionäre der nordkoreanischen kommunistischen Partei handelt – in Südkorea auch ausreichend sicher vor Übergriffen und Nachstellungen nordkoreanischer Agenten und Spione sind [...]. [...]

35 Nach Art. 9 des "Act On The Protection And Settlement Support Of Residents Escaping From North Korea" kann einer Person kein Schutz gewährt werden, die "ihren Lebensunterhalt über einen längeren Zeitraum in einem anderen Land verdient haben". Die Republik Südkorea ist demzufolge nicht mehr bereit, einen Nordkoreaner aufzunehmen, wenn sich dieser in einem dritten Land für längere Zeit aufgehalten – mehr als zehn Jahre – und dort seinen Lebensmittelpunkt errichtet hat (vgl. Auskunft der Botschaft der Republik Korea in Berlin vom 06.08.2004; AA, Auskunft an BAMF, vom 09.02.2010; AA, Auskunft an das VG Karlsruhe vom 18.06.2004; Art. 9 Act On The Protection And Settlement Support Of Residents Escaping From North Korea: "In determining whether or not to provide protection pursuant to the provision of the text of Article 8, Paragraph 1, such persons as stipulated in the following Subparagraphs may not be determined as protected persons. 1. International criminal offenders involved in aircraft hijacking, drug trafficking, terrorism or genocide, etc. 2. Offenders of nonpolitical, serious crimes such as murder, etc. 3. Suspects of disguised defection. 4. Persons who have for a considerable period earned their living in their respective country of domicile; and 5. Such other persons as recognized by the Presidential Decree as unfit for the designation as protected persons."). [...]