VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.10.2019 - 8 K 9489/17 - asyl.net: M28790
https://www.asyl.net/rsdb/M28790
Leitsatz:

Zumutbarkeit von Passbeschaffungsbemühungen für Biharis aus Bangladesch:

"[...] Ein Versagungsgrund für die Erlaubnis der Beschäftigung Geduldeter kann in fehlenden zumutbaren Hand­lungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschafftungspflicht liegen. Einem in Bangladesch geborenen Bihari ist es zumutbar, den vom Obersten Gerichtshof in Bangladesch im Jahr 2008 festgestellten Anspruch der in Bangladesch geborenen Biharis, die danach bangladeschische Staatsangehörige sind, auf Ausstellung von Identitätspapieren gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts notfalls gerichtlich durchzusetzen."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Passbeschaffung, Mitwirkungspflicht, Arbeitserlaubnis, Beschäftigungserlaubnis, Bangladesch, Bihari, Biharis, Staatenlosigkeit, Staatsangehörigkeit, Duldung für Personen mit ungeklärter Identität,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 6, AufenthG § 60b Abs. 1 S. 1, AufenthG § 60b Abs. 2 S.1, AufenthG § 60b Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Die Voraussetzungen des § 60b Abs. 1 Satz 1, letzte Variante AufenthG liegen vor. Danach wird einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer die Duldung im Sinne des § 60a AufenthG als "Duldung für Personen mit ungeklärter Identität" erteilt, wenn die Abschiebung aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, weil er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt oder er zumutbare Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nach Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 nicht vornimmt.

Die Abschiebung des Klägers nach Bangladesch ist derzeit tatsächlich unmöglich. Rückführungen von Deutschland nach Bangladesch sind nach den der Kammer zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nur mit einem gültigen bangladeschischen Reisepass oder einem Passersatzpapier ("Travel Permit") einer bangladeschischen Auslandsvertretung möglich (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, Stand: Mai 2019, S. 20f.).

Der Kläger ist derzeit nicht Inhaber eines bangladeschischen Reisepasses oder Passersatzpapiers. Nach eigenen Angaben hat er nie einen Nationalpass besessen. Die Ausstellung eines solchen Passes bzw. Passersatzpapiers ist bislang von der Botschaft der Volksrepublik Bangladesch tatsächlich nicht erfolgt und ausweislich der Bescheinigung der Bangladeschischen Botschaft ... vom 29. August 2016 werde ihm wegen seiner geltend gemachten Zugehörigkeit zur Bevölkerungsgruppe der Bihari kein Pass ausgestellt werden können. Die beschriebene Situation steht auch im Einklang mit der tatsächlichen Auskunftslage: Der Oberste Gerichtshof in Bangladesch stellte zwar im Jahr 2008 fest, dass in Bangladesch geborene Biharis bangladeschische Staatsangehörige sind, sie Anspruch auf Ausstellung von Identitätspapieren haben und ihnen das Wahlrecht zusteht. Trotz der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs werden den Biharis in vielen Fällen die Ausstellung von Identitätsdokumenten sowie die Anstellung im öffentlichen Dienst verwehrt. Regierungsvertreter haben gegenüber dem Auswärtigen Amt bei verschiedenen Anlässen erklärt, irreguläre Bihari-Migranten nicht zurückzunehmen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, Stand: Mai 2019, S. 11).

Allerdings hat der Kläger nicht die zumutbaren Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflichten nach § 60b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorgenommen. [...]

Dass die Ausstellung eines bangladeschischen Identitätspapiers für den Kläger von vornherein aussichtslos wäre, ist auch vor dem Hintergrund der Auskunftslage zu tatsächlich bestehenden Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Anspruchs nicht ersichtlich. Zunächst unterstellt die Kammer zu Gunsten des Klägers dessen Vortrag, er sei in Bangladesch geborener Bihari, als wahr. Für die in Bangladesch geborenen Biharis lässt die Formulierung im Lagebericht, dass den Biharis trotz der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs "in vielen Fällen" die Ausstellung von Identitätsdokumenten verwehrt werde, den Schluss zu, dass eine Durchsetzbarkeit gerade nicht in allen Fällen unmöglich ist. Es hätte dem Kläger oblegen, sich nicht mit der ablehnenden Antwort der Botschaft der Volksrepublik Bangladesch ... vom 29. August 2016 zufrieden zu geben und weitere Anstrengungen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf einen bangladeschischen Pass zu unternehmen. Namentlich hätte er sich nachweislich darum bemühen müssen, den vom Obersten Gerichtshof in Bangladesch im Jahr 2008 festgestellten Anspruch der in Bangladesch geborenen Biharis, die danach bangladeschische Staatsangehörige sind, auf Ausstellung von Identitätspapieren gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts notfalls gerichtlich durchzusetzen. Auf seine Pflicht zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung wurde der Kläger im Verwaltungsverfahren hingewiesen, § 60b Abs. 3 Satz 2 AufenthG. [...]