VG Frankfurt/Oder

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Zitieren als:
VG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 15.08.2019 - 2 L 285/19.A - asyl.net: M28815
https://www.asyl.net/rsdb/M28815
Leitsatz:

Drohende Todesstrafe in Vietnam wegen Drogendelikt, daher subsidiärer Schutz möglich:

Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage einer Person mit vietnamesischer Staatsangehörigkeit gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als offensichtlich unbegründet.

Möglicherweise besteht ein Anspruch auf subsidiären Schutz, weil wegen Drogendelikten in Deutschland (Mitarbeit bei einer Cannabisplantage) in Vietnam die Todesstrafe droht und in der erneuten Bestrafung auch ein Verbot gegen das Verbot der Doppelbestrafung liegt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Vietnam, Todesstrafe, Drogendelikt, subsidiärer Schutz, Doppelverfolgung, Doppelbestrafung,
Normen: AsylG § 29 a, AsylG § 30,
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller befürchtet die Todesstrafe im Hinblick auf seine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe durch das Landgericht Duisburg wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der Antragsteller war am Betrieb einer für den gewinnbringenden Handel bestimmten Cannabisplantage beteiligt. Festgestellt wurde nach Trocknung ein konsumfähiger Anteil Marihuana mit einer Gesamtmasse von 35.562,8 Gramm mit einer Masse von 821,81 Gramm reinem THC.

In drei Tatbeständen - § 193, § 194 und § 197 - des gegenwärtig geltenden Strafgesetzbuches der Sozialistischen Republik Vietnam vom 21. Dezember 1999 (StGB SRV) im Abschnitt der "Rauschgiftverbrechen" wird die Todesstrafe angedroht. So sehen die §§ 193, 194 StGB SRV [sehen] eine Bestrafung mit "bis zu 20 Jahren Gefängnis, lebenslangem Gefängnis oder Todesstrafe" für den Fall vor, dass bei der Tatbegehung bestimmte Mindestmengen überschritten wurden, wie etwa 5 kg bei Marihuana (Gutachten des ... vom 7. Oktober 2011 in dem Verfahren des VG Meiningen zu Az. 2 K 20200/10 Me, S. 3). Die Todesstrafe wird auch nach wie vor in Vietnam vollstreckt. So wurden nach erstmals veröffentlichten Zahlen zwischen Juli 2013 und Juli 2016 in Vietnam 429 Menschen hingerichtet. Das entspricht 143 Hinrichtungen jährlich und bringt Vietnam auf den fünften Listenplatz der Länder, in denen die meisten Todesurteile vollstreckt werden - knapp hinter Saudi-Arabien. Die Informationen sind in einem (möglicherweise versehentlich) veröffentlichten Regierungsbericht enthalten. Aktuellen Schätzungen zufolge wurden im Jahre 2017 insgesamt 123 und zwischen Januar und Oktober 2018 mindestens 75 Personen zum Tode verurteilt - hauptsächlich wegen Mordes oder Drogendelikten, vereinzelt aber auch in öffentlichkeitswirksam geführten Korruptionsprozessen. In der Todeszelle sitzen aktuell 681 Häftlinge (2017), vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Sozialistischen Republik Vietnam vom 14. Dezember 2018, Stand: Oktober 2018, S. 19, 20.

Nach der Rechtsprechung der Kammer (Urteil vom 5. Oktober 2015 - VG 2 K 1043/12.A -, Beschluss vom 8. November 2018 - VG 2 L 865/18.A -) droht in Deutschland wegen Drogen- oder Tötungsdelikten verurteilten Straftätern in Vietnam nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erneute Bestrafung durch die Todesstrafe, da der Grundsatz des Verbots der Doppelbestrafung ("ne bis in idem") in der vietnamesischen Verfassung verankert und keine Referenzfälle bekannt seien. Demgegenüber bejahen jedoch das VG Dresden, Gerichtsbescheid vom 4. März 2019 - 5 K 2020/17.A und das VG Greifswald, Urteil vom 12. April 2018 - 6 A 2059/17 As HGW -, juris, bei einer Drogenmenge ab fünf Kilogramm die Gefahr der Todesstrafe ungeachtet einer Verurteilung in Deutschland. Damit somit bezüglich dieser Problematik keine einhellige Rechtsprechung vorliegt, drängt sich die Abweisung der Klage insoweit nicht auf. [...]