BlueSky

LG Hagen

Merkliste
Zitieren als:
LG Hagen, Beschluss vom 02.12.2019 - 3 T 354/19 - asyl.net: M28820
https://www.asyl.net/rsdb/M28820
Leitsatz:

Keine Fluchtgefahr bei fehlerhafter Belehrung und fehlender Äußerung zur Entziehungsabsicht:

1. Bei Annahme einer Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3a Nr. 2 und Abs. 3b Nr. 5 AufenthG muss zuvor eine Belehrung in einer für Betroffene verständlichen Sprache erfolgt sein.

2. Vorliegend ist keine Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3a Nr. 6 AufenthG gegeben, da nicht geklärt ist, ob der Betroffene sich dahingehend geäußert hat, er wolle sich der Abschiebung entziehen oder ob er gesagt hat, er wolle nicht freiwillig ausreisen. Letzteres stellt keine Äußerung zur Entziehungsabsicht dar. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Fluchtgefahr, Entziehungsabsicht, freiwillige Ausreise, Belehrung, Abschiebungshaft, Übersetzung, Aufenthaltswechsel, Wechsel des Aufenthaltsortes, Anzeigepflicht, Passbeschaffung, Mitwirkungspflicht,
Normen: AufenthG § 62 Abs. 3a Nr. 2, AufenthG § 62 Abs. 3b Nr. 5,
Auszüge:

[...]

Haftgründe i.S.d. § 62 AufenthG liegen nicht vor. In Betracht kam zunächst ein solcher nach § 62 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3a Nr. 3 AufenthG. Hiernach ist der Haftgrund der Fluchtgefahr widerleglich vermutet, wenn die Ausreisepflicht abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthalt trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist.

Ein solches Verhalten kommt zwar hier in Betracht, nachdem der Betroffene in seiner Anhörung vor der Kammer erklärt hat, er habe sich nach seiner Flucht aus dem Krankenhaus zu seiner Freundin nach Neuss begeben. Allerdings setzt der Haftgrund des nicht angezeigten Aufenthaltswechsels voraus, dass der erforderliche Hinweis auf die Folge einer Verletzung der Pflichten nach § 50 Abs. 4 AufenthG einem Betroffenen, der die deutsche Sprache nicht beherrscht, in seine Muttersprache oder eine andere Sprache übersetzt wird, die er beherrscht (BGH, B.v. 14.01.2016, Az.: V ZB 178/14). Diese Voraussetzung hat die Ausländerbehörde hier nicht hinreichend darlegen können. Zwar enthält der hier in Rede stehende ablehnende Asylbescheid eine Belehrung nach § 50 Abs. 4 AufenthG, eine Übersetzung in die von dem Betroffenen beherrschte englische Sprache ist konnte indes seitens der Ausländerbehörde nicht dargelegt werden.

Gleiches gilt für den Haftgrund der Nichterfüllung der Passbeschaffungspflicht. Auch hier ist nach § 62 Abs. 3b Nr. 5 AufenthG eine Belehrung erforderlich, die hier nach Auskunft der Ausländerbehörde weder in deutscher noch in englischer Sprache erfolgt ist.

Auch Fluchtgefahr i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3a Nr. 6 AufenthG ist nicht zur vollen Überzeugung der Kammer nachgewiesen. Insofern hat zwar die Ausländerbehörde vorgetragen, bei der Festnahme des Betroffenen sei sinngemäß die Äußerung, er werde sich der Abschiebung entziehen, gefallen. Der Betroffene bestreitet das. Im Anhörungstermin vor der Kammer hingegen wurde gewahr, dass der entsprechend durch die Ausländerbehörde gefertigte Vermerk über die Inhaftnahme eine solche Äußerung nicht wiedergibt. Vor diesem Hintergrund bleibt aus Sicht der Kammer unklar, ob der Betroffene nur geäußert hat, er wolle nicht freiwillig ausreisen oder ob er auch gesagt hat, er werde sich der Abschiebung entziehen.

Offen bleiben kann, inwieweit die Flucht des Betroffenen aus dem Krankenhaus Fluchtgefahr zu begründen geeignet ist, da sich der Betroffene später freiwillig zur Ausländerbehörde begeben hat. [...]