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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 23.06.2020 - XIII ZB 87/19 - asyl.net: M28823
https://www.asyl.net/rsdb/M28823
Leitsatz:

Rechtswidrige Abschiebungshaft aufgrund unzureichender Darlegung der Ausreisepflicht:

1. Die Anordnung von Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 AufenthG setzt einen zulässigen Haftantrag nach § 417 FamFG voraus, der den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Unerlässlich sind unter anderem Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht der betroffenen Person.

2. Sofern sich die Ausreisepflicht aus einem Bescheid ergibt, muss  dieser im Haftantrag ausdrücklich benannt  und zudem dargelegt werden, aufgrund welcher Tatsachen von einer wirksamen Zustellung oder Zustellungsfiktion ausgegangen wird.

3. Eine Heilung des Darlegungsmangels mit Wirkung für die Zukunft durch nachträgliche Ergänzungen zum Haftantrag ist nur dann möglich, wenn die betroffene Person zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Rückkehrentscheidung, Haftantrag, Heilung, Ablehnungsbescheid, Abschiebungsandrohung, Zustellung, Anhörung, Ausreisepflicht, Begründungserfordernis,
Normen: FamFG § 417 Abs. 2 S. 1 Nr. 5, AufenthG § 62 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

1. Die Haftanordnung des Amtsgerichts war rechtswidrig, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

b) Die Haftanordnung des Amtsgerichts war indes deshalb rechtswidrig, weil - wovon auch das Beschwerdegericht ausgeht - die Angaben zur zweifelsfreien Ausreisepflicht (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG) im Haftantrag in seiner Fassung vom 20. März 2019 unzureichend waren. Ergibt sich die Ausreisepflicht des Betroffenen aus einem vollziehbaren Bescheid, muss der Haftantrag diesen Bescheid nicht nur ausdrücklich benennen, sondern auch darlegen, aufgrund welcher Tatsachen von einer wirksamen Zustellung oder Zustellungsfiktion ausgegangen worden ist (BVerfG, InfAuslR 2012, 186, juris Rn. 11, 24). Daran fehlte es.

2. Der Mangel des Haftantrags ist aber während des Beschwerdeverfahrens geheilt worden. Die beteiligte Behörde hat ihren Haftantrag zur Zustellungsfiktion vor dem Beschwerdegericht mit Schreiben vom 18. April 2019 ausreichend ergänzt und konkretisiert. Sie hat ausgeführt und belegt, dass der Betroffene am 18. Juli 2016 schriftlich in deutscher und arabischer Sprache gemäß § 10 Abs. 7 AsylG über die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 AsylG belehrt wurde. Nachdem der Bescheid des Bundesamts vom 23. Dezember 2016, mit welchem dem Betroffenen die Abschiebung nach Algerien angedroht wurde, am 29. Dezember 2016 unter der dem Bundesamt bekannten Wohnanschrift nicht habe zugestellt werden können, greife seit dem 31. Dezember 2016 die Zustellungsfiktion. Ebenso ergibt sich aus dem ergänzten Haftantrag, dass die Entscheidung des Bundesamts bestandskräftig geworden und die Ausreisefrist erfolglos verstrichen sei. Damit waren die Voraussetzungen der zweifelsfreien Verlassenspflicht dargelegt.

Der Betroffene wurde in Kenntnis seines Verfahrensbevollmächtigten zu den ergänzenden Angaben der Ausländerbehörde vom Beschwerdegericht erneut persönlich angehört und hatte Gelegenheit, Stellung zu nehmen, so dass der ursprüngliche Mangel des Haftantrags geheilt worden ist. Die Heilung ist mit der Entscheidung des Beschwerdegerichts am 6. Mai 2019 eingetreten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 - V ZB 159/17, juris Rn. 7). [...]