VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Beschluss vom 11.03.2020 - 8 L 737/19 - asyl.net: M28849
https://www.asyl.net/rsdb/M28849
Leitsatz:

Keine Ausbildungsduldung bei Aufnahme der Ausbildung zum Zweck der Aufenthaltssicherung:

1. Eine Missbräuchlichkeit des Ausbildungsverhältnisses im Sinne des § 60c Abs. 1 S. 2 AufenthG liegt vor, wenn die Ausbildung nur aufgenommen wurde, um den Aufenthalt in Deutschland zu sichern und nicht glaubhaft gemacht werden kann, dass die Ausbildung zu Ende geführt werden soll und kann ("Scheinausbildungsverhältnis"). Davon ist auszugehen, wenn sich aufdrängt, dass eigentlich ein anderer Beruf angestrebt wird; hierfür bedarf es einer Bewertung des Einzelfalls.

2. Im vorliegenden Fall ist von einer Missbräuchlichkeit in diesem Sinne auszugehen, da das gesamte Vorverhalten des Betroffenen in Deutschland darauf ausgelegt war, seine im Herkunftsland ausgeübte Tätigkeit als Grundschullehrer hier fortzusetzen und es erst nach Ablehnung des Asylantrags Bestrebungen gab, das Ausbildungsverhältnis zum Erzieher aufzunehmen. Die zeitliche Nähe der Aufnahme der Ausbildung zum erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens sowie die gleichzeitige Durchführung eines Vollzeit-Ausbildungsprogramms als Grundschullehrer sprechen dafür, dass der Betroffene die Ausbildung weder erfolgreich beenden will noch kann.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Berufsausbildung, Rechtsmissbrauch, Scheinausbildungsverhältnis, Studium, Asylverfahren,
Normen: AufenthG § 60c Abs. 1 S. 2,
Auszüge:

[...]

16 bb. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller mit Bescheid vom 27. August 2019 jedoch zu Recht die Ausbildungsduldung verweigert, da ein Fall des § 60c Abs. 1 Satz 2 AufenthG vorliegt. Nach dieser Norm kann in Fällen offensichtlichen Missbrauchs die Ausbildungsduldung versagt werden.

17 (1) Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen hierunter insbesondere sogenannte Scheinausbildungsverhältnisse fallen. Dies können solche Ausbildungen sein, bei denen von vornherein offenkundig ausgeschlossen ist, dass die Ausbildung zum Erfolg geführt werden kann, etwa wegen nicht vorhandener oder völlig unzureichender Sprachkenntnisse (BR-Drs. 8/19, S. 12; BT-Drs. 19/8286, S. 14). Ferner sollen hierunter auch diejenigen Ausbildungsverhältnisse fallen, bei welchen zeitgleich zur vermeintlichen Ausbildung ein Studium absolviert wird (Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 60c Rn. 24 unter Verweis auf VG Aachen, Urteil vom 3. Dezember 2015 - 6 K 1400/15 -, juris). Auch ist eine Missbräuchlichkeit des eingegangenen Ausbildungsverhältnisses dann anzunehmen, wenn ein einschlägig vorqualifizierter Ausländer eine im Wesentlichen gleiche und somit inhaltlich nicht erforderliche (Berufs-)Ausbildung aufnimmt (OVG Koblenz, Beschluss vom 31. Juli 2017 - 7 B 11276/17 -, juris Rn. 7 ff.; OVG Greifswald, Beschluss vom 30. August 2017 - 2 M 595/17 -, juris Rn. 8; VG Mainz, Beschluss vom 30. Januar 2018 - 4 L 24/18.MZ -, juris Rn. 13). [...]

19 Eine Missbräuchlichkeit des angestrebten Ausbildungsverhältnisses ist nämlich auch dann gegeben, wenn das angestrebte Ausbildungsverhältnis lediglich deswegen begonnen wird, um eine Beendigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern und der Ausländer nicht glaubhaft machen kann, ernsthaft die angestrebte Ausbildung auch zu Ende führen zu können und zu wollen. Eine Ausbildungsduldung im Sinne des § 60c AufenthG dient nicht ausschließlich dem dringenden persönlichen Interesse des Ausländers, im Bundesgebiet einen Beruf erlernen zu dürfen, sondern ebenso dem Interesse der Ausbildungsbetriebe an der Gewinnung qualifizierten Nachwuchses aus dem Kreis der vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer (VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 25. September 2018 - 2 L 948/18.NW -, juris Rn. 9). Diesem Interesse wird insbesondere dann nicht Rechnung getragen, wenn der Ausländer lediglich eine Ausbildung aufnimmt, um seinen vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen, es sich jedoch aufdrängt, dass er in Wahrheit ein anderes Berufsverhältnis aufnehmen und somit das Ziel der Ausbildung nicht erreichen wird. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck einer Ausbildungsduldung. Ob ein solcher Fall vorliegt, bemisst sich nach Umständen des konkreten Einzelfalls, die im Rahmen einer Gesamtschau zu würdigen sind.

20 Unter Berücksichtigung aller zutage getretenen Erkenntnisse handelt es sich bei der vom Antragsteller angestrebten Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher lediglich um eine Scheinausbildung in dem dargestellten Sinne. Der Antragsteller verfügt zwar ausweislich des bis zum 2. August 2018 absolvierten Integrationskurses und des vom 16. Oktober 2018 bis zum 31. Juli 2019 absolvierten Intensivkurses zum Erlernen der deutschen Sprache über hinreichende sprachliche Fertigkeiten. Sein gesamtes im Rahmen seines Aufenthalts zutage getretenes Streben war jedoch von Anfang an darauf gerichtet, seine in Syrien ausgeübte Tätigkeit als Grundschullehrer auch in Deutschland fortzusetzen. Der Antragsteller stellte am 18. Juni 2018 einen Antrag auf Anerkennung seiner in Syrien erworbenen Qualifikation als Lehramtsbefähigung im Land Brandenburg. Im Rahmen dessen wurden am 13. September 2018 von Seiten der Kultusministerkonferenz die erworbenen Qualifikationen des Antragstellers bewertet. Seit Anfang des Jahres 2019 betrieb der Antragsteller ferner die Aufnahme in das Refugee Teachers Program der Universität P..., an dem er nach erfolgreichem Absolvieren eines Auswahlverfahrens auch seit dem 4. April 2019 teilnimmt. Hierbei handelt es sich um ein universitäres Qualifizierungs- und Beratungsprogramm als Vollzeitprogramm für geflüchtete Lehrkräfte mit einschlägiger Berufserfahrung. Erst nach dem ablehnenden Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 26. März 2019 sind Bestrebungen des Antragstellers ersichtlich, eine Ausbildung als staatlich anerkannter Erzieher aufzunehmen. Dass er bereits vor diesem Zeitpunkt beabsichtigte, eine derartige berufliche Laufbahn einzuschlagen, ist jedoch seit Beginn seines Aufenthalts Ende Dezember 2016 nicht zutage getreten – im Gegensatz zu seinem Bestreben, in der Bundesrepublik als Grundschullehrer tätig zu werden. Die offensichtliche zeitliche Nähe zum erfolglosen Abschluss seines Asylverfahrens streitet somit ebenfalls entscheidend dafür, dass das angestrebte Ausbildungsverhältnis lediglich deswegen eingegangen werden soll, um weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland zu verbleiben.

21 Ferner spricht hierfür ebenfalls der Umstand, dass der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht hat, dass er die angestrebte Ausbildung als staatlich anerkannter Erzieher neben dem Absolvieren des Refugee Teachers Program der Universität P... erfolgreich durchführen kann. Bereits mit Blick auf die nach den verschiedenen Lehrplänen eingesetzten Unterrichtszeiten ist nicht erwiesen, dass beide Kurse nebeneinander erfolgreich absolviert werden können: [...]