SG Aachen

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Zitieren als:
SG Aachen, Urteil vom 21.08.2020 - S 19 AY 1/20 - asyl.net: M28897
https://www.asyl.net/rsdb/M28897
Leitsatz:

Behörde musste Höhe der Regelsätze nach Asylbewerberleistungsgesetz selbst anheben:

Für die jährliche Anpassung der Regelsätze des Asylbewerberleistungsgesetzes im Wege der Fortschreibung bedarf es keiner gesetzgeberischen Entscheidung. Bei der Vorschrift des § 3 Abs. 4 AsylbLG a.F. handelt es sich um eine Anpassungsvorschrift, die sich an die das AsylbLG vollziehenden Kommunen richtet und diesen eine Anpassung nach dem in dieser Vorschrift niedergelegten Anpassungsmodus aufgibt.

(Leitsätze der Redaktion; diese Entscheidung bezieht sich auf die alte Rechtslage, zum 01.09.2019 wurden die Regelsätze neu festgesetzt)

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Sozialrecht, Überprüfungsantrag, Regelleistung, Fortschreibung, Höhe,
Normen: AsylblG § 3 Abs. 4 a.F., SGB X § 44,
Auszüge:

[...]

Entgegen der Auffassung der Beklagten bedarf es für eine Anpassung der Regelsätze im AsylbLG keiner gesetzgeberischen Entscheidung. Zwar hat der Gesetzgeber unter Geltung des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen (siehe etwa BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 = juris, Rdnr. 136). Jedoch gibt § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG (in der bis zum 31.08.2019 geltenden Gesetzesfassung) den Modus der Anpassung und die konkrete Höhe vor, so dass die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen durch den Gesetzgeber getroffen worden sind (SG Stade, Urteil vom 11.04.2019 - S 19 AY 5/19 = juris, Rdnr. 38).

§ 3 Abs. 4 AsylbLG ist somit derart zu interpretieren, dass es sich um eine Anpassungsvorschrift handelt, die sich an die Exekutive (d.h. die das AsylbLG vollziehenden Kommunen) richtet und dieser eine Anpassung nach dem in dieser Vorschrift niedergelegten Anpassungsmodus aufgibt.

Auch steht einer Festsetzung nicht entgegen, dass nach § 3 Abs. 4 Satz 3 AsylbLG das BMAS spätestens zum 1. November eines Kalenderjahres die Höhe der Bedarfe, die für das folgende Kalenderjahr maßgeblich sind, im Bundesgesetzblatt bekannt gibt und eine solche Bekanntgabe hier im streitgegenständlichen Zeitraum nicht erfolgt ist. Denn Sinn und Zweck jener Bekanntgabevorschrift ist, dass die Leistungsträger möglichst frühzeitig auf die Höhe der künftigen Asylbewerberleistungen hingewiesen werden sollen und so ein gleichmäßiger Vollzug des Gesetzes gewährleistet werden soll. Mit diesem Zweck ist es indessen vereinbar, dass, wenn eine Bekanntgabe des BMAS nicht rechtzeitig erfolgt, eine Festsetzung nach Maßgabe von § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG a.F. erfolgt (SG Stade, a.a.O., Rdnr. 43 f.; ausführliche Nachweise ferner bei SG Bremen, Urteil vom 29.01.2020 - S 39 AY 79/18 = juris, Rdnr. 25). Überdies kommt einer ministeriellen Bekanntgabe nicht der Rang eines Parlamentsgesetzes zu und sie unterliegt somit der vollen gerichtlichen Überprüfung. Eine unterlassene Bekanntgabe durch das BMAS führt somit nicht dazu, dass die durch § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG vorgeschriebene Anpassung unterbleibt (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.05.2019 - L 8 AY 49118 = juris, Rdnr. 26; SG Bremen, Urteil vom 29.01.2020 - S 39 AY 79/18 = juris, Rdnr. 28). [...]