Zustellungsfiktion knüpft auch an zutreffend von öffentlicher Stelle mitgeteilte Anschrift an:
"1. Die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG knüpft an eine der zustellenden Behörde von einer öffentlichen Stelle zutreffend mitgeteilte Anschrift des Ausländers an; nicht erforderlich ist, dass diese Anschrift auch noch im Zeitpunkt des Zustellversuchs aktuell ist.
2. Im Ausländerzentralregister gespeicherte Angaben sind dem Bundesamt als Asylbehörde nicht im Sinne von § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG mitgeteilt.
3. Der Hinweis in einer Rechtsbehelfsbelehrung, dass die Klage "in deutscher Sprache abgefasst" sein muss, macht diese nicht unrichtig [vgl. BVerwG, Urteil vom 29.08.2018 - 1 C 6.18 (Asylmagazin 12/2018, S. 444 ff.) - asyl.net: M26622]."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
1.1 § 10 AsylG begründet besondere Vorsorge- und Mitwirkungsobliegenheiten, bei deren Verletzung der Ausländer mit für ihn nachteiligen rechtlichen Konsequenzen rechnen muss. Nach § 10 Abs. 1 AsylG hat er während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamts, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können; insbesondere hat er diesen Stellen jeden Wechsel seiner Anschrift unverzüglich anzuzeigen. Verletzt der Ausländer diese - ihm in seinem eigenen Interesse an einer zügigen Bearbeitung seines Asylantrags auferlegte - Obliegenheit, muss er damit rechnen und über die Regelungen in § 10 Abs. 2 AsylG hinnehmen, dass ihn Mitteilungen im Asylverfahren nicht erreichen, ohne dass er sich hierauf berufen kann. Insbesondere muss er nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle aufgrund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Das Gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist (Satz 2). Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt (Satz 4). Diese Zustellungsfiktionen dienen der Vermeidung von Verzögerungen im Asylverfahren und der Behebung von Zustellungsschwierigkeiten bei unbekanntem Aufenthalt des Ausländers (BT-Drs. 9/875 S. 18 zur Vorgängerregelung in § 12 AsylVfG 1982).
Diese Obliegenheit, dem Bundesamt spätere Anschriftenänderungen unverzüglich mitzuteilen, besteht auch dann, wenn dem Bundesamt die zuletzt bekannte Anschrift nicht vom Ausländer, sondern von einer öffentlichen Stelle - hier im Februar 2015 von der zuständigen Ausländerbehörde - mitgeteilt worden ist und der Ausländer danach erneut umzieht. Allerdings muss die Mitteilung durch eine öffentliche Stelle zutreffend sein, weil der Ausländer nicht das Risiko der Unrichtigkeit einer nicht von ihm stammenden und ihm regelmäßig nicht bekannten Mitteilung über seine Anschrift trägt (s.a. BT-Drs. 12/4450 S. 16). Damit kommt § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG zur Anwendung, wenn der Ausländer bei Zugang der Mitteilung unter der mitgeteilten Anschrift wohnte. Was gilt, wenn der Ausländer vor Zugang der Mitteilung erneut umgezogen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Nicht erforderlich ist jedenfalls, dass die von einer öffentlichen Stelle mitgeteilte Anschrift auch noch im Zeitpunkt des Zustellversuchs aktuell ist. Andernfalls verlöre die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG ihren Sinn und Zweck. [...]
2. Auch wenn das Bundesamt hier aufgrund der tatsächlichen Nichtzustellbarkeit früherer Schreiben damit rechnen musste, dass der Kläger unter der letzten bekannten Anschrift nicht mehr erreichbar war, musste es vor Zustellung seines Bescheids im August 2016 keine Nachforschungen zum aktuellen Aufenthaltsort betreiben, insbesondere musste es keine Auskunft aus dem Ausländerzentralregister einholen.
a) Möglicherweise im Ausländerzentralregister gespeicherte Angaben zur seinerzeitigen Anschrift des Klägers waren dem Bundesamt als Asylbehörde nicht i.S.d. § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG mitgeteilt. Das Ausländerzentralregister (AZR) wird vom Bundesamt als Registerbehörde geführt (§ 1 Abs. 1 AZRG). In ihm werden seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Registrierung und des Datenaustausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen Zwecken (Datenaustauschverbesserungsgesetz - DatAusVerbG -) vom 2. Februar 2016 (BGBl. I S. 130) am 5. Februar 2016 bei Asylantragstellern auch Angaben zur Anschrift im Bundesgebiet gespeichert (§ 2 Abs. 2 Nr. 1, § 3 Abs. 2 Nr. 6 AZRG). Dies dient nach der Gesetzesbegründung der Erleichterung (kurzfristiger) Kontaktaufnahmen (BT-Drs. 18/7043 S. 42). Dass der Gesetzgeber bei Asylantragstellern mit der Speicherung von Angaben zur Anschrift im Bundesgebiet darüber hinaus auch in Bezug auf die gesetzlichen Zustellungsregelungen in § 10 AsylG etwas ändern wollte, ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen.
Etwa im AZR gespeicherte Informationen zu dem Ausländer sind dem Bundesamt nicht als positives Wissen zuzurechnen und gelten auch sonst nicht als an dieses übermittelt. Dagegen spricht vor allem, dass das AZR-Gesetz ausdrücklich zwischen dem Bundesamt als "Register-" und als "Asylbehörde" differenziert. Als Asylbehörde ist das Bundesamt zur Übermittlung von Daten an die Registerbehörde verpflichtet (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 AZRG). Im umgekehrten Fall - der Übermittlung von Daten aus dem Register an die Asylbehörde - bedarf es - wie bei der Übermittlung an jede andere öffentliche Stelle - eines ausdrücklichen Übermittlungsersuchens (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 AZRG) und ist die Übermittlung nur unter den Voraussetzungen der §§ 10 ff. AZRG zulässig. Auch zum Abruf von Daten im automatisierten Verfahren bedarf das Bundesamt als Asylbehörde - wie andere öffentliche Stellen - einer ausdrücklichen Zulassung (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 AZRG). Damit behandelt das AZR-Gesetz das Bundesamt in seiner Funktion als Asylbehörde wie eine andere öffentliche Stelle. Diese vom Gesetzgeber bewusst gewollte Aufteilung des Bundesamts in zwei funktional eigenständig handelnde Behörden lässt das VG Aachen (Urteil vom 22. Februar 2017 - 4 K 38/17.A - juris Rn. 36 ff.) unberücksichtigt, nach dessen Auffassung alle in den Machtbereich des Bundesamts gelangten Daten als "behördenbekannt" gelten. Differenziert der Gesetzgeber ausdrücklich zwischen dem Bundesamt als Registerbehörde und als Asylbehörde, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die von anderen Stellen an das Ausländerzentralregister übermittelten Daten zugleich gegenüber der Asylbehörde als i.S.d. § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG mitgeteilt gelten. Eine generelle Zurechnung der gespeicherten Daten lässt sich angesichts der dem Datenschutz dienenden funktionalen Trennung von Register- und Asylbehörde auch nicht unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens oder des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben rechtfertigen.
b) Als Asylbehörde war das Bundesamt im August 2016 auch nicht zur Einholung einer Auskunft aus dem Ausländerzentralregister verpflichtet. Dies gilt ungeachtet der sich aus der tatsächlichen Nichtzustellbarkeit früherer Schreiben ergebenden Zweifel an der fortbestehenden Aktualität der letzten bekannten Anschrift des Klägers. Die Vorschriften über die fingierte Zustellung verfolgen aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung gerade den Zweck, im Asylverfahren Behörden und Gerichte von eigenen Ermittlungen zu entbinden, wenn der Ausländer seine Obliegenheiten zur Vorsorge und Mitwirkung an seiner steten Erreichbarkeit verletzt. Dies gilt auch mit Blick auf die gravierenden Konsequenzen einer Zustellungsfiktion für den Schutzsuchenden, jedenfalls solange - wie hier im Frühjahr 2016 - ein Abgleich mit dem Ausländerzentralregister keine Gewähr für eine zuverlässige Ermittlung der aktuellen Anschrift bietet. [...]
3. Gegen die Zustellungsfiktionen des § 10 Abs. 2 AsylG ist von Verfassungs wegen nichts zu erinnern, wenn der Betroffene über sie in qualifizierter Weise belehrt worden ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. März 1994 - 2 BvR 2371/93 - InfAuslR 1994, 324 = juris Rn. 19 ff. zu den Vorgängerregelungen in § 17 Abs. 5 AsylVfG 1982 und § 10 Abs. 7 AsylVfG 1993). [...]
4. Die Regelung in § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG, nach der ein Asylbewerber Zustellversuche des Bundesamts unter der letzten bekannten Anschrift auch dann gegen sich gelten lassen muss, wenn diese dem Bundesamt durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist, verstößt nicht gegen Art. 13 RL 2013/32/EU.
a) In zeitlicher Hinsicht findet hier über § 77 Abs. 1 AsylG Art. 13 RL 2013/32/EU und nicht die - weitgehend wortgleiche - (Vorgänger-)Regelung in Art. 11 RL 2005/85/EG Anwendung. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger seinen Asylantrag bereits 2013 gestellt hat. [...]
b) Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU können die Mitgliedstaaten den Antragstellern - neben der Verpflichtung zur Zusammenarbeit nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 - weitere Verpflichtungen zur Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden auferlegen, sofern diese Verpflichtungen für die Bearbeitung des Antrags erforderlich sind. Insbesondere können sie nach der deutschen Sprachfassung des Art. 13 Abs. 2 Buchst. c RL 2013/32/EU festlegen, dass die Antragsteller verpflichtet sind, so rasch wie möglich die zuständigen Behörden über ihren jeweiligen Aufenthaltsort oder ihre Anschrift sowie sämtliche diesbezüglichen Änderungen zu unterrichten (Satz 1); außerdem können sie festlegen, dass der Antragsteller an dem von ihm mitgeteilten letzten Aufenthaltsort erfolgte - bzw. an die mitgeteilte letzte Anschrift gerichtete - Mitteilungen gegen sich gelten lassen muss (Satz 2). Ungeachtet des nicht einheitlichen Wortlauts der den Mitgliedstaaten durch Art. 13 Abs. 2 Buchst. c RL 2013/32/EU in den verschiedenen Sprachfassungen explizit eröffneten Handlungsmöglichkeiten enthält die Vorschrift jedenfalls keine abschließende Aufzählung (aa). Auch unter Berücksichtigung des Kontextes der Norm und der Ziele, die mit Art. 13 RL 2013/32/EU verfolgt werden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Mitgliedstaaten eine Zustellung unter der letzten mitgeteilten Anschrift nicht auch dann fingieren dürfen, wenn diese nicht vom Antragsteller selbst, sondern von einer öffentlichen Stelle mitgeteilt worden ist (bb). Dies widerspricht nicht dem Grundsatz des "effet utile" (cc). [...]
5. Die gesetzlichen Zustellungsfiktionen in § 10 Abs. 2 AsylG verstoßen nicht gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 46 RL 2013/32/EU und Art. 47 GRC. Die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 27.16 - BVerwGE 157, 356 Rn. 21). Hierzu enthält Art. 46 Abs. 4 RL 2013/32/EU die Vorgabe, dass die Mitgliedstaaten angemessene Fristen und sonstige Vorschriften festlegen, die erforderlich sind, damit der Antragsteller sein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Absatz 1 wahrnehmen kann (Satz 1); die Fristen dürfen die Wahrnehmung dieses Rechts weder unmöglich machen noch übermäßig erschweren (Satz 2). Das Verbot einer in Art. 13 Abs. 2 Buchst. c RL 2013/32/EU ausdrücklich zugelassenen Zustellungsfiktion folgt hieraus nicht. Weitergehende Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens ergeben sich auch nicht aus Art. 47 GRC. [...]
6. Die Zustellungsfiktionen des § 10 Abs. 2 AsylG verstoßen auch nicht gegen das asyl- und das menschenrechtliche Refoulementverbot nach Art. 18 und 19 Abs. 2 GRC und Art. 3 EMRK. Es ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, einem Schutzsuchenden in Bezug auf seine stete Erreichbarkeit während eines Asylverfahrens eine zumutbare und ohne Weiteres erfüllbare Mitwirkungsobliegenheit aufzuerlegen und eine zurechenbare Verletzung dieser Obliegenheit mit nachteiligen Konsequenzen - hier in Gestalt einer die Klagefrist in Lauf setzenden Zustellungsfiktion mit der Möglichkeit der Wiedereinsetzung bei unverschuldeter Versäumung der Klagefrist - zu belegen. Dies gilt auch in Fällen, in denen das Bundesamt - wie hier - mangels Mitwirkung des Schutzsuchenden über den Asylantrag und die Gewährung von Abschiebungsschutz im Rahmen einer Sachprüfung nach Aktenlage entschieden hat, selbst wenn diese Entscheidungen in der Sache angreifbar sein sollten. [...]
8. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung die in § 58 Abs. 1 VwGO aufgeführten Angaben zutreffend wiedergibt. [...]
a) Der Senat hat bereits entschieden, dass der Zusatz in der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung, dass die Klage "in deutscher Sprache abgefasst" sein muss, die Belehrung nicht unrichtig macht (BVerwG, Urteil vom 29. August 2018 - 1 C 6.18 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 94 Rn. 14). Dies gilt nicht nur in Bezug auf eine zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle mögliche Klageerhebung, sondern auch für die Möglichkeit der Einreichung einer Klage durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich hierbei um eine neue Form der Klageerhebung oder lediglich um eine weitere Möglichkeit zur Übermittlung eines schriftlichen Dokuments und damit um einen Unterfall der Schriftform handelt. Denn auch bei einer - im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Verwendung (August 2016) - möglichen Klageerhebung im elektronischen Rechtsverkehr muss das in die elektronische Poststelle des jeweiligen Gerichts zu übertragende elektronische Dokument in deutscher Sprache übermittelt werden. Von daher bezieht sich der Begriff "abfassen" nicht zwingend auf ein Schriftstück im herkömmlichen Sinne, sondern umfasst auch diesem kraft Gesetzes gleichgestellte elektronische Dokumente.
b) Die Belehrung war - im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Verwendung - auch nicht deshalb fehlerhaft, weil sie - losgelöst vom Begriff des "Abfassens" - keinen Hinweis auf den durch § 55a VwGO in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung i.V.m. der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz im Land Berlin (ERVJustizV) vom 27. Dezember 2006 (GVBl. 2006, S. 1183), in der Fassung der Zweiten Änderungsverordnung vom 9. Dezember 2009 (GVBl. 2009, S. 881), eröffneten elektronischen Rechtsverkehr enthielt. [...]
c) Die Rechtsbehelfsbelehrung war schließlich auch nicht deshalb fehlerhaft, weil sie zwar zutreffend über die Beklagte und deren Vertretung belehrte, nicht aber darauf hinwies, dass zur Bezeichnung der Beklagten nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die Angabe der Behörde genügt, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat. Denn auch hierbei handelt es sich nicht um eine nach § 58 Abs. 1 VwGO zwingende Angabe. [...]