VGH Baden-Württemberg

Merkliste
Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.10.2020 - A 9 S 2212/20 - asyl.net: M28952
https://www.asyl.net/rsdb/M28952
Leitsatz:

Zulassung der Berufung wegen Verletzung rechtlichen Gehörs:

"Zur Ablehnung eines auf die Einholung von Auskünften zur Erhältlichkeit von Medikamenten im Heimatstaat gerichteten Beweisantrags im Asylprozess."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Medikamente, Gambia, medizinische Versorgung, Beweisantrag, rechtliches Gehör, Existenzgrundlage, Sachverständigengutachten,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7, EMRK Art. 3, GG Art. 103 Abs. 1, VwGO § 138 Nr. 3, AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

Die Berufung ist zuzulassen, da der vom Kläger hinreichend dargelegte Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) auch in der Sache vorliegt. [...]

2. Die Ablehnung des Beweisantrags findet im Prozessrecht keine Stütze. Denn auf der Grundlage der zum Gesundheitszustand des Klägers vorgelegten Unterlagen mussten sich dem Verwaltungsgericht jedenfalls die Fragen aufdrängen, ob der Kläger nicht an einer anderen fachärztlich behandlungsbedürftigen psychiatrischen Erkrankung als einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und ob er zur Behandlung dieses Leidens der angesprochenen Medikamente bedarf (unter a). Vor diesem Hintergrund ist das Verwaltungsgericht erkennbar von einem zu engen Verständnis des Beweisantrags ausgegangen, weshalb dessen Ablehnung prozessual nicht tragfähig ist (unter b). [...]

Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung zahlreicher weiterer Unterlagen [...] lagen damit konkrete und deutliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger jedenfalls an einer gravierenden und persistierenden fachärztlich behandlungsbedürftigen psychiatrischen Erkrankung leidet. Nach Aktenlage konnten auch keine ernsthaften Zweifel daran bestehen, dass dem Kläger wegen seiner psychiatrischen Erkrankung seit Jahren die im Beweisantrag bezeichneten Medikamente bzw. entsprechende Substitute vom Facharzt verschrieben werden und dass der Kläger diese einnimmt.

b) Bei dieser besonderen Sachlage konnte die Frage, ob das Leiden des Klägers fachärztlicherseits als posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert (und dementsprechend in das Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen (ICD) eingeordnet) werden kann oder nicht, ersichtlich nicht allein ausschlaggebend sein für die im Rahmen der Prüfung des Begehrens nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erhebliche Ausgangsfrage, ob es dem Kläger im Falle der Rückkehr wegen einer Erkrankung nicht gelingen bzw. wesentlich erschwert würde, sich in seinem Herkunftsland ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Deshalb konnte auch der Beweisantrag des Klägers offensichtlich vom Verwaltungsgericht nicht in dem eingeschränkten Sinn verstanden werden, der Erhältlichkeit der bezeichneten Medikamente komme nur Bedeutung im Falle einer beim Kläger diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung zu. Es stellt deshalb eine mit der Gewährleistung des Rechts auf rechtliches Gehör unvereinbare Verkennung des klaren Sinns des klägerischen Beweisantrags dar, wenn das Verwaltungsgericht diesen ablehnt ohne auf die Frage einzugehen, ob der Kläger auch unabhängig von einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht jedenfalls der angesprochenen Medikamente bedarf und diese in Gambia erhalten kann. [...]