Aufenthaltsrecht für drittstaatsangehörigen Ehepartner*innen von über ein Daueraufenthaltsrecht verfügenden EU-Staatsangehörigen:
1. Die in einem Bescheid des BAMF erlassene Abschiebungsandrohung ist rechtswidrig, wenn die betroffene Person nicht ausreisepflichtig, sondern kraft Gesetz aufenthaltsberechtigt ist (hier aufgrund einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit einer freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerin).
2. Ehepartner*innen von daueraufenthaltsberechtigten EU-Staatsangehörigen, die selbst die zeitlichen Voraussetzungen des Daueraufenthalts nicht erfüllen, können dennoch ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht geltend machen.
(Leitsätze der Redaktion)
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Die Abschiebungsandrohung (Ziffer 4 des angegriffenen Bescheids) dürfte unter Berücksichtigung dieses vom Verwaltungsgericht übergangenen Sachverhalts rechtswidrig sein, da der Kläger unabhängig von seinem Asylbegehren bereits deshalb nicht ausreisepflichtig sein dürfte, weil er mit einer in Deutschland daueraufenthaltsberechtigten Unionsbürgerin in ehelicher Lebensgemeinschaft lebt und daher selbst aufenthaltsberechtigt sein dürfte (nachfolgend (aa)). Besteht eine solche Aufenthaltsberechtigung, darf auch kein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot ergehen (nachfolgend (bb)).
(aa) Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht hätte bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung berücksichtigen müssen, dass er vom Aufenthaltsstatus seiner britischen Ehefrau ein eigenes Recht auf Einreise und Aufenthalt nach § 3 Abs. 1 FreizügG/EU ableiten könne. Aus der im Klageverfahren zur Akte gereichten Aufenthaltskarte seiner Ehefrau (Bl. 59 f. d. VG-Akte) ergibt sich, dass diese über ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU verfügt. Dieses Recht gilt gemäß § 1 des Gesetzes für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union jedenfalls bis 31. Dezember 2020 fort.
Dies zugrunde gelegt spricht viel dafür, dass der Kläger über ein akzessorisches Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU verfügt, das dem Erlass der streitgegenständlichen Abschiebungsandrohung entgegensteht. Denn die Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG darf dann nicht ergehen, wenn der Ausländer kraft Gesetzes aufenthaltsberechtigt ist und daher mit der Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG) eine materielle Voraussetzung der Abschiebung gemäß § 58 Absatz 1 AufenthG fehlt. Besteht eine gesetzliche Aufenthaltsberechtigung, ist ein Aufenthaltstitel nicht "erforderlich" i.S.d. § 50 Abs. 1 AufenthG, um den Aufenthalt zu legalisieren (vgl. auch Bergmann, in: ders./Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 34 AsylG Rn. 8).
Zwar dürfte dem Kläger noch kein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU zustehen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger, der erst seit 4. April 2019 verheiratet ist, seit fünf Jahren als Familienangehöriger einer Unionsbürgerin ständig rechtmäßig mit dieser im Bundesgebiet aufgehalten hat. Jedoch dürfte ihm gleichwohl ein vom Status seiner Ehefrau abgeleitetes Aufenthaltsrecht zustehen. Hat ein Unionsbürger, zu dem der Nachzug erfolgt, bereits - wie hier - ein Daueraufenthaltsrecht erlangt, erfüllt aber der Familienangehörige die zeitlichen Voraussetzungen des § 4a Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU noch nicht, ordnet keine Regelung des Freizügigkeitsgesetzes/EU den Erwerb eines Aufenthaltsrechts des Familienangehörigen ausdrücklich an. Haben aber Familienangehörige von Freizügigkeitsberechtigten ein Aufenthaltsrecht (§ 2 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 3 FreizügG/EU), muss dies erst recht für Familienangehörige von daueraufenthaltsberechtigten Unionsbürgern gelten. Andernfalls wäre die Rechtsposition des Daueraufenthaltsberechtigten unter Umständen wesentlich entwertet. Setzt schließlich § 4a Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU voraus, dass sich Familienangehörige von daueraufenthaltsberechtigten Unionsbürgern fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben können, bevor sie selbst daueraufenthaltsberechtigt werden, liegt nahe, dass das Gesetz eine solche Aufenthaltsberechtigung auch ermöglicht. Ist die akzessorische Aufenthaltsberechtigung des Klägers somit nicht zweifelhaft, müssen Art und Umfang dieses Rechts im vorliegenden Zulassungsverfahren nicht näher bestimmt werden (vgl. hierzu Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 4a FreizügG/EU Rn. 77; Tewocht, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand: 01.07.2020, § 4a FreizügG/EU Rn. 3 f.; vgl. auch Ziffer 4a.0.2 AVV-FreizügG/EU). [...]