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VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Urteil vom 25.06.2020 - 5 K 4122/17.KS.A - asyl.net: M28991
https://www.asyl.net/rsdb/M28991
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für einen Palästinenser aus dem Westjordanland:

1. Kein ipso facto-Schutz, da UNRWA im Westjordanland Schutz bieten kann.

2. Keine Verfolgung durch den israelischen Staat durch "Aussperrung", da eine Wiedereinreise in das Westjordanland über Jordanien möglich ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Westjordanland, Israel, Palästinenser, UNRWA, ipso-facto-Flüchtling, Aussperrung, Palästinensische Gebiete,
Normen: AsylG § 3 Abs. 3, AsylG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

a) Zunächst ist festzustellen, dass die Berufung des Klägervertreters auf seine Registrierung beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), aufgrund derer ihm "ipso facto" die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei, fehlgeht. Denn Voraussetzung hierfür ist nicht allein die Registrierung bei UNRWA. Vielmehr ist notwendig, dass ein Flüchtling tatsächlich den Schutz und Beistand von UNRWA genossen hat und dieser Schutz unfreiwillig – z.B. bedingt durch den Bürgerkrieg – in allen Landesteilen entfallen ist. Dann ist gem. § 3 Abs. 3 S. 2 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die bloße Abwesenheit aus dem Einsatzgebiet des UNRWA oder die freiwillige Entscheidung, dieses zu verlassen, führt nicht zu einem Wegfall des Schutzes oder Beistandes (VG Ansbach, Urteil vom 15.11.2019 – AN 17 K 18.31437 –, juris Rn. 32).

Der Kläger und seine ebenfalls registrierte Familie kommen aus dem Westjordanland, wo UNRWA weiterhin aktiv ist. Anders als in Syrien (vgl.: Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 16.05.2018 – 1 A 679/17 –, juris; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 30.07.2018 – 3 A 582/17.A –, juris) kann im Westjordanland nicht die Rede davon sein, dass UNRWA nicht mehr in der Lage wäre, Schutz zu bieten. [...]

d) Eine Verfolgung droht dem Kläger auch nicht durch "Aussperrung" bzw. "Ausgrenzung". In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass "Aussperrungen" und "Ausgrenzungen" in Gestalt von Rückkehrverweigerungen politische Verfolgung darstellen können, wenn sie wegen asylerheblicher Merkmale des Betreffenden erfolgen. Dies wird regelmäßig anzunehmen sein, wenn die Aussperrung an die Staatsangehörigkeit geknüpft ist. Bei Staatenlosen liegt es demgegenüber nahe, dass eine solche Maßnahme auf anderen als auf asylrelevanten Gründen beruht, weil beispielsweise der Staat ein Interesse daran hat, die durch den Aufenthalt entstandene wirtschaftliche Belastung zu mindern oder Gefahren für die Staatssicherheit durch potentielle Unruhestifter vorzubeugen, oder weil er keine Veranlassung sieht, Staatenlose, die freiwillig das Land verlassen haben, wieder aufzunehmen (BVerwG, Urteil vom 24.10.1995 – 9 C 75/95 –, juris Rn. 17). Das Verhältnis zwischen Palästinensern und Israel sei aber differenzierter zu betrachten, weil der israelische Staat das Westjordanland annektiert hat und daher zu der dort seit jeher ansässigen palästinensischen Bevölkerung in einer rechtlichen Beziehung stehe, die aus asylrechtlicher Sicht der Beziehung zwischen Staat und Bürger gleichkomme (Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 18.11.1998 – 2 L 9/96 –, juris).

Vor diesem Hintergrund wurde vor einigen Jahren in der Rechtsprechung teilweise angenommen, Israel lasse Palästinenser nach einigen Jahren Abwesenheit wegen ihrer Volkszugehörigkeit de facto endgültig nicht mehr in das Westjordanland bzw. den Gazastreifen einreisen und sperre sie somit in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise aus (VG B-Stadt, Urteil vom 14.01.2015 – 5 K 1330/11.KS.A –, n. v.; VG Dresden, Urteil vom 25.11.2010 – A 5 K 1072/08 –, juris).

Das Gericht geht jedoch entgegen der Sicht des klägerischen Prozessbevollmächtigten nicht davon aus, dass dem Kläger eine Wiedereinreise in die palästinensischen Autonomiegebiete heutzutage praktisch unmöglich wäre.

Ausweislich des "Danish Immigration Service" (Country Report Palestinians: Access and Residency for Palestinians in the West Bank, the Gaza Strip and East Jerusalem, Mai 2019, S. 16) können registrierte Palästinenser aus dem Westjordanland jederzeit und ohne Visum von Israel aus dorthin zurückkehren. Sie können am Flughafen Amman landen und direkt über den Grenzübergang Allenby/King Hussein Bridge ins Westjordanland einreisen. Es gibt auch kein Zeitlimit für die Wiedereinreise. [...]