VG Bremen

Merkliste
Zitieren als:
VG Bremen, Gerichtsbescheid vom 18.11.2019 - 4 K 129/18 - asyl.net: M29022
https://www.asyl.net/rsdb/M29022
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für einen jungen Mann wegen prekärer wirtschaftlicher Lage in Afghanistan:

Vor dem Hintergrund der prekären wirtschaftlichen Lage in Afghanistan ist für den Kläger ein Abschiebungsverbot festzustellen, da er im Iran geboren und aufgewachsen ist, keine sozialen Kontakte in Afghanistan hat und zudem zur diskriminierten Minderheit der Hazara gehört.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Iran, faktischer Iraner, Hazara, Existenzminimum, Existenzgrundlage, Abschiebungsverbot, zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

II. Die Klage hat jedoch in Bezug auf die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger Abschiebungsschutz zu gewähren, Erfolg. Der Kläger hat nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans. [...]

Im Falle des im Iran geborenen Klägers, der in Afghanistan über keinerlei soziale Kontakte verfügt, ist nach Auffassung des Einzelrichters eine besondere Ausnahmesituation gegeben. Unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel sprechen ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür, dass der Kläger bei einer Abschiebung nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, Art. 3 EMRK widersprechenden Verhältnissen ausgesetzt zu sein. Die sozioökonomische Lage dort lässt für den Kläger ein menschenwürdiges Dasein nicht zu. [...]

3. Vorliegend ist nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nicht davon auszugehen, dass der Kläger, der in Afghanistan über keinerlei unterstützungswillige soziale Kontakte verfügt, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, in Kabul oder einer anderen unter Regierungskontrolle stehenden Großstadt durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Arbeitseinkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. So wird die Lage in Kabul in der schweizerischen Rechtsprechung für eine Person, die dort über kein soziales Netzwerk verfügt, grundsätzlich als existenzbedrohend eingestuft (vgl. Bundesverwaltungsgericht der Schweiz, Urteil vom 13. Oktober 2017 - D-5800/2016 -, Nr. 8.4). Hinzu kommt, dass der Kläger als Rückkehrer aus dem Ausland und aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara insbesondere bei der Arbeits- und Wohnungssuche erhebliche Benachteiligungen befürchten muss. So weist der UNHCR (Richtlinien, August 2018, a.a.O., S. 93) auf Berichte hin, wonach Hazara weiterhin gesellschaftlich diskriminiert und Opfer von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierungen und Zwangsarbeit, physische Gewalt und Gefangennahme würden. [...]