Flüchtlingsanerkennung wegen Beteiligung an sezessionistischen Gruppen in Nigeria:
Sezessionistische Gruppen wie IPOB (Indigenous People of Biafra), die sich für die Unabhängigkeit Biafras einsetzt, werden durch die nigerianische Regierung als terroristisch eingestuft, obwohl von ihr keine Gewalttaten ausgehen. Ihre Anhänger*innen werden von den Sicherheitsbehörden inhaftiert (ca. 60 befinden sich derzeit aufgrund unterschiedlicher Vorwürfe in Haft). Demonstrationen der IPOB werden unterbunden. Das Verbot und die daran anschließenden Verhaftungen stellen eine gezielte Verfolgung dar, die an die politische Einstellung anknüpft.
(Leitsätze der Redaktion)
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Nach den vorliegenden Erkenntnissen stellt sich die Situation wie folgt dar. Grundsätzlich herrscht in Nigeria Versammlungsfreiheit, welche jedoch durch das Eingreifen der Sicherheitsbehörden gegen politisch unliebsame Versammlungen eingeschränkt wird (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10.12.2018 (Stand: Oktober 2018), S. 11 ). Die nigerianische Verfassung und die nigerianischen Gesetze erlauben die freie Bildung politischer Parteien, Gewerkschaften oder Interessengruppen. Allerdings wird dieses Recht hinsichtlich einiger Gruppen eingeschränkt. Wurden zunächst auch kleinere Gruppen mit sezessionistischen Zielen (etwa Biafra) weitgehend toleriert, änderte sich dies im September 2017 mit dem Verbot der "lndigenous People of Biafra" (IPOB) und der schiitischen IMN. Die neben der IPOB im Südosten Nigerias ebenfalls sezessionistische Bewegung "Movement for the Actualization of the Sovereign State of Biafra" (MASSOB) sowie die IPOB selbst verfolgen ihrerseits keine politischen Gegner oder sind an schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Jedoch wird den Anhängern der Biafra-Bewegung, welche seit dem Regierungswechsel 2015 verstärkt demonstrieren, von Seiten der Regierung gewaltsam begegnet, auch wenn Festnahmen oder Verhaftungen einzig aufgrund der Zugehörigkeit zu der Organisation bislang nicht bekannt geworden sind. Nach der vorübergehenden Freilassung des seit Herbst 2015 inhaftierten Anführers der IPOB, Nnamdi Kanu, im Frühjahr 2017 spitzte sich die Lage rund um den 50. Jahrestag des Beginns des Biafra-Kriegs zu und infolge dessen wurde die IPOB zur terroristischen Organisation erklärt. Nunmehr geht die Polizei gegen Mitglieder beider Gruppen mittels Inhaftierungen vor. Laut Polizeichef des Bundesstaates Abia sind zwischenzeitlich 59 vermutliche IPOB-Mitglieder wegen Mordes, Brandstiftung und anderer Verbrechen verhaftet worden. Die seither stattfindenden Demonstrationen wurden von den nigerianischen Sicherheitsbehörden regelmäßig unterbunden (siehe zu den vorherigen Ausführungen BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Nigeria vom 12.04.2019, S. 25-27 m.w.N.).
Diese Erkenntnisse stehen im Einklang mit den glaubhaften Aussagen des Klägers, wonach er aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen im Jahr 2014 als Sezessionist angesehen und damit im weitesten Sinne als Teil der Opposition bekämpft wird. Dies lässt sich insbesondere aus dem zunehmend aggressiven Verhalten der nigerianischen Regierung gegenüber der Biafra-Bewegung schließen, die schließlich in einem Verbot der IPOB und deren Deklarierung als terroristisch gipfelte, obgleich von ihr (grundsätzlich) keine Gewalttaten ausgehen. Damit handelt es sich nicht um eine zulässige Strafverfolgung. Die Aussprache des Verbots und die sich daran anschließenden Verhaftungen stellen sich als gezielte Verfolgung der für eine Gründung Biafras demonstrierenden Menschen dar. Es ist dabei anzunehmen, dass bei einer erneuten Demonstration wiederum Demonstranten verhaftet oder verschleppt, gegebenenfalls sogar getötet würden. Zwar ist die bloße Mitgliedschaft bzw. Zugehörigkeit zu einer der beiden sezessionistischen Gruppen nicht ausreichender Anlass, um eine Verfolgung durch die Regierung zu erwarten. Allerdings kann vom Kläger nicht verlangt werden, dass er seine Überzeugungen, die er glaubhaft machen konnte, geheim hält, um nicht aufzufallen, so dass ihm auch in Zukunft eine hinreichend begründete Verfolgung drohte.
Aus diesem zuletzt genannten Grund existiert für den Kläger - unabhängig von der Kenntnis seiner Daten aufgrund der Inbesitznahme seines Ausweises - keine Fluchtalternative, § 3e AsylG. Sollte der Kläger sich von seiner Überzeugung leitend erneut für Biafra einsetzen und an Demonstrationen teilnehmen, so würde diese in jedem Landesteil Nigerias von der Regierung niedergeschlagen und würden entsprechende Verfolgungshandlungen vorgenommen. Zudem ist der Kläger, auch wenn er nicht in herausgehobener Position für die Bewegung tätig war, doch bereits ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten, wurde verhaftet und gefoltert. Seine Freilassung erfolgte nur unter der Bedingung, dass er die Polizei als Informant in Zukunft über Pläne der Bewegung informiert. [...]