OVG Niedersachsen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 03.09.2020 - 10 LA 144/20 - asyl.net: M29048
https://www.asyl.net/rsdb/M29048
Leitsatz:

Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung:

"[...] Bei unverschuldeter Verhinderung eines Beteiligten, an einem Verhandlungstermin teilzunehmen, und Hinde­rung seines Prozessbevollmächtigten infolge der Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags kann ein erheblicher Grund für die Verlegung des Termins vorliegen."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: mündliche Verhandlung, Terminsverlegung, rechtliches Gehör, Prozesskostenhilfe, Prozessbevollmächtigte, Terminsladung, Berufungszulassung, Verschulden,
Normen: ZPO § 227 Abs. 1, VwGO § 173 S. 1, AsylG § 78 Abs. 4 S. 4, AsylG § 78 Abs. 3 S. 3, VwGO § 138 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

5 Am 9. März 2020 hat das Verwaltungsgericht den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 18. Mai 2020 bestimmt und einen Dolmetscher geladen, ohne das persönliche Erscheinen des Klägers anzuordnen. Zugleich hat es ihm gemäß § 87b Abs. 2 VwGO mit Fristsetzung bis zum 20. April 2020 aufgegeben, bis dahin alle neuen Tatsachen und Beweismittel anzugeben, und darauf hingewiesen, dass nach Fristablauf Erklärungen und Beweismittel zurückgewiesen werden könnten. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers wurde die Ladung am 10. März 2020 zugestellt. Am 27. April 2020 hat das Verwaltungsgericht den Termin von 10:45 Uhr auf 12:00 Uhr am gleichen Tage verlegt.

6 Mit Schriftsatz vom 7. Mai 2020 erkundigte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber dem Verwaltungsgericht nach dem für das Hauptsacheverfahren gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe. Das Verwaltungsgericht lehnte daraufhin die beantragte Prozesskostenhilfe am 8. Mai 2020 mit der Begründung ab, die ärztliche Stellungnahme erfülle nicht ansatzweise die Mindestanforderungen, die an fachärztliche Äußerungen zu stellen seien. Am 11. Mai 2020 reichte der Kläger eine psychotherapeutische Stellungnahme einer psychologischen Psychotherapeutin vom ... 2019 zu den Akten und bat um Terminsverlegung, weil aufgrund der gegenwärtigen Ausnahmesituation der Erhalt von Attesten über seine derzeit erfolgende Behandlung in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung nicht möglich sei.

7 Den Terminsverlegungsantrag hat das Gericht unter Bezugnahme auf § 87b Abs. 3 VwGO abgelehnt. [...]

10 Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2020 (Freitag), eingegangen beim Verwaltungsgericht am gleichen Tag um 16:43 Uhr, ersuchte der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage einer auf den Kläger ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die eine Erkrankung der oberen Atemwege ausweist, erneut um Verlegung des Termins. Der Kläger habe mitgeteilt, kurzfristig Fieber und Halsschmerzen bekommen zu haben. Aufgrund dieser Symptome sei ihm ausweislich des Aushangs am Gerichtsgebäude der Zutritt untersagt. Er - der Prozessbevollmächtigte - selbst könne aufgrund der Ablehnung der Prozesskostenhilfe den Termin nicht für den Kläger wahrnehmen. [...]

13 Weiter hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass es den Terminsverlegungsantrag des Klägers abgelehnt habe, weil das gerichtliche Ermessen vorliegend nicht so weit reduziert gewesen sei, dass eine Verpflichtung zur Terminsverlegung bestanden habe. Der wegen seiner Erkrankung verhinderte Kläger sei durch seinen Prozessbevollmächtigten ausreichend vertreten gewesen. Das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich vertretenen Person werde durch ihren Gehörsanspruch nicht geschützt. [...]

15 Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat Erfolg. Denn der von ihm geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels in Form der Versagung rechtlichen Gehörs gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO ist von ihm hinreichend dargelegt worden und liegt vor. Das Verwaltungsgericht hat mit der Ablehnung des Terminsverlegungsantrags des Klägers seinen - auch verfassungsrechtlich gewährleisteten (Art. 103 Abs. 1 GG) - Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) verletzt. [...]

18 Rügt der Kläger - wie hier - eine unterlassene Verlegung, muss er daher darlegen, weshalb das Gericht den Verlegungsantrag nicht hätte ablehnen dürfen (Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, § 124a Rn. 114), mithin dass ein erheblicher Grund vorgelegen hat (Stuhlfauth in Bader/Funke- Kaiser/Stuhlfauth/ von Albedyll, VwGO, 7. Auflage 2018, § 138 Rn. 50). Denn eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör kommt bei der Ablehnung eines Verlegungs- oder Vertagungsantrags in Betracht, wenn dieser auf im Sinne des § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhebliche Gründe gestützt worden ist. [...]

22 Unabhängig davon, ob ein Gehörsverstoß bereits darin gesehen werden kann, dass dem Kläger vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung die Entscheidung über seinen Terminsverlegungsantrag nicht mitgeteilt worden ist (vgl. dazu Bayerischer VGH, Beschluss vom 27.04.2020 – 14 ZB 19.31488 –, juris Rn. 11), lag mit der Erkrankung des Klägers ein erheblicher Grund für eine Verlegung des für den 18. Mai 2020 bestimmten Verhandlungstermins vor, weil er durch diese unverschuldet verhindert war (dazu a) und er aufgrund der Ablehnung seines Antrags auf Prozesskostenhilfe auch gehindert war, sich durch seinen Prozessbevollmächtigten im Termin vertreten zu lassen (dazu b). Damit verdichtete sich angesichts des hohen Ranges des Anspruchs auf rechtliches Gehör das Ermessen, das § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO einräumt, zu einer entsprechenden Verpflichtung des Verwaltungsgerichts (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 21.12.2009 – 6 B 32.09 –, juris Rn. 3; BFH, Beschluss vom 08.04.1998 – VIII R 32/95 –, DStRE 1998, 777, 781; Bayerischer VGH, Beschluss vom 06.02.2020 – 11 ZB 20.30297 –, juris Rn. 4). Der Kläger hat auch nicht mit der Folge des Verlusts des Rügerechts versäumt, die ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (dazu c). [...]