VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Beschluss vom 30.09.2020 - 1 E 557/20 We - asyl.net: M29094
https://www.asyl.net/rsdb/M29094
Leitsatz:

Anspruch auf Ausstellung der Aufenthaltsgestattung bei nachträglichem Wiedereintritt der Gestattungslage:

1. Wird ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt und die Abschiebungsandrohung vollziehbar, so erlischt nach § 67 Abs. 1 AsylG die Aufenthaltsgestattung.

2. Entfällt die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung nachträglich, etwa in den Fällen einer nachträglichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage nach § 80 Abs. 7 VwGO, tritt die Gestattungslage wieder ein und der betroffenen Person ist eine Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung auszustellen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: offensichtlich unbegründet, Suspensiveffekt, Aufenthaltsgestattung, Bescheinigung,
Normen: AsylG § 67 Abs. 1, AsylG § 67 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Antrag hat in der Sache Erfolg; er ist zulässig (1) und begründet (2).

1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung nach § 63 Abs. 1 AsylG um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG handelt (so zum früheren § 20 Abs. 4 AsylVfG BVerwG, Urt. vom 29.04.1988 - 9 C 54.87-, juris) gegen dessen Verweigerung in der Hauptsache mit einer Verpflichtungsklage vorzugehen ist (Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. § 63 AsylG Rn. 8) oder ob die Bescheinigung im Hinblick auf ihren bloß deklaratorischen Charakter als Realakt zu qualifizieren ist mit der Folge, dass in der Hauptsache eine Leistungsklage statthaft wäre. Denn in beiden Fällen ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Gestalt einer Regelungsanordnung statthaft. [...]

2. Der Antrag ist auch begründet. [...]

Vorliegend haben die Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund (a) als auch einen Anordnungsanspruch (b) glaubhaft gemacht.

a) Der Anordnungsgrund ergibt sich vorliegend daraus, dass die von ihnen begehrte Rechtsstellung eines gestatteten Aufenthalts den Antragstellern eine weitaus günstigere Rechtsposition vermittelt, als die Rechtsstellung eines nur geduldeten Aufenthalts. Denn die Duldung ist ein in der Verwaltungsvollstreckung ergehender Verwaltungsakt, dessen Regelungsgehalt sich darin erschöpft, dass die Vollstreckung der Abschiebung vorübergehend ausgesetzt wird. Dessen ungeachtet bleibt ein (nur) geduldeter Ausländer gem. § 60a Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) aber weiterhin vollziehbar ausreisepflichtig. Demgegenüber hält sich ein Ausländer mit Aufenthaltsgestattung rechtmäßig im Bundesgebiet auf und ist nicht ausreisepflichtig. Da die Antragsteller aber gerade noch nicht vollziehbar ausreisepflichtig sind, haben sie ein berechtigtes Interesse daran, einen dahingehenden Rechtsschein zu vermeiden. Darüber hinaus.ist einem Ausländer während der Dauer des Asylverfahrens die Erfüllung der in § 64 Abs. 1 AsylG normierten Ausweispflicht nur durch die Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung und gerade nicht durch eine Duldungsbescheinigung möglich (Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. § 64 AsylG Rn. 2). Dies gilt jedenfalls dann, wenn wie hier in der ausgestellten Duldungsbescheinigung (vgl. Bl. 122 BA 1) ausdrücklich vermerkt ist, dass der Inhaber mit dieser Bescheinigung seiner Pass- und Ausweispflicht nicht genügt. Es ist den Antragstellern daher nicht zuzumuten, eine rechtskräftige Entscheidung im parallelen Klageverfahren abzuwarten und bis dahin nur geduldet zu werden.

b) Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es ist nach der - im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen - summarischen Prüfung überwiegend wahrscheinlich, dass ihnen ein Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung über die Aufenthaltsgestaltung zusteht. Denn es spricht alles dafür, dass ihr Aufenthalt kraft Gesetzes gestattet ist. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Nach § 55 AsylG ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet ab Ausstellung des Ankunftsnachweises gemäß § 63a Abs. 1 AsylG gestattet (Aufenthaltsgestaltung). Die Aufenthaltsgestattung entsteht somit unmittelbar kraft Gesetzes. Einem Ausländer ist gemäß § 63 Abs. 1 AsylG nach der Asylantragstellung eine (deklaratorisch wirkende) Bescheinigung über die Aufenthaltsgestaltung auszustellen, wenn er nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels ist. In § 67 Abs. 1 AsylG ist geregelt, in welchen Fällen die Aufenthaltsgestattung erlischt. Dies ist in den Fällen des § 67 Abs. 1 Nr. 4 - 6 AsylG - vereinfacht gesprochen - immer dann der Fall, wenn die Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist, wenn also der Ausländer auch kein vorübergehendes Bleiberecht zur Durchführung eines Asylverfahrens hat.

Vorliegend war der Aufenthalt der Antragsteller infolge des von ihnen gestellten Asylantrages kraft Gesetzes nach § 55 AsylG gestattet. Die im Ablehnungsbescheid vom 04.06.2018 enthaltene Abschiebungsandrohung wurde mit der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar vom 24.01.2019 vollziehbar. Dadurch ist die Aufenthaltsgestattung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG erloschen. Der Antragsgegner hat die Bescheinigung daher auch zu Recht zunächst nach § 63 Abs. 4 AsylG eingezogen.

Durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23.01.2020 nach § 80 Abs. 7 VwGO ist jedoch eine neue Situation entstanden. Durch diesen Beschluss hat das Gericht seinen früheren Beschluss vom 24.01.2019 abgeändert und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die im Bescheid vom 04.06.2018 enthaltene Abschiebungsandrohung angeordnet. Als Folge hieraus ergibt sich, dass der Aufenthalt der Antragsteller wieder nach § 55 AsylG kraft Gesetzes gestattet ist. Dem steht nicht entgegen, dass hier kein Fall des gesetzlich angeordneten Wiederinkrafttretens nach § 67 Abs. 2 AsylG vorliegt. Denn diese Regelung ist nach Auffassung des Gerichts nicht abschließend. § 67 Abs. 2 AsylG betrifft nur die Fälle, in denen des Ausländers selbst die Erlöschenswirkung nach § 67 Abs. 1 Asyl durch eine nachträgliche Handlung rückgängig machen kann, nämlich durch die Verfahrenswiederaufnahme nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG (§ 67 Abs. 2 Nr. 1 AsylG) und die Asylantragstellung nach Ablauf einer Frist von zwei Wochen nach Ausstellung des Ankunftsnachweises (§ 67 Abs. 2 Nr. 2 AsylG). In diesen Fällen bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des Wiederinkrafttretens. Der Aufenthalt eines Ausländers ist jedoch ebenso nach § 55 AsylG gestattet, wenn die Voraussetzungen für ein Erlöschen der Aufenthaltsgestattung nach § 67 Abs. 1 AsylG durch eine gerichtliche Entscheidung nachträglich wegfallen, wenn also - im Falle des § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG - die Abschiebungsandrohung durch gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht (mehr) vollziehbar ist. Die Regelung des § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist dahingehend zu verstehen, dass die Abschiebungsandrohung nicht nur vollziehbar geworden sein muss, sondern dass sie auch dauerhaft vollziehbar bleiben muss. Es macht daher keinen Unterschied, ob die Anordnung der aufschiebenden Wirkung unmittelbar nach § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet wird, oder erst nachträglich nach § 80 Abs. 7 VwGO. Einer besonderen gesetzlichen Anordnung eines Wiederinkrafttretens der Aufenthaltsgestattung bedarf es dabei anders als in den in § 67 Abs. 2 AsylG genannten Fällen nicht, denn das Wiederinkrafttreten ergibt sich automatisch aus der Gestaltungswirkung der gerichtlichen Entscheidung, die zum "Erlöschen des Erlöschensgrundes" führt. [...]