LSG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.12.2020 - L 15 AY 25/20 B ER - asyl.net: M29204
https://www.asyl.net/rsdb/M29204
Leitsatz:

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 1a AsylbLG:

1. Bei den streitgegenständlichen Bewilligungsbescheiden handelt es sich um Dauerverwaltungsakte. 

2. Da das Rechtsmittel der Hauptsache keine aufschiebende Wirkung entfaltet, ist der Eilantrag nach § 86b SGG zulässig.

3. Im vorliegenden Fall hatte sich das Verfahren erledigt. Die Kosten waren daher aus Gründen der Billigkeit dem Antragsgegner aufzuerlegen, weil die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren nicht abschätzbar waren, da die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Leistungskürzungen nach § 1a AsylbLG strittig und bisher nicht geklärt ist. Es bestehen starke Zweifel an Verfassungsmäßigkeit von § 1a AsylbLG.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Sozialrecht, Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungskürzung, Anspruchseinschränkung, Dauerverwaltungsakt,
Normen: AsylbLG § 1a, SGG § 86b,
Auszüge:

[...]

Dass es sich bei den Bewilligungsbescheiden um Dauerverwaltungsakte gehandelt haben dürfte, ergibt eine Auslegung der Bescheide vom 10. August 2018, 6. September 2018, 27. September 2019 und 9. Dezember 2019. [...]

An diesen Maßstäben gemessen dürfte es sich bereits bei dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 10. August 2018 um einen Dauerverwaltungsakt handeln. In dem Bescheid heißt es u.a. "unter Berücksichtigung der von Ihnen mit Antrag vom 10.08.2018 nachgewiesenen wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse erhalten die nachfolgend aufgeführten Personen:

Leistungen nach dem AsylbLG in Anlehnung an die Regelbedarfsstufen des Regelbedarfsermittlungsgesetzes (§ 8 RBEG) ab dem 09.08.2018 in folgender Höhe: für den Monat 8/2018 (anteilig): 185,89 €". Ein Bewilligungsbescheid lässt sich in verschiedene Verfügungssätze aufgliedern, und zwar bezüglich der Art der Leistung, deren Beginn, der Dauer sowie der Höhe der Leistungen. Danach dürfte der Antragsgegner dem Antragsteller mit dem Bescheid vom 10. August 2018 Leistungen "ab" dem 9. August 2018, also zeitlich unbegrenzt, bewilligt haben. Lediglich bezüglich der Höhe dürfte er eine Entscheidung allein für den Monat August 2018 getroffen haben. Auch der Hinweis am Ende des Bescheides: "Dieser Bescheid regelt das Leistungsverhältnis nur für den eingangs genannten Bewilligungszeitraum. Ergibt sich in den wesentlichen Verhältnissen keine Veränderung, bleibt vorenthalten, die Leistungen für nachfolgende Zeiträume stillschweigend durch Auszahlung der Beträge zu bewilligen. In einem solchen Fall können Sie davon ausgehen, dass die Begründung sowie die Berechnung und Festsetzung der Einzelansprüche denen des vorliegenden Bescheides entsprechen. Sofern nicht ausdrücklich anders geregelt, gilt das Bewilligungszeitraum der Kalendermonat, für den die Leistung erbracht wird", dürfte nicht zu einer Auslegung dahingehend führen, dass Leistungen nur für den August 2018 bewilligt wurden. Es dürfte sich dabei zunächst nur um einen Hinweis handeln, der nicht Bestandteil des Verfügungssatzes sein dürfte. Im Übrigen dürfte dieser Hinweis auch nur so zu verstehen sein, dass der Bescheid das Leistungsverhältnis für den eingangs genannten Bewilligungszeitraum und damit "ausdrücklich anders", nämlich für einen unbegrenzten Zeitraum regelt. [...]

Vorliegend sind die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren nicht abschätzbar, da die Frage der Verfassungsgemäßheit von abgesenkten Leistungen gemäß § 1a AsylbLG strittig und bisher nicht geklärt ist (vgl. zum Streitstand Oppermann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, Stand 23. November 2020, § 1a AsylbLG, Rn. 204 ff.). Ein entsprechendes Verfahren, allerdings betreffend § 1a AsylbLG a.F., ist unter dem Az. BA 2682/17 bei dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängig. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dürften für den Antragsteller jedoch mindestens genauso groß sein wie die Aussichten, nicht zu obsiegen. Der erkennende Senat hat erhebliche Zweifel an der Verfassungsgemäßheit abgesenkter Leistungen gemäß § 1a AsylbLG, und zwar aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, Az. 1 BvL 10/10, dokumentiert in juris und in BVerfGE 132,134, und zuletzt zu den Sanktionsnormen des Sozialgesetzbuch II, Urteil vom 5. November 2019, Az. 1 BvL 7/16, dokumentiert in juris und in BVerfGE 152,68. Da die Frage jedoch, wie erläutert, nicht geklärt ist, hätte die Entscheidung aufgrund einer allgemeinen Interessenabwägung ergehen müssen, die aufgrund der Tatsache, dass der Antragsteller bei einer Absenkung von Leistungen gemäß § 1a AsylbLG Leistungen unterhalb des Existenzminimums erhalten hat, wohl zu seinen Gunsten ausgegangen wäre. [...]