VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 14.01.2021 - 5 L 2348/20 - asyl.net: M29322
https://www.asyl.net/rsdb/M29322
Leitsatz:

Bescheinigung über Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte:

1. Beantragt eine drittstaatsangehörige Person als Familienangehörige*r von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger*innen die Ausstellung einer Aufenthaltskarte, so ist nach § 5 Abs. 1 S. 2 FreizügG/EU unverzüglich eine Bescheinigung über den Antrag auszustellen. 

2. Entgegen dem Wortlaut in § 5 Abs. 1 S. 2 FreizügG/EU ist es nicht erforderlich, dass neben der Antragstellung als solcher auch "die erforderlichen Angaben" gemacht wurden. Auch muss nicht glaubhaft gemacht werden, dass die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts vorliegen.

3. Verweigert die Behörde die Bescheinigung über den Antrag, so können Antragsteller*innen die Ausstellung regelmäßig im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erstreiten.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Aufenthaltskarte, EU-Staatsangehörige, Familienangehörige, Drittstaatsangehörige, deklaratorische Wirkung, Antrag, Bescheinigung, vorläufiger Rechtsschutz, Unionsbürgerrichtlinie,
Normen: FreizügG/EU § 5 Abs. 1 S. 2, FreizügG/EU § 5 Abs. 1 S. 1, RL 2004/38/EG Art. 10 Abs. 1 S. 2,
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist zulässig, ihm fehlt insbesondere nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsteller, ein Staatsangehöriger eines Drittstaates, kann zur Zeit weder seinen rechtmäßigen, akzessorischen Aufenthalt nach einem Unionsbürger mittels einer Aufenthaltskarte nachweisen noch kann er nachweisen, dass er sich in einem Verwaltungsverfahren zur Prüfung dieses unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht befindet. Denn die Antragsgegnerin bestreitet dem Antragsteller das Recht einen solchen Nachweis, dass er sich in einem Antragsverfahren nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AufenthG befindet und damit sein Aufenthalt während der Dauer dieses Verfahrens geregelt ist, zu bescheinigen. Ein schützenswertes rechtliches Interesse an einer solchen Bescheinigung besteht, wie sich jedenfalls Artikel 10 Abs. 1 Satz 2 Unionsbürgerrichtlinie RU2004/38/EG vom 29. April 2004 in der konsolidierten Fassung mit den Änderungen durch Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 entnehmen lässt. Dieser lautet: Eine Bescheinigung über die Einreichung des Antrags auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte wird unverzüglich ausgestellt. [...]

Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung ergibt sich daraus, dass der Antragsteller zur Zeit seinen geregelten, also den Ausländerbehörden bekannten Aufenthalt nicht nachweisen kann.

Der Antragsteller hat aber auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er hat einen jedenfalls aus dem Unionsrecht sich ergebenen Anspruch auf eine Bescheinigung darüber, dass er sich in einem Verwaltungsverfahren auf Prüfung einer Aufenthaltskarte befindet.

Die Antragsgegnerin verkennt, dass die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU und die in§ 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU verschiedene Bescheinigungen regeln.

Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU wird freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind von Amts wegen innerhalb von sechs Monaten, nachdem sie die erforderlichen Angaben gemacht haben, eine Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern ausgestellt, die fünf Jahre gültig sein soll. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU erhält der Familienangehörige unverzüglich eine Bescheinigung darüber, dass die erforderlichen Angaben gemacht worden sind.

Es ist der Antragsgegnerin zuzugestehen, dass die Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU hinter dem Wortlaut und wohl auch dem Sinn des Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Unionsbürgerrichtlinie zurückfällt, denn im Unterschied zu Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Unionsbürgerrichtlinie enthält die deutsche Umsetzung der Richtlinie als weiteres Tatbestandsmerkmal die Bedingung „dass die erforderlichen Angaben gemacht worden sind".

In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass dem unionsfamilienangehörigen Drittstaatler bereits nach Antragstellung auf eine Aufenthaltskarte eine Bescheinigung zusteht.

Die nach Art. 40 Abs. 1 Unionsbürgerrichtlinie bis zum 30. April 2006 vorzunehmende Umsetzung der vorgenannten Vorgaben der Richtlinie durch den bundesdeutschen Gesetzgeber ist nach dem Wortlaut des einschlägigen§ 5 Abs. 1 FreizügG/EU nicht vollständig erfolgt. Defizitär ist die Umsetzung insoweit, als § 5 Abs. 1 FreizügG/EU die in Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Unionsbürgerrichtlinie geregelte Bescheinigung nicht übernommen hat. Insoweit kann, weil nicht entscheidungserheblich, offenbleiben, ob § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung der nationalen Regelung erweiternd dahin ausgelegt werden kann, dass er auch die unionsrechtlich erforderliche Bescheinigung umfasst oder ob sich der Anspruch auf Ausstellung dieser Bescheinigung aus einer unmittelbaren Geltung der Regelung der Richtlinie ergibt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.11.2020 - 18 B 544/19- mit weiteren Nachweisen veröffentlicht in juris).

Jedenfalls steht eine Drittstaatsangehöriger, der sich auf die akzessorische Freizügigkeit, die einem mitziehenden Familienangehörigen eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger zusteht, beruft, eine derartige Bescheinigung bereits dann zu, wenn er den Antrag auf eine Aufenthaltskarte bei der zuständigen Ausländerbehörde gestellt hat. Ob die Voraussetzungen einer Aufenthaltskarte tatsächlich vorliegen, muss in dem Verwaltungsverfahren geklärt werden. Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Unionsbürgerrichtlinie wird die Bescheinigung - die kein Verwaltungsakt ist - unabhängig von der Glaubhaftmachung der Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts ausgestellt. Von der Ausstellung einer Bescheinigung über die Antragstellung wurde - wohl - abgesehen, weil die Ausstellung der Aufenthaltskarte von Amts wegen erfolgt. In Fällen, in denen die Prüfung der Voraussetzungen des Aufenthaltsrecht sich hinziehen, besteht aber ein Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung über die Antragstellung, um einen ordnungsgemäßen Aufenthalt nachweisen zu können. § 5 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU ist daher richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass mit der Anmeldung eine Bescheinigung auszustellen ist. [...]

Nach der zitierten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts kann ein Antragsteller, die Bescheinigung schon im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes unter Vorwegnahme der Hauptsache erstreiten. Der Verweis auf die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens sei nach den Umständen des Einzelfalles unzumutbar. Gründe, warum im vorliegenden Fall der Antragsteller auf die Durchführung des Hauptsacheverfahrens zu verweisen sei, sind nicht erkennbar. [...]