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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 16.04.2020 - 16 L 134/20 A - asyl.net: M29323
https://www.asyl.net/rsdb/M29323
Leitsatz:

Kein internationaler Schutz und kein Abschiebungsverbot für einen Angehörigen der Minderheit der Roma aus der Republik Moldau trotz zahlreicher chronischer Krankheiten (AIDS, Hepatitis C, Tuberkulose)

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Republik Moldau, Roma, Krankheit, medizinische Versorgung, Gruppenverfolgung, HIV/AIDS, Hepatitis C, Tuberkulose,
Normen: AsylG § 3, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller hat auch als Roma in Moldau offensichtlich keine flüchtlingsrechtlich erheblichen Probleme zu gewärtigen. Die Angehörigen der Minderheit der Roma sind offensichtlich keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt. Aus den in das Verfahren eingeführten Auskünften und Stellungnahmen sachverständiger Stellen ergibt sich eindeutig und widerspruchsfrei, dass die Angehörigen der Volksgruppe der Roma in der Republik Moldau keiner asyl- oder flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt sind. Hierzu wird auf die Ausführungen des erkennenden Gerichts mit den bereits erwähnten Grundsatzentscheidungen Bezug genommen, denen die Kammer folgt. Der Antragsteller hat bei der Anhörung auch nichts Individuelles angeführt, wonach ausnahmsweise gerade er in Moldau als Roma in einer erheblichen Weise verfolgt worden sei oder voraussichtlich werde. Letzteres gilt ebenso, soweit der Antragsteller ohne Näheres meint, als HIV-Infizierter würde er Diskriminierungen bzw. Lebensgefahr zu erwarten haben. Aus den eingeführten Erkenntnisse ergibt sich mit Blick auf die Vielzahl von HIV-Erkrankungen in Moldau Betroffener kein Anhalt für eine derartiges Maß an Diskriminierung, dass dies bereits flüchtlingsrechtlich erheblich wäre. [...]

4. Es liegen keine Gründe für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vor, insbesondere besteht keine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen. [...]

Gemessen daran ist eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Antragstellers im Falle seiner Rückkehr nach Moldau nicht alsbald zu befürchten, vielmehr sind die dem Antragsteller von der Heliosklinik, Lungenklinik Heckeshorn, namentlich am 5. November 2019 und 22. Januar 2020 bescheinigten Erkrankungen (insbesondere nicht mehr ansteckungsfähige multiresistente Lungentuberkulose, Hepatitis C mit mäßiger Lebervorschädigung, Aids, Blutplättchenmangel) nach den ins Verfahren eingeführten Erkenntnissen auch in Moldau behandelbar.

Soweit gegenüber der gegenwärtigen Medikation in Deutschland die aktuellen MedCOI-Auskünfte (namentlich BMA 13422 vom März 2020, BMA 12982 vom Dezember 2019, BMA 12936 vom Oktober 2019 und BMA 10467 vom Dezember 2017) u.a. anzeigen, dass zwei der zuletzt fünf verschriebenen Medikamente (bzw. Wirkstoffe), nämlich Linezolid und Clofazimin, in Moldau. (noch) nicht erhältlich seien, kommt es darauf vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller nicht den fortgeschrittenen Stand der medizinischen Praxis insoweit am höchsten entwickelter Länder einfordern kann, offensichtlich nicht an. Ebenso wenig kann sich der Antragsteller darauf berufen, dass nach Praxis im deutschen Gesundheitswesen oft beispielsweise fünf oder sechs Medikamente bzw. Wirkstoffe gegen multiresistente Tuberkulose angewandt werden mögen. Vielmehr genügt ein insoweit international angemessener Mindeststandard. So empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) bei der Behandlung multiresistenter Tuberkulose, dass in den ersten sechs Monaten der Therapie mindestens vier, danach mindestens drei sicher wirksame Substanzen zum Einsatz kommen sollten, wobei zu den höchst wirksamen Substanzen u.a. Bedaquilin, Moxifloxacin und Terizidon gehören (https://www.meduplus.de/blog/behandlung-der-multiresistenten-tuberkulose/ mit Verweis auf die betreffenden WHO-Dokumente 2019). Dem würde für den Antragsteller von der Verfügbarkeit her in Moldau nach aktuellster Auskunftslage genügt werden. Die ersten sechs Monate einer (erneuten) intensiven Behandlung des Antragstellers haben seit seiner stationären Aufnahme am 2. September 2019 in der Lungenklinik Heckeshorn in Deutschland stattgefunden. Der zweiten Phase mit (mindestens) drei sicher wirksamen Substanzen könnte in Moldau hinreichend genügt werden, weil jedenfalls die drei auch von der Lungenklinik Heckeshorn verschriebenen Substanzen Bedaquilin, Moxifoxacin und Terizidon in Moldau verfügbar sind; überdies würde es dem Antragsteller offenstehen, sich für die Hinzunahme der in Moldau ebenfalls erhältlichen Substanz Pyrazinamid zu entscheiden, die zwar nach der - nicht näher substantiierten - ärztlichen Stellungnahme vom 5. November 2019 bislang von dem Patienten aufgrund von schwerwiegenden dermatologischen Nebenwirkungen nicht toleriert worden sei, sich ihm aber - für eine Unzumutbarkeit ist nichts substantiiert - neu anbietet, falls (wofür aber nichts ersichtlich ist) die erfolgreiche Behandlung seiner Tuberkulose von eben diesem - als vierten - Mittel abhängen würde (und nicht ohnehin schon die drei höchst wirksamen Mittel der Gruppen A und B genügten) und er damit die Wahl hätte, dieses Mittel, wenn auch unter Inkaufnahme von schwereren aber bloßen Hautnebenwirkungen, doch zu nehmen. Unabhängig davon ist außerdem generell offensichtlich und unstreitig, dass in Moldau Tuberkulose einschließlich multiresistenter Formen eine weit verbreitete - und damit eben auch in der medizinischen Behandlung häufige - Erscheinung ist. Für eine Behauptung, wie in den Stellungnahmen eines Arztes der Helios-Klinik, dass die Sterblichkeit an Tuberkulose insgesamt in Moldawien mehr als 15-fach höher sei als in Deutschland und der Antragsteller im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland ein unmittelbares Sterberisiko (mehr als 50 % innerhalb der ersten sechs Monate) habe, findet sich in den in das Verfahren - auch durch die Beklagte - eingeführten Erkenntnissen und sonstigen Unterlagen keinerlei belastbarer Anhalt, insbesondere auch nicht in dem von den Attesten angeführten Quellen. Vielmehr gibt die in den beiden Attesten angeführte Quelle des WHO-Reports für Moldau eine geschätzte und tendenziell weiter sinkende Todesfallrate von 7 % für 2018 an, während die entsprechende Rate für Deutschland für 2018 bei ca. 2,4 % lag (vgl. Robert-Koch-Institut, Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2018 = www.rki.de/DE/Content/InfAZ/T/Tuberkulose/Download/TB2018.pdf.

Sofern die ärztlichen Stellungnahmen sich "sozialmedizinisch" äußern, ist bereits keine betreffende eigene Expertise des Attestierenden ersichtlich, der nur Drittquellen benennt. Auch enthalten die angeführten nur allgemeinen Quellen keine substantiierten Aussagen gerade zum Antragsteller in medizinischer Hinsicht; jedenfalls finden sie insoweit keine Stütze in den ins Verfahren eingeführten Erkenntnissen. [...]

Unabhängig davon garantiert die Verfassung Moldaus von 1994 das Recht auf Gesundheit und eine kostenlose Basisbehandlung durch den Staat. Seit dem Jahr 2004 ist landesweit eine verpflichtende Krankenversicherung eingeführt. Danach ist der Antragsteller darauf zu verweisen, dass insbesondere arbeitslos Gemeldete (für 6 Monate), Rentner, Kinder sowie Haushalte, die als arm registriert sind, automatisch beitragslos krankenversichert sind und damit Anspruch auf weitreichende medizinische Versorgung haben. Dies umfasst sowohl primäre medizinische Versorgung (Hausärzte, Krankenhausambulanzen u.ä.) als auch sekundäre (Facharztbehandlung ambulant wie stationär) und tertiäre (Maximalversorgung durch Spezialkliniken) medizinische Versorgung, wie auch Rehabilitation, eine gewisse Liste von Medikamenten und anderes mehr. In der Hauptstadt Chisinau gibt es spezialisierte und hochspezialisierte ambulante Betreuung durch örtliche medizinische Vereinigungen. In jedem Bezirk gibt es darüber hinaus notfallmedizinische Einrichtungen (Ambulanzdienste) des Gesundheitsministeriums. Die medizinischen Einrichtungen der tertiären Versorgung bieten spezialisierte und hochspezialisierte medizinische Versorgung für die gesamte Bevölkerung. Sie befinden sich fast alle in Chisinau und unterstehen dem Gesundheitsministerium. Parallel dazu gibt es eine ganz Reihe von öffentlichen Gesundheitseinrichtungen anderer Ministerien sowie eine große Anzahl von NGOs, die auf dem Gesundheitssektor aktiv sind (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Republik Moldau, des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Stand: 2014/2016, S. 40 ff.). Diese Behandlungen werden gewährt, wo es medizinisch notwendig ist. Danach ist nichts dafür ersichtlich, dass für den Antragsteller in Moldau eine erforderliche weitere medizinische Behandlung nicht verfügbar ist.

Soweit der Antragsteller gegebenenfalls finanzielle Mittel für von einer Krankenversicherung nicht abgedeckte Medikamente oder auch für informelle Zuzahlungen für medizinische Leistungen wird aufbringen müssen, muss er sich - entsprechend dem oben ausgeführten - auf staatliche Unterstützung, gegebenenfalls Subsistenzwirtschaft (von Verwandten) und (sonstige) Hilfeleistungen von Verwandten und Freunden verweisen lassen. Auch insoweit nimmt das Gericht zudem gemäß § 77 Abs. 2 AsylG ergänzend Bezug auf die Ausführungen der Antragsgegnerin mit dem angefochtenen Bescheid. [...]