VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 30.09.2020 - 5 A 2783/17 - asyl.net: M29361
https://www.asyl.net/rsdb/M29361
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für sudanesischen Asylsuchenden:

"Aufgrund der schweren Fluten im Sudan ist derzeit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG fest­zustellen"

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Sudan, Abschiebungsverbot, Corona-Virus, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Existenzminimum, Überschwemmungen, Existenzgrundlage,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

52 Nach diesen Grundsätzen spricht wegen der aktuellen schweren Überflutungen im Sudan eine ausreichend beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr aufgrund der schlechten humanitären Verhältnisse in Sudan einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. [...]

61 Der Kläger ist im Sudan aufgewachsen, hat sich dort nach eigenen Angaben bis in das Alter von 18 Jahren aufgehalten.Trotz seiner längeren Abwesenheit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass er mit den dortigen Lebensverhältnissen vertraut ist und sich in diese bei einer Rückkehr wieder einfinden kann. Außerdem hat er nach seinen Angaben noch Familienangehörige im Sudan, die ihn bei einer Rückkehr unterstützen können. Der Einzelrichter geht auch davon aus, dass der Kläger unter gewöhnlichen Bedingungen in der Lage sein wird, langfristig eine Erwerbstätigkeit zu finden. Er ist jung, gesund und arbeitsfähig, sodass er im Sudan sein Existenzminimum, einschließlich elementarer Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, aus eigener Kraft oder eventuell mit ergänzender Unterstützung seiner Familie bestreiten kann. [...]

66 Ein Anspruch auf das Abschiebungsverbot besteht jedoch aufgrund der zwischenzeitlich aufgetretenen schweren Fluten im Sudan. Nach dem OCHA-Lagebericht vom 10. September 2020 (Update vom 24. September 2020) handelt es sich bei der Flut um die schwerste im Sudan innerhalb der letzten 30 Jahre. Die Häuser von etwa 830.000 Menschen seien zerstört oder beschädigt worden; über 120 Personen seien gestorben. Besonders betroffen seien die Regionen Nord Darfur, Khartoum, West Darfur und Sennar. Nicht nur Häuser und die Infrastruktur seien zerstört worden, sondern ebenfalls Farmen. Im Staat Khartoum seien in Um Durman 67 Prozent der Farmen überflutet worden, in Karari etwa 60 Prozent und etwa 30 Prozent in Nord Khartoum. Framen in anderen Staaten habe es ähnlich schlimm getroffen. Etwa 10 Millionen Personen bräuchten nun Unterstützung.

67 Aus einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. September 2020 (https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/sudan-der-kampf-gegen-ueberschwemmungen-16959799.html) ergibt sich zudem, dass mittlerweile sämtliche 18 sudanesischen Bundesstaaten in Mitleidenschaft gezogen seien. Solche Wassermassen habe es zuletzt im Jahr 1988 gegeben. Besonders verheerend sei die Lage an den Ufern des Nils. Die Regenzeit werde voraussichtlich noch bis Oktober anhalten. Noch nie sei am Nil so ein hoher Wasserstand gemessen worden. Die Regierung habe den Notstand ausgerufen. Einem der ärmsten Länder der Welt drohten nun Hungersnöte. Tausende Hektar Ackerland, 360 Lagerhallen und mehr als 12.000 Latrinen seien zerstört worden. 11.000 Nutztiere seien erkrankt oder von den Fluten fortgespült worden. Im Südosten des Staates Blue Nile sei der Bout-Staudamm gebrochen. Er habe 5 Millionen Kubikmeter Wasser gestaut. Allein durch den Dammbruch sei die Trinkwasserversorgung von rund 100.000 Menschen in Gefahr. [...]