VG Greifswald

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Zitieren als:
VG Greifswald, Urteil vom 28.01.2021 - 2 A 1494/20 HGW (Asylmagazin 4/2021, S. 142 f.) - asyl.net: M29375
https://www.asyl.net/rsdb/M29375
Leitsatz:

Anspruch auf Ausstellung einer Duldungsbescheinigung bei faktischer Duldung:

"[1.] Nach der gesetzlichen Systematik ist ein Ausländer, dem keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, entweder abzuschieben oder ihm eine Duldung zu erteilen. Die Systematik des Aufenthaltsgesetzes lässt grundsätzlich keinen Raum für einen ungeregelten Aufenthalt.

[2.] Die Duldung wegen einer Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG ist auch dann zu erteilen, wenn die Abschiebung zwar grundsätzlich möglich ist, die Ausreisepflicht tatsächlich aber nicht ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann.
Eine stillschweigende "faktische" Aussetzung der Abschiebung anstelle der förmlichen Duldung sieht das Aufenthaltsgesetz nicht vor.

[3.] Die Verlängerung der Grenzübertrittsbescheinigungen nach Ablauf der Ausreisefrist anstelle der Erteilung von Duldungen ist rechtswidrig, wenn der weitere Aufenthalt der Ausländer im Bundesgebiet "faktisch geduldet" wird."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Duldung, Grenzübertrittsbescheinigung, Ausreisepflicht, Ausreisefrist, Duldungsbescheinigung,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2,
Auszüge:

[...]

1 Die Beteiligten streiten um die Erteilung von Duldungsbescheinigungen für die Klägerinnen. [...]

17 Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Danach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

18 So verhält es sich vorliegend. Dann, wenn – wie vorliegend – die Ausreisefrist abgelaufen ist, diese nicht erfüllt worden ist und die Abschiebung aktuell nicht betrieben wird, ist dem betreffenden Ausländer zwingend eine Duldung zu erteilen. Nach der gesetzlichen Systematik ist ein Ausländer, dem keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, entweder abzuschieben oder ihm eine Duldung zu erteilen (Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Urteil vom 17. September 2020 – 2 B 148/20 –, Rn. 19, juris). Die Systematik des Aufenthaltsgesetzes lässt grundsätzlich keinen Raum für einen ungeregelten Aufenthalt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.03.2003 – 2 BvR 397/02 – Rn. 37, juris noch zum AuslG). Die Duldung wegen einer Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG ist auch dann zu erteilen, wenn die Abschiebung zwar grundsätzlich möglich ist, die Ausreisepflicht tatsächlich aber nicht ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8.12.2010 – ist Januar18 B 1468/10 –, juris). Die Ausländerbehörde hat insofern nicht nur zu untersuchen, ob die Abschiebung des Ausländers überhaupt erfolgen kann, sondern auch, innerhalb welchen Zeitraums diese zu erwarten ist. Ist die Abschie - bung nicht alsbald möglich, der Zeitraum vielmehr ungewiss, ist eine Duldung zu erteilen (vgl. zur Möglichkeit, die Duldung mit Nebenbestimmungen, insbesondere einer auflösenden Bedingung zu versehen, Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand Mai 2010, § 60a Rdnr. 91). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer freiwillig ausreisen könnte und ob er die Entstehung des Ausreisehindernisses zu vertreten hat (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 6. März 2003 - 2 BvR 397/02 -, juris; BVerwG, Urteil vom 25. September 1997 - 1 C 3.97 -, juris; Senatsbeschluss vom 24. März 2010 - 18 B 84/10 -). Eine stillschweigende "faktische" Aussetzung der Abschiebung anstelle der förmlichen Duldung sieht das Aufenthaltsgesetz nicht vor (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.03.2014 – 5 C 13/13, juris Rn. 15, 20). Daher ist die hier vorgenommene Verlängerung der Grenzübertrittsbescheinigungen nach Ablauf der Ausreisefrist anstelle der Erteilung von Duldungen rechtswidrig, weil – wie vorliegend – der weitere Aufenthalt der Ausländer im Bundesgebiet "faktisch geduldet" wird. [...]