VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.09.2002 - 13 S 1984/01 - asyl.net: M2941
https://www.asyl.net/rsdb/M2941
Leitsatz:

1. An einer Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG i.d.F. vom 9.7.1990 (dem der derzeit geltende § 85 Abs. 1 Nr. 4 AuslG entspricht) fehlt es, wenn der Einbürgerungsbewerber bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung beabsichtigt, die bisherige Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben und er diese Absicht nach seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband unter Stellung eines Wiedereinbürgerungsantrages beim Staat der bisherigen Staatsangehörigkeit verwirklicht.

2. Maßgebliches Indiz für eine solche Absicht ist ein in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Einbürgerung gestellter Antrag auf erneute Einbürgerung in den Staatsverband des Heimatstaates.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Türken, Einbürgerung, Rücknahme, Aufgabe der Staatsangehörigkeit, Wiedereinbürgerung, Mehrstaatigkeit, Täuschungsabsicht, Ermessen
Normen: LVwVfG § 48; AuslG a.F. § 86
Auszüge:

Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Einbürgerung nach § 48 LVwVfG zurückgenommen werden kann, wenn sie rechtswidrig ist. Eine erleichterte Einbürgerung nach § 86 AuslG a.F. ist dann rechtswidrig, wenn ihre tatbestandlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Einbürgerung nicht vorlagen. Das ist auch der Fall, wenn der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der Einbürgerung beabsichtigt hat, seine bisherige Staatsangehörigkeit umgehend wieder anzunehmen. Ob eine solche Absicht bei der Klägerin bestand, ist bisher nicht abschließend geklärt und kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben. Denn die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung steht im Ermessen der Einbürgerungsbehörde, das diese hier fehlerhaft betätigt hat. Eine fehlerfreie Ausübung dieses Ermessens setzt nämlich voraus, dass sich die Einbürgerungsbehörde davon überzeugt hat, dass ein Lebenssachverhalt vorliegt, der zur Rechtswidrigkeit der Einbürgerung führt. Lässt die Einbürgerungsbehörde dies - wie hier - ausgehend von einer unzutreffenden Rechtsauffassung letztlich offen, ist die Rücknahme der Einbürgerung ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.

Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung ist § 48 LVwVfG, da keine speziellen Bestimmungen im Staatsangehörigkeitsgesetz bestehen, die den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts vorgehen, und das Staatsangehörigkeitsrecht den Verlust der Staatsangehörigkeit auch nicht abschließend regelt und damit die Anwendbarkeit des § 48 LVwVfG ausschließt (Senatsbeschluss vom 9.5.1990 - 13 S 2666/89 -, NVwZ 1990, 1198; Hailbronner in Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht 3. Aufl. 2001, § 8 StAG RdNr. 129; Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, § 16 RuStAG RdNr. 32).

Der Rücknahme von Einbürgerungen nach § 48 Abs. 1 S. 2 LVwVfG steht Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG nicht entgegen. Denn diese Bestimmung, wonach die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden darf, schützt nur die wohlerworbene Staatsangehörigkeit (Senatsbeschluss vom 9.5.1990, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2.9.1996, NVwZ-RR 1997, 742; OVG Hamburg, Urteil vom 28.8.2001, InfAuslR 2002, 81; Hess. VGH, Urteil vom 18.5.1998, NVwZ-RR 1999, 274; Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., Art. 16 GG, RdNr. 7 und § 91 AuslG RdNr. 26; a.A.: OVG Berlin, Urteil vom 2.11.1988 - 1 B 53.87 - zitiert nach juris; Berlit in GK-Staatsangehörigkeitsrecht; § 91 AuslG RdNr. 99 ff.).

Eine erleichterte Einbürgerung nach § 86 AuslG a.F. ist - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - rechtswidrig, wenn der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde beabsichtigt, umgehend nach seiner Einbürgerung beziehungsweise nach der darauf erfolgenden Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit diese wieder anzunehmen (vgl. Hailbronner in Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht 3. Aufl. § 85 AuslG RdNr. 42: Rücknahme der Einbürgerung zu erwägen). Denn bei einem solchen inneren Vorbehalt fehlt es an der Voraussetzung der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit (§ 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F.; ebenso nach § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AuslG n.F.), über deren Vorliegen der Einbürgerungsbewerber dann täuscht, wenn er diesen Vorbehalt nicht offenlegt.

Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass ein Fortbestehen dieses Willens über den Zeitpunkt der Einbürgerung hinaus nicht mehr vom Tatbestandsmerkmal der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit umfasst ist, so dass ein der Einbürgerung zeitlich nachfolgender Entschluss, sich nunmehr wieder in seinen früheren Staatsverband einbürgern zu lassen, die Einbürgerung nicht - nachträglich - rechtswidrig werden lässt (vgl. Berlit, in GK- Staatsangehörigkeitsrecht § 91 RdNr. 111; Makarov/v. Mangoldt, a.a.O. § 91 RdNr. 27).

Im vorliegenden Fall ist nicht abschließend geklärt, ob die Klägerin bereits bei der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde im September 1992 beabsichtigt hat, sich alsbald nach ihrer Einbürgerung bzw. nach ihrer im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens in die Wege geleiteten Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit, wieder in den türkischen Staatsverband einbürgern zu lassen.

Jedenfalls ist nicht geklärt, ob eine Absicht der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde bestand, die türkische Staatsangehörigkeit wiederzuerwerben oder ob sie sich erst aufgrund eines nachträglichen und dann für die Rechtmäßigkeit der Einbürgerung unmaßgeblichen Entschlusses um die Wiedererlangung der türkischen Staatsangehörigkeit bemüht hat. Zur Klärung dieser Frage wäre die Ermittlung erforderlich gewesen, ob und - vor allem - wann die Klägerin beim dafür zuständigen türkischen Ministerrat die Wiedereinbürgerung beantragt hat. Das türkische Generalkonsulat in Suttgart hatte bereits in seiner Auskunft an die Beklagte vom 5.5.1997 darauf hingewiesen, dass ein derartiger Antrag zum Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit erforderlich ist und die türkischen Auslandsvertretungen insoweit keinerlei Zuständigkeiten besäßen. Da die Klägerin von Anfang an bestritten hat, einen Wiedereinbürgerungsantrag gestellt zu haben und das türkische Generalkonsulat bereits in seiner Auskunft vom 5.5.1997 unmissverständlich mitgeteilt hatte, insoweit mangels eigener Zuständigkeit keine Auskünfte geben zu können, war eine weitere Aufklärung nur durch Einholung einer amtlichen Auskunft (über das Auswärtige Amt) beim türkischen Ministerrat möglich. Die Beklagte ist jedoch im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, eine solche Aufklärung sei entbehrlich. Denn der Einbürgerungsbescheid sei schon deshalb rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin von vornherein die Absicht gehabt habe, sich den türkischen Reisepass wieder zu beschaffen und auf diese Weise "faktisch und damit materiell-rechtlich" Mehrstaatigkeit zu genießen. Diese Rechtsauffassung ist jedoch unzutreffend. Da die Beklagte somit beim Erlass der Rücknahmeverfügung von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, leidet diese Verfügung an einem Ermessensfehler.

Anders als im angefochtenen Bescheid ausgeführt, ist eine Einbürgerung jedoch nur dann trotz zunächst erfolgter Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit wegen deren fehlender Aufgabe i.S.d. § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG a.F. rechtswidrig, wenn der Einbürgerungsbewerber zur Zeit der Einbürgerung beabsichtigt, seine bisherige Staatsangehörigkeit alsbald wieder anzunehmen. Ohne Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der Einbürgerung ist es demgegenüber, wenn der Einbürgerungsbewerber zum Zeitpunkt seiner Einbürgerung beabsichtigt, eine ihm von den Behörden seines Heimatstaates eröffnete Möglichkeit zu nutzen, trotz der Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit im Besitz des durch seinen Heimatstaat ausgestellten Passes zu bleiben, solange dies nicht mit der Wiedereinbürgerung verbunden ist. Denn eine solche Praxis der türkischen Generalkonsulate begründet keine Mehrstaatigkeit, da sie nicht dazu führt, dass der Betreffende wieder türkischer Staatsangehöriger wird. Die Wiedereinbürgerung setzt eine Entscheidung des türkischen Ministerrats auf Antrag des Betroffenen voraus (Art. 6 ff. TürkStAG), die in diesen Fällen gerade fehlt. Eine faktische Staatsangehörigkeit gibt es demgegenüber nicht; im übrigen ist es unschädlich, wenn der Eingebürgerte auch nach seiner Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit durch seinen Herkunftsstaat eine günstigere Behandlung erfährt, als sie sonstigen Ausländern durch diesen Staat zuteil wird, wie dies beispielswese das türkische Staatsangehörigkeitsrecht nach seiner Reform im Jahre 1995 vorsieht (vgl. Art. 29 TürkStAG i.d.F. vom 7.6.1995).