VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 12.03.2019 - 35 K 18.19 A - asyl.net: M29436
https://www.asyl.net/rsdb/M29436
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung und kein subsidiärer Schutz bei Wehrdienstentziehung in Aserbaidschan.

1. Ein Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung setzt voraus, dass die betroffene Person den Wehrdienst aus Gewissensgründen ablehnt.

2. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Wehrdienst in Aserbaidschan gefährlich ist, besteht kein Anspruch auf subsidiären Schutz, wenn der Einzuberufende die Mittel hat, sich vom Wehrdienst freizukaufen. Tatsächlich tritt in Aserbaidschan nur einer von sechs Wehrdienstpflichtigen den Wehrdienst an.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Militärdienst, Wehrdienstentziehung, Wehrdienstverweigerung, Aserbaidschan, Flüchtlingsanerkennung, subsidiärer Schutz,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

31 Nichts anderes ergibt sich, wenn man die Gründe berücksichtigt, aus denen der Kläger den Wehrdienst in Aserbaidschan nicht ableisten will. Er lehnt diesen nicht etwa aus Glaubens- oder Gewissensgründen ab. Vielmehr betonte er in der mündlichen Verhandlung, dass er sich nicht vor dem Wehrdienst drücken wolle (vgl. S. 3 f. der Sitzungsniederschrift). Dabei gab er zu erkennen, dass er die Ableistung des Wehrdienstes als zu gefährlich ansähe und den Dienst auch deshalb nicht ableisten wolle, weil er bereits Schmiergelder gezahlt habe und sich deshalb nicht hierzu verpflichtet fühle. [...]

36 aa) Der im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) 29-jährige Kläger unterliegt zwar in Aserbaidschan grundsätzlich der allgemeinen Wehrpflicht, da diese alle Männer im Alter zwischen 18 und 35 Jahren trifft. Der Kläger ist grundsätzlich auch zur Einziehung zum Wehrdienst vorgesehen, weil Aserbaidschan jährlich auch die Einziehung derjenigen vorsieht, die schon in früheren Jahren das wehrpflichtige Alter erreicht haben, aber bisher noch nicht eingezogen wurden. Grundlage für die Einziehung zum Wehrdienst sind sog. Fermane (Dekrete) des Präsidenten von Aserbaidschan. [...]

37 bb) Gleichwohl hält die Kammer es aber nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan tatsächlich den Wehrdienst ableisten müsste. [...]

39 Unabhängig hiervon geht die Kammer auch aus weiteren Gründen nicht davon aus, dass der Kläger tatsächlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seinen Wehrdienst ableisten müsste, selbst wenn er bei einer Einreise nach Aserbaidschan am Flughafen mangels Militärausweis zunächst festgehalten würde (vgl. TKI-Gutachten, Ziffer I.3.1). Deutlich hiergegen spricht, dass der Kläger nach seinen Angaben bisher über einen langen Zeitraum hinweg in der Lage gewesen sein will, der Erfüllung seiner Wehrpflicht auszuweichen. Es erscheint naheliegend, dass ihm dies auch in Zukunft möglich wäre.

40 Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist durch die in Aserbaidschan gängige Korruption die Zahlung von Schmiergeldern zur Vermeidung des Wehrdienstes weit verbreitet und weiterhin möglich (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O, Ziffer II 1.6, United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2017, Azerbaijan - USDoS Report 2017 -, S. 27, sowie grundlegend: TKI-Gutachten a.a.O., Ziffer I.2). Die nötigen Zahlungen beziffert das TKI-Gutachten im Jahr 2006 auf ca. 1.500 bis 2.000 US-Dollar für eine dauerhafte Vermeidung des Wehrdienstes. Für eine Verzögerung des Wehrdienstes um ein Jahr soll von ärmeren Personen eine Zahlung von ca. 250 US-Dollar verlangt worden sein (a.a.O., Ziffer I.2.1 m.w.W.). Nach dem TKI-Gutachten werden zudem jährlich tatsächlich etwa 16.000 Wehrdienstleistende eingezogen (Ziffer I.2.2). Das TKI-Gutachten geht davon aus, dass sich mehrere tausend Männer durch die Abgabe einer entsprechenden Verweigerungserklärung tatsächlich dem Wehrdienst entziehen konnten, obwohl eine Verweigerung (rechtlich) grundsätzlich nicht möglich ist (Ziffer I.1.2 a. E.).

41 Vor diesem Hintergrund ist die Situation des Klägers zur Überzeugung der Kammer eine andere als die des Klägers in einem Verfahren aus dem Jahr 2006 vor dem Verwaltungsgericht Ansbach (Urteil vom 23. Oktober 2006 - AN 15 K 06.30435 - juris). Im dortigen Verfahren ging das erkennende Gericht seinerzeit davon aus, dass ein 17-jähriger Kläger, dessen Familie mittellos sei, nicht in der Lage sein werde, sich dem Wehrdienst mangels der Möglichkeit der Zahlung von Schmiergeldern zu entziehen. [...]