VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.08.2002 - 1 S 1381/01 - asyl.net: M3106
https://www.asyl.net/rsdb/M3106
Leitsatz:

Der sorgeberechtigte ausländische Elternteil eines minderjährigen deutschen Kindes übt die Personensorge grundsätzlich nur dann nach §§ 23 Abs. 1 Nr. 3, 17 Abs. 1 AuslG für die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft aus, wenn er das Sorgerecht (bzw. die ihm korrespondierende Sorgepflicht) auch aktiv wahrnimmt, indem er einen hinreichenden tatsächlichen Erziehungs- und Betreuungsbeitrag für das Kind erbringt (im Anschluss an VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 30.11.2001 - 11 S 1700/01 -, EzAR 020 Nr. 17).

An diesem Erfordernis hat sich auch nach Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes zum 16.12.1997 (BGBI. I, S. 2942) nichts Grundlegendes geändert. Allerdings werden die Anforderungen an das Bestehen einer Beistandsgemeinschaft nunmehr geprägt durch das mit der Gesetzesänderung zum Ausdruck gebrachte neue Leitbild der Familie (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.1.2002 - 2 BvR 231/00 -, NVwZ 2002,849 ff.). (Amtliche Leitsätze)

 

Schlagwörter: D (A), Ausländer, Deutschverheiratung, Ehescheidung, Aufenthaltserlaubnis, Nachträgliche Befristung, Kinder, Deutsche, Personensorge, Gemeinsames Sorgerecht, Beistandsgemeinschaft, Begegnungsgemeinschaft, Erziehungsgemeinschaft, Schutz von Ehe und Familie
Normen: AuslG § 23 Abs. 1 Nr. 3; GG Art. 6 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 1626a Abs. 1 Nr. 1
Auszüge:

 

Der durch § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eröffnete Rechtsanspruch des Ausländers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist durch die ausdrückliche Bezugnahme auf § 17 Abs. 1 AuslG grundsätzlich auf die Fälle beschränkt, in denen eine familiäre Lebensgemeinschaft beabsichtigt ist oder besteht.

Aus dem Anspruch des Kindes auf Umgang mit jedem Elternteil und der Berechtigung sowie auch Verpflichtung ebenfalls jedes Elternteils auf Umgang mit dem Kind (§§ 1626 Abs.1 und 3, 1671 Abs. 1, 1684 Abs. 1 BGB) und der insoweit durch das Kindschaftsreformgesetz geschaffenen erheblichen Veränderung der Rechtswirklichkeit für die Eltern-Kind-Beziehung insbesondere durch die Stärkung der Rechtsposition des Elternteils, bei dem sich das Kind nicht gewöhnlich aufhält, kann nicht schon unmittelbar und ohne Rücksicht auf die tatsächliche Ausgestaltung der Beziehung der Familienmitglieder untereinander darauf geschlossen werden, dass sich die Eltern-Kind-Beziehung nach Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft tatsächlich entsprechend dem Leitbild des Gesetzgebers gestaltet und beide Elternteile die mit der gemeinsamen elterlichen Sorge verbundenen Aufgaben einschließlich der Erfüllung der Verpflichtung zum Umgang mit dem Kind auch tatsächlich wahrnehmen und insoweit eine familiäre Lebensgemeinschaft eigener Art auch zu dem Elternteil aufrechterhalten wird, bei dem sich das Kind nicht gewöhnlich aufhält (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.4.1999 a.a.O. mit Hinw. auf die Motive des Gesetzgebers zur Beibehaltung der gemeinsamen Sorge für geschiedene bzw. getrennt lebende Eltern, vgl. BT -Drucks. 13/4899, S. 62). Freilich hat sich durch die neue Gesetzeslage das Leitbild der Familie dahingehend geändert, dass jedenfalls für personensorgeberechtigte Ausländer die Bejahung einer solchen familiären Lebensgemeinschaft nicht mehr in erster Linie vom Bestehen einer häuslichen

Gemeinschaft abhängig gemacht werden kann. Ebenso unerheblich ist, ob die Betreuung des Kindes auch von anderen Personen, beispielsweise der Mutter des Kindes, erbracht werden kann, weil der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht schon durch die Betreuungsleistungen der Mutter entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (BVerfG, Beschluss vom 30.01.2002 - 2 BvR 231/00 -, NVwZ 2002, 849 ff.). Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind auf Grund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, das von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist. Der ausländische Elternteil muss die entsprechenden Elternfunktionen tatsächlich auch wahrnehmen und regelmäßig bestimmte (nicht unbeträchtliche) Zeiten zusammen mit dem Kind verbringen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 30.11.2001, a.a.O.). Dabei verbietet sich bei der vorzunehmenden Bewertung der familiären Beziehungen eine schematische Einordnung und Qualifizierung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber als bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen (BVerfG, Beschluss vom 30.01.2002, aaO). Eine verantwortungsvoll gelebte und dem Schutzzweck des Art 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft lässt sich nicht nur quantitativ etwa nach Datum und Uhrzeit des persönlichen Kontakts oder genauem Inhalt der einzelnen Betreuungshandlungen bestimmen. Die Forderung nach Erfüllung objektiv messbarer Betreuungsleistungen lässt die in Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistete und vom Staat zu respektierende Autonomie der Eltern bei der konkreten Umsetzung ihrer elterlichen Pflichten und Rechte und der Ausgestaltung der gemeinsam getragenen Elternverantwortung außer Acht. Hinzu kommt, dass die Entwicklung eines Kindes nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt wird. Die Anforderungen an die Darlegungslast des ausländischen Elternteils dürfen nicht überspannt werden (BVerfG, Beschluss vom 30.01.2002, aaO).

Daran gemessen steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der Anhörung des Klägers zur Überzeugung des Senats fest, dass beide Elternteile die elterliche Sorge für Dominick tatsächlich auch ausüben. Die Beziehung des Klägers zu Dominick entspricht im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (BVerwG, Urteil vom 27.01.1998, NVwZ 1998, 745 ff.) nach Intensität und Qualität dem dargelegten Anforderungsprofil.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für den Senat fest, dass der tatsächlich gepflegte persönliche Umgang des Klägers mit Dominick über eine reine Begegnungsgemeinschaft hinausgeht und zu einer persönlichen Verbundenheit mit dem Kind geführt hat, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist.