VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 19.08.2002 - 12 UE 1473/02 - asyl.net: M3112
https://www.asyl.net/rsdb/M3112
Leitsatz:

1. Bei der Prüfung ausreichender Deutschkenntnisse im Einbürgerungsverfahren kann grundsätzlich auf die Fähigkeit, eigene oder fremde Gedanken schriftlich in deutscher Sprache wiederzugeben, nicht verzichtet werden.

2. Verwaltungsvorschriften eines Landes, die eine schriftliche Sprachprüfung bei Einbürgerungsbewerbern nach § 85 AuslG oder § 8 StAG nicht vorsehen, sind mit Bundesrecht nicht vereinbar.

3. Es besteht keine rechtliche Verpflichtung, bei der Einbürgerung von anerkannten Asylberechtigten oder Konventionsflüchtlingen geringere Sprachkenntnisse genügen zu lassen als allgemein bei Anspruchs- und Ermessenseinbürgerungen üblich; das besondere Schicksal anerkannter politischer Verfolgter kann aber im Einzelfall auch bei der Deutschprüfung berücksichtigt werden.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Einbürgerung, Ermessenseinbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Sprachkenntnisse, Verwaltungsvorschriften, Asylberechtigte, Konventionsflüchtlinge
Normen: StAG § 8; AuslG § 85 ff
Auszüge:

Entgegen den in Hessen geltenden verwaltungsinternen Regelungen darf grundsätzlich weder für den Einbürgerungsanspruch nach § 85 AuslG noch für die Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG auf den Nachweis der Fähigkeit, Deutsch zu schreiben, verzichtet werden. Gesetzestext, Zweck und Systematik der Einbürgerungsvorschriften sowie deren Entstehungsgeschichte schließen es aus, ausreichende Sprachkenntnisse im Sinne von § 86 Nr. 1 AuslG von vornherein auf die Fähigkeit zu beschränken, Deutsch zu sprechen und zu lesen; bei zutreffender Auslegung gehört vielmehr zu Sprachkenntnis auch die Fähigkeit, sich schriftlich auszudrücken (a.A. Berlit in GK-StAR, § 86 AuslG Rdnr. 35-40, 57 - 59.1).

Der Ausschlussgrund nicht ausreichender Sprachkenntisse in § 86 Nr. 1 AuslG ist eingefügt worden, weil ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache als Voraussetzung für eine erfolgreiche Eingliederung in Deutschland und für eine Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess für erforderlich gehalten wurden. Entsprechendes gilt für die Regelungen der StAR-VwV hinsichtlich der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG. Zudem ist der Begriff der ausreichenden Sprachkenntnisse im Vergleich zu ähnlichen Begriffen in §§ 20 Abs. 4 Nr. 1, 24 Abs. 1 Nr. 1, 26 Abs. 1 Nr. 2 AuslG, vor allem aber im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte und den Zweck der Erleichterung der Einbürgerung durch das Staatsangehörigkeitsreformgesetz von 1999 auszulegen (vgl. dazu Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drs. 14/533 und Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 14&867; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl., 2001, § 8 StAG Rdnr. 52 f., § 86 AuslG Rdnr. 15 bis 18). Daraus kann insgesamt geschlossen werden, dass mit ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache kein ideales oder optimales Niveau verlangt wird, sondern lediglich ein für die Kommunikation mit anderen Menschen und mit staatlichen und privaten Stellen erforderliches Mindestmaß, dass aber die schriftliche Wiedergabe eigener oder fremder Gedanken grundsätzlich eingeschlossen ist.

Obwohl die Fähigkeit zum aktiven Gebrauch der deutschen Schriftsprache bei der Einbürgerung jedenfalls nicht grundsätzlich vernachlässigt werden darf und weder die Bundes- noch die in Bayern und Hessen geltenden Landesverwaltungsvorschriften eine derartige Privilegierung vorsehen, ist es jedenfalls im Rahmen der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG nicht ausgeschlossen, von diesen grundsätzlichen Anforderungen zu Gunsten von anerkannten Asylberechtigten und Konventionsflüchtlingen ausnahmsweise abzuweichen; allerdings besteht eine dahingegehende rechtliche Verpflichtung nicht.

Die Grundrechtsbestimmung des Art. 16 a Abs. 1 GG enthält unmittelbar keine Anforderungen für die Rechtsstellung anerkannter politisch Verfolgter, diesen sind aber grundsätzlich die Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein in Deutschland zu schaffen (BVerwG, 07.10.1975 - 1 C 46.69 -, BVerwGE 49, 202 = EZWAR 134 Nr. 1). Ob hierzu auch Erleichterungen bei der Einbürgerung gehören, ist bisher weder vom Bundesverfassungsgericht noch vom Bundesverwaltungsgericht entschieden worden; insbesondere gibt es in der Rechtsprechung keine Aussagen zu dem Maß der von einem einbürgerungswilligen Asylberechtigten zu fordernden Sprachkenntnisse. Nicht wesentlich anders stellt sich die Rechtslage bei anerkannten Konventionsflüchtlingen dar. Gemäß Art. 34 GK werden die vertragsschließenden Staaten soweit wie möglich die Eingliederung und Einbürgerung der Flüchtlinge erleichtern und insbesondere bestrebt sein, Einbürgerungsverfahren zu beschleunigen und die Kosten dieses Verfahrens so weit wie möglich herabzusetzen. Diese konkrete vertragliche Verpflichtung ist Ausdruck der Erkenntnis, dass eine befriedigende Regelung des Schicksals der politisch Verfolgten, die in Deutschland Aufnahme gefunden haben, eine staatlichen Interessen dienende und von den Staatsorganen zu beachtende Aufgabe darstellt (BVerwG, 01.07.1975 - 1 C 44.70 -, BVerwGE 49, 44 = EZAR 271 Nr. 1). Das damit verbundene Wohlwollensgebot wirkt zwar auch auf das Ermessen bei der Einbürgerung lenkend, belässt aber den Behörden einen weiten Gestaltungsspielraum, innerhalb dessen sie andere durch die Einbürgerung berührte Interessen angemessen berücksichtigen können (Hailbronner/Renner, a.a.O., § 8 StAG Rdnr. 95 m.w.N.). Wie der Beklagte zu Recht geltend macht, ist im deutschen Recht das Gebot von Art. 34 GK, die Einbürgerung anerkannter Flüchtlinge zu erleichtern, in zweierlei Hinsicht umgesetzt. Einmal ist die Einbürgerung bei diesem Personenkreis anders als im Normalfall schon nach sechs Jahren und nicht erst nach acht Jahren rechtmäßigem Aufenthalt möglich (Nr. 8.1.3.1 StAR-VwV), und außerdem wird Mehrstaatigkeit bei Asylberechtigten grundsätzlich hingenommen, diese brauchen sich also nicht aus ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit entlassen zu lassen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 AuslG; Nr. 8.1.2.6.3.5 StAR-VwV). Darüber hinaus können die Kosten der Einbürgerung im Rahmen von § 38 StAG und § 90 AuslG ermäßigt und es können Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Urkunden im Einbürgerungsverfahren berücksichtigt werden (Nr. 8.1.3.1. StAR-VwV). Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen in Deutschland entnimmt Art. 34 GK kein konkretes Gebot, bei der Einbürgerung von dem Nachweis von Sprachkenntnissen abzusehen oder anerkannte Flüchtlinge in bestimmter Weise insoweit zu privilegieren, er hat lediglich die Auffassung vertreten, dass an die Deutschkenntnisse von Flüchtlingen keine zu weitgehenden Anforderungen gestellt werden sollten (Stellungnahme gegenüber dem Bundestags-Innenausschuss vom 23.02.1999, Innenausschuss des Deutschen Bundestags, Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, 1999, S. 353 ff.).

Nach alledem ist es zwar nicht zwingend geboten, dass das besondere Schicksal anerkannter politisch Verfolgter aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung oder einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift bei der Einbürgerung berücksichtigt wird, damit bleibt der Einbürgerungsbehörde jedoch im Einzelfall zumindest im Rahmen der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG die Möglichkeit, besonderen persönlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen und erforderlichenfalls aus diesem Grunde auch die Anforderungen an die Schriftsprachenkenntnisse des Einbürgerungsbewerbers zu modifizieren. Die Folgen politischer Verfolgung und der erzwungenen Flucht können auch die Möglichkeiten des Erwerbs ausreichender Deutschkenntnisse beeinträchtigen und daher in ähnlicher Weise bei deren Überprüfung berücksichtigt werden wie sonstige Nachteile bei Bildung und Vorbildung.