VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 10.12.2002 - 5 K 3970/98.A - asyl.net: M3158
https://www.asyl.net/rsdb/M3158
Leitsatz:

§ 53 Abs. 4 AuslG für iranische Staatsangehörige wegen der Gefahr der Bestrafung eines Ehebruchs durch Auspeitschung; keine Asylanerkennung, da Bestrafung wegen Ehebruchs nicht an ein asylerhebliches Merkmal anknüpft.

Schlagwörter: Iran, Flüchtlingsfrauen, Zwangsverheiratung, Ehebruch, Glaubwürdigkeit, Strafverfolgung, Verfolgungsbegriff, hadd-Strafen, tazir-Strafen, Auspeitschung, Körperstrafen, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Menschenrechtswidrige Behandlung, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Monarchisten, N.I.D., O.I.K., Demonstrationen, Flugblätter, Christen, Konversion, Missionierung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1 ; AuslG § 53 Abs. 4
Auszüge:

 

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen für einen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

Die von der Klägerin geltend gemachte Gefahr einer Bestrafung wegen Ehebruchs stellt keine politische Verfolgung im Sinne des Asylrechts dar. Die im Iran vorgesehenen Strafen wegen Ehebruchs knüpfen lediglich an das den islamischen Wertvorstellungen widersprechende Verhalten der Frau und nicht an eine die Person schicksalhaft prägende asylrelevante Eigenschaft an. Anders als etwa die homosexuelle Veranlagung, die als Anknüpfungs- und Bezugspunkt für asylrelevante Verfolgung anerkannt ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 -), handelt es sich bei der ehelichen Treue beziehungsweise Untreue eben nicht um ein unverfügbares Merkmal von asylrechtlicher Relevanz.

Der Klägerin droht aber auch aufgrund der von ihr behaupteten exilpolitischen Aktivitäten für eine monarchistische Organisation, die N.I.D. e.V./ O.I.K. e.V., keine politische Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. April 1999 - 9 A 5338/98.A -, vom 15. Februar 2000 - 9 A 4615/98.A - und vom 4. April 2001 - 6 A 1 064/01.A - sowie vom 28. Mai 2001 - 6 A 1994/01.A -), der das erkennende Gericht folgt, sind iranische Staatsangehörige im Hinblick auf exilpolitische Aktivitäten niedrigen Profils nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung bedroht. In diesem Zusammenhang ist für die Annahme einer hervorgehobenen Aktivität entscheidend, dass ein Hervortreten in der Öffentlichkeit festgestellt werden kann, das nach der Persönlichkeit des Asylsuchenden, der äußeren Form seines Auftretens und nicht zuletzt dem Inhalt der in der Öffentlichkeit abgegebenen Erklärungen den Eindruck erweckt, dass der Asylsuchende allein oder im Zusammenwirken mit anderen zu einer Gefahr für den Bestand des Mullah-Regimes wird. Die hier geltend gemachten Aktivitäten der Klägerin, die sich auf die Teilnahme an Demonstrationen, Verteilen von Flugblättern und andere Tätigkeit niedrigen Profils beschränken, sind demnach asylrechtlich unbedeutend.

Die Klägerin hat auch nicht etwa deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrechtlich erhebliche Verfolgungsmaßnahmen bei einer Rückkehr in den Iran zu befürchten, weil sie ausweislich der vorgelegten Taufbescheinigung vom 30. April 2000 vom Islam zum christlichen Glauben übergetreten ist. Das Gericht geht in Übereinstimmung mit anderen obergerichtlichen und erstinstanzlichen Entscheidungen davon aus, dass eine solche im Ausland erfolgte Abkehr vom islamischen Glauben - wenn sie, etwa im Zusammenhang mit behördlichen Nachfragen zur Religionszugehörigkeit im Iran (vgl. dazu Auswärtiges Amt, Auskunft vom 22. September 1999 an das VG Aachen), bekannt werden sollte, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen auslöst. Allerdings droht Christen bzw. Konvertiten dann Verfolgung im Iran, wenn sie gegenüber Moslems in hervorgehobener Stellung erfolgreich und nachhaltig missionarische Aktivitäten entfalten, die nach außen erkennbar sind ( vgl. dazu OVG NRW, Beschlüsse vom 5. September 2001, 3. August 1998, a.a.O. und vom 23. Oktober 2000, a.a.O.), wobei die Verfolgungsgefahr nicht allein deshalb entfällt, weil die Hinwendung zum christlichen Glauben nicht im Iran, sondern erst im Bundesgebiet erfolgt ist (vgl. dazu etwa Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 13. Juli 1999 an das VG Regensburg, vom 25. Januar 1999 an das VG Aachen sowie vom 23. November 1994 an das VG München).

Dass die Klägerin hervorgehobene missionarische Aktivitäten in dem vorbezeichneten Sinne entfaltet hätte, ist jedoch weder dargetan noch sonst ersichtlich.

Die Klägerin hat aber einen Anspruch auf die Feststellung, dass in ihrem Fall ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich des Iran vorliegt. Mit Blick auf das glaubhafte Vorbringen der Klägerin ist davon auszugehen, dass sie im Falle ihrer Rückkehr in den Iran einer menschenrechtswidrigen Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt wird.

Zwar dürfte eine "hadd"-Bestrafung wegen unerlaubten Geschlechtsverkehrs nach Artikel 63 ff des Zweiten Buches des Islamischen Strafgesetzbuches schon wegen der sehr strengen Beweisanforderungen, die hier offenkundig nicht erfüllt sind, praktisch ausgeschlossen sein. Die Klägerin hat jedoch mit einer "tazir"-Bestrafung nach Artikel 637 des Islamischen Strafgesetzbuches zu rechnen. Nach dieser Vorschrift droht dem Beschuldigten eine Strafe von 99 Peitschenhieben. Dass es sich hierbei um eine unmenschliche oder erniedrigende Strafe i. S. v. § 53 Abs. 4 AuslG handelt, kann keinem Zweifel unterliegen. Die Prügelstrafe kann zwar nach Ermessen des zuständigen Richters in eine Geldstrafe umgewandelt werden. Es besteht jedoch auf der Grundlage der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse die ernst zu nehmende Möglichkeit, dass der für die Klägerin zuständige Richter angesichts des Umstandes, dass es um die Verhängung einer solchen Strafe gegen eine Frau geht, von der Umwandlung der Prügelstrafe in eine Geldstrafe absieht.