Drohende politische Verfolgung für Minderjährigen bei Rückkehr in den Irak wegen ungenehmigter Ausreise und Asylantragstellung der Eltern in Deutschland.
(Leitsatz der Redaktion)
Die Berufung hat Erfolg.
Dem Kläger droht im Irak wegen ungenehmigter Ausreise und Asylantragstellung seiner Eltern in Deutschland politische Verfolgung. Auf den Nordirak als inländische Fluchtalternative kann er nicht verwiesen werden, weil dort keine ausreichende Existenzmöglichkeit festgestellt werden kann.
Nach einhelliger Auskunftslage können Personen, die nicht aus dem Nordirak stammen, ein Existenzminimum dort nur aufgrund ausreichender Verbindungen erwarten. Bei den notwendigen Verbindungen handelt es sich um solche familiärer Art - insbesondere enge Verwandte, die bereits seit einiger Zeit dort leben -, um im weitesten Sinne gesellschaftliche Verbindungen - Sprache, Bestehen ethnischer und religiöser Gemeinschaften, denen der Asylsuchende angehört, Arbeitsmöglichkeiten und enge Freunde - und um politische sowie etwa innerhalb beruflicher Tätigkeiten aufgebaute andere Beziehungen zur Region. Für die Integrationschancen des Asylsuchenden sind naturgemäß auch persönliche Merkmale wie Alter, Geschlecht, Gesundheit, Ausbildung und Sprachkenntnisse von Bedeutung. Eine positive Prognose wird dabei umso eher möglich sein, je mehr der aufgeführten Verbindungen im Einzelfall bestehen (vgl. UNHCR, Stellungnahme zur Situation im Nordirak vom Januar 2001, abgedruckt in Asylmagazin 4/2001 S.21 ff.; Lageberichte des Auswärtigen Amts vom 25.10.1999 und vom 15.2.2001 und Auskunft vom 11.8.1998 an VG Koblenz; DOI vom 21.5.1999 an VG Sigmaringen und vom 6.8.1998 an VG Koblenz; in diesem Sinne auch die oben genannte Rechtsprechung).
Für einen irakischen Staatsangehörigen, der ursprünglich in keiner Verbindung zur kurdischen Gesellschaft im Nordirak stand, sind die genannten Gebiete als interne Fluchtalternative deshalb nur dann in Betracht zu ziehen, wenn er sich für eine beachtliche Zeit ohne Schutzprobleme im Norden niedergelassen hatte. Kann hiervon ausgegangen werden, so ist dies in der Regel ein Zeichen dafür, dass er in die lokale Gemeinschaft integriert ist (vgl. UNHCR a.a.O.).
Die vorstehend für eine inländische Fluchtalternative im Nordirak als notwendig angegebenen Voraussetzungen sind im Falle des Asylbewerbers nicht erfüllt. Eine Rückkehr bzw. ein Ausweichen dorthin ist deshalb für ihn nicht zumutbar. Die Eltern des Klägers stammen aus Bagdad und haben keine Verbindungen zum Nordirak. Im Hinblick hierauf droht dem Kläger aus Gründen der Sippenhaft die Gefahr politischer Verfolgung. Dabei ist von einer Rückkehr in den Irak ohne seine Eltern auszugehen (vgl. BVerwG v. 21.9.1999 InfAuslR 2000, 93). Für diesen Fall der isolierten Rückreise kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der irakische Staat des Klägers geiselähnlich bedienen wird, um die Rückkehr der ungenehmigt ausgereisten Eltern zu erzwingen (vgl. Lagebericht d. Auswärtigen Amtes v. 15.2.2001, S. 11).
Der Kläger kann seine Anerkennung als Asylberechtigter kraft eigenen Rechts beanspruchen. Im Verhältnis zu ihm stellen die illegale Ausreise seiner Eltern und die Asylantragstellung Umstände dar, die ohne sein Zutun eingetreten sind und in ihrer nachteiligen Bedeutung für ihn andauern. Obwohl sie bereits bei seiner Geburt bestanden hatten, sind sie geeignet, eine objektiven Nachfluchtgründen vergleichbare Gefährdung hervorzurufen. Es ist deshalb gerechtfertigt, die gleichen Folgerungen wie beim Bestehen von objektiven Nachfluchtgründen zu ziehen. Für Fälle, in denen aufgrund praktizierter Sippenhaft in die Verfolgung des Betroffenen einer seiner Angehörigen einbezogen wird, hat das Bundesverwaltungsgericht ausgesprochen, dieser Angehörige erlange die Anerkennung als Asylberechtigter aufgrund der ihm drohenden Verfolgungsgefahr, die nicht auf von ihm selbst geschaffenen Nachfluchtgründen beruhe (Urteil v. 9.4.1991, NVwZ 1992, 272/273). Im Hinblick auf den vorliegenden Fall sind keine Gesichtspunkte zu erkennen, die zu einer hiervon abweichenden Beurteilung führen könnten.