OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12.12.2002 - 1 L 239/01 - asyl.net: M3352
https://www.asyl.net/rsdb/M3352
Leitsatz:

Wer Aserbaidschan bereits vor 1991 verlassen hat, besitzt in der Regel nicht (mehr) die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit; 1991 bestand eine landesweite Gruppenverfolgung von armenischen Volkszugehörigen; zur Zeit ist in Berg-Karabach eine inländische Fluchtalternative eröffnet; keine beachtliche Verfolgungsgefahr von Personen aus armenisch-aserischer Ehe in Berg-Karabach, wenn sie Armenisch sprechen.

Schlagwörter: Aserbaidschan, Armenier, Ukraine (A), Gemischt-ethnische Abstammung, Staatsangehörigkeit, Vorverfolgung, Gruppenverfolgung, Herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Interne Fluchtalternative, Berg-Karabach, Verfolgungssicherheit, Mittelbare Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Existenzminimum, Versorgungslage, Hilfsorganisationen, Medizinische Versorgung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

 

Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG liegen hinsichtlich Aserbaidschan nicht vor.

Selbst wenn der Beigeladene aus Aserbaidschan stammt, spricht ganz Überwiegendes dafür, dass er nach der aserbaidschanischen Rechtspraxis, auf die es für die Beurteilung der Staatsangehörigkeit ankommt, nicht mehr als aserbaidschanischer Staatsangehöriger behandelt wird (vgl. Luchterhandt, Universität Hamburg, Seminarabteilung für Ostrechtsforschung, Auskunft vom 15.12.1997 an das Verwaltungsgericht Augsburg zu einer ähnlichen Fallkonstellation; das aserbaidschanische Ministerium für Zu- und Abwanderung geht davon aus, dass aserbaidschanische Flüchtlinge in der Regel nicht die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit haben, Rat der Europäischen Union, Brüssel 01. September 2000, Bericht der Dänischen Delegation an CIREA S. 13).

Diese Annahme legen auch die Vorschriften des Staatsangehörigkeitsrechts der Aserbaidschanischen Republik nahe. Danach spricht bereits vieles dafür, dass der Beigeladene die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit nie erworben hat, denn er hat Aserbaidschan bereits zu einem Zeitpunkt verlassen (September 1988), als es noch keine eigene aserbaidschanische Staatsangehörigkeit gab. Damals war der Beigeladene Staatsangehöriger der Sowjetunion. Ein Erwerb der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit käme allenfalls auf Grund des laut Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 07. Februar 1996 am 01. Januar 1991 in Kraft getretenen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 26. Juni 1990 in Betracht. Einen Erwerb der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 11 dieses Gesetzes hält der Senat trotz anderslautender Auskünfte (Luchterhandt, Auskunft vom 15.12.1997, s.o.; Seiffert, Auskunft vom 01.07.1996 an das VG Ansbach) nicht für plausibel. Überzeugend weist das Institut für Ostrecht (Auskunft vom 22.11.2000 an das Verwaltungsgericht Berlin) darauf hin, dass diese Vorschrift nur Personen betreffe, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes geboren wurden. Dies folge aus Ziffer 2 Einführungsgesetz zum aserbaidschanischen Staatsangehörigkeitsgesetz 1990, wonach eine rückwirkende Geltung des Gesetzes ausgeschlossen sei. Dafür spricht auch Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes, der als Grundsatzregelung für die erstmalige Begründung der Staatsangehörigkeit an die bisherige Republikszugehörigkeit anknüpft. Ein erstmaliger Erwerb der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit könnte deshalb nur gemäß Art. 4 aserbaidschanisches Staatsangehörigkeitsgesetz 1990, der gemäß Art. 5 des Staatsangehörigkeitsgesetzes 1998 fortwirken würde, stattgefunden haben. Danach sind Staatsangehörige der aserbaidschanischen SSR Personen, die sich am Tage des Inkrafttretens des Gesetzes im Besitz der "Staatsangehörigkeit" - mit dem Begriff der Staatsangehörigkeit kann nur die Republikszugehörigkeit gemeint sein, weil es damals keine aserbaidschanische Staatsangehörigkeit, sondern nur eine Staatsangehörigkeit der UDSSR gab - der aserbaidschanischen SSR befanden.

Selbst wenn der Beigeladene bei Inkrafttreten des Staatsangehörigkeitsgesetzes 1990 noch die aserbaidschanische Republikszugehörigkeit hatte und demgemäß die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit gemäß Art. 4 Abs. 1 dieses Gesetzes erworben hat, spricht alles dafür, dass er sie gemäß Art. 20 Nr.2 dieses Gesetzes wieder verloren hat. Danach tritt der Verlust der Staatsangehörigkeit der aserbaidschanischen SSR ein, sofern eine Person mit ständigem Aufenthaltsort im Ausland ihrer Meldepflicht gegenüber dem Konsulat ohne wichtigen Grund fünf Jahre lang nicht nachkommt. Diese Voraussetzungen sind ohne weiteres erfüllt. Es ist zwar nicht geklärt, ob die für den Verlust der Staatsangehörigkeit erforderliche Registrierung (Art. 20 letzter Satz) erfolgt ist. Selbst wenn es daran fehlt und der Beigeladene theoretisch noch die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit besitzt, so liegt es nahe, dass der Beigeladene diesen Status verliert, wenn er sich an eine diplomatische Vertretung "seines" Landes wendet. Einen Anspruch auf Feststellung der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit dürfte der Beigeladene nicht mehr haben (Luchterhandt, Auskunft vom 15.12.1997 s.o.).

Auch wenn der Beigeladene (noch) aserbaidschanischer Staatsangehöriger ist und das von ihm geschilderte Verfolgungsschicksal wahr ist - der Senat unterstellt dies bei den weiteren Ausführungen -, hat er keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Angesichts des vom Beigeladenen erlittenen Verfolgungsschicksals ist es ihm zwar nicht zuzumuten, in das Gebiet seiner Herkunft zurückzukehren, er hat aber die Möglichkeit, in Berg-Karabach Zuflucht zu nehmen.

Für die Entscheidung, ob dem Beigeladenen die Rückkehr nach Aserbaidschan zuzumuten ist, ist

im Grundsatz der herabgestufte Maßstab der hinreichenden Sicherheit maßgeblich.

Der Beigeladene gilt zwar nicht als vorverfolgt, weil er 1988 eine innerstaatliche Fluchtalternative hatte (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - u.a., BVerfGE 80, 315, 344 f; BVerwG, Urt. v. 09.09.1997 - 9 C 43/96 -, BVerwGE 105,204,212 zur Bedeutung der innerstaatlichen Fluchtalternative für den Verfolgungsmaßstab). 1988 gehörte Aserbaidschan noch zur UDSSR, auf

deren Staatsgebiet für die Beurteilung einer innerstaatlichen Fluchtalternative abzustellen war.

Es handelte sich dabei - bezogen auf das Staatsgebiet der UDSSR - um eine sog. "örtlich begrenzte" Gruppenverfolgung (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 09.09.1997, a.a.O. S. 207 ft), die sich mit der Auflösung der Sowjetunion zu einer landesweiten Verfolgung entwickelt hat, denn mit der Entstehung des eigenständigen Staates Aserbaidschan (Erklärung der Souveränität: 30.08.1991) ist asylrechtlich nur noch auf dessen Gebiet abzustellen. Damals waren armenische Staatsangehörige landesweit akut gefährdet. Berg-Karabach stellte wegen des dort herrschenden Krieges keine Fluchtalternative dar. Obwohl der Beigeladene in diesem Zeitraum nicht mehr in Aserbaidschan gelebt hat, ist wegen der damals vorhandenen landesweiten Gruppenverfolgung in Aserbaidschan die Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsrnaßstabes geboten (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.09.1997 a.a.O., S. 208, zur Anwendung des hergestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes für einen seit 1985 in Deutschland lebenden syrisch-orthodoxen Christen wegen einer seit 1993 stattfindenden regionalen Gruppenverfolgung).

Trotz der positiven Entwicklung hinsichtlich der Verfolgungssituation armenischer Volkszugehöriger kann in Aserbaidschan gegenwärtig noch nicht davon ausgegangen werden, dass der Beigeladene bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan (zur Fluchtalternative Berg-Karabach später) hinreichend sicher wäre (aA OVG Lüneburg, Beschl. v. 03.04.2002, a.a.O.). Bei der Beurteilung der gegenwärtigen Situation ist zu berücksichtigen, dass bei weitem die meisten Armenier auf Grund der Pogrome das Land verlassen haben und jetzt nur noch ca. 20.000 Armenier in Aserbaidschan (Berg-Karabach nicht berücksichtigt) leben. Bei diesen Menschen handelt es sich nach der oben zitierten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Juni 2002 durchweg um ältere Personen bzw. Ehepartner gemischter nationaler Ehen. Viele Mitglieder der noch verbliebenen armenischen Minderheit treten nicht unter ihrer richtigen Identität auf, um nicht als armenische Volkszugehörige erkannt zu werden. Bei dieser Sachlage lässt sich gegenwärtig noch nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass neu hinzuziehende Armenier, die - wie der Beigeladene - der aserischen Sprache nicht mächtig sind und denen auch nicht zugemutet werden kann, ihre Volkszugehörigkeit zu verleugnen, nicht erneut Gefahr laufen, von der aserischen Bevölkerung mit Gewalt vertrieben zu werden, zumal die Ursachen für den Konflikt der Volksgruppen weiterhin ungelöst sind.

Der Beigeladene ist aber nicht darauf angewiesen, in der Bundesrepublik Deutschland Zuflucht zu nehmen, weil er in seinem Heimatstaat eine zumutbare Fluchtalternative (Berg-Karabach) hat.

Durch die karabachischen Behörden drohen dem Beigeladenen keine Verfolgungsmaßnahmen.

Die These des Verwaltungsgerichts, dass alle männlichen in Berg-Karabach ansässigen armenischen Volkszugehörigen der Gefahr unterlägen, als "Freiwillige" zu militärischen Kriegseinsätzen herangezogen zu werden, überzeugt nicht. Aus dem Lagebericht Armenien des Auswärtigen Amtes vom 29. März 2000, auf den das Verwaltungsgericht sich stützt, ergibt sich dies nicht. Dort heißt es lediglich, dass dem UNHCR-Büro in Jerewan auch einige dokumentierte Einzelfälle vorlägen, in denen auch Flüchtlinge armenischer Abstammung aus Aserbaidschan gegen ihren Willen in Nargorni- Karabach eingesetzt worden seien. Der UNHCR habe mittlerweile die Rückführung dieser Flüchtlinge veranlassen und die armenischen Behörden darauf hinweisen können, dass Flüchtlinge nicht dem Militärgesetz unterlägen.

Auch eine mittelbare Verfolgung des Beigeladenen durch die karabachische Bevölkerung kommt nicht in Betracht, denn in Berg-Karabach leben fast ausschließlich armenische Volkszugehörige. Wegen seiner halbaserischen Herkunft hat der Beigeladene keine Verfolgungsfurcht geäußert. Im Übrigen verneint der Senat auch bei Personen, die einer armenisch/aserischen Ehe entstammen und deren Name auf eine aserische Herkunft hindeutet, jedenfalls dann eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr durch die armenische Bevölkerung in Berg-Karabach, wenn sie - wie der Beigeladene - die armenische Sprache beherrschen (vgl. Urt. v. 12.12.2002 - 1 L 103/02 -). Der Beigeladene kann das Gebiet von Berg-Karabach auch erreichen und sich dort auf Dauer aufhalten, obwohl er nicht in Berg-Karabach aufgewachsen ist und dort auch keine Verwandten hat (aA VG Oldenburg, Urt. 02.09.2002 - 1 A 3691/99 -). Die Einreise nach Berg-Karabach ist über Armenien möglich. In einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17. August 2000 zu einer Anfrage des Verwaltungsgerichts Augsburg, ob eine aus Berg-Karabach stammende Person dorthin zurückkehren könne, heißt es zwar, dass eine Prüfung stattfinde, ob die Person tatsächlich aus Berg-Karabach stamme. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass anderen armenischen Volkszugehörigen die Einreise und der Aufenthalt verwehrt werde. Sämtliche neueren Auskünfte und Gutachten sehen derartige Einschränkungen auch nicht vor.

Die Zuflucht nach Berg-Karabach scheidet auch nicht etwa wegen einer Gefährdung des wirtschaftlichen Existenzminimums aus. Nach Überzeugung des Senats ist der Beigeladene in Berg-Karabach vor einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung hinreichend sicher.

Das Auswärtige Amt, das sich früher zu den Existenzmöglichkeiten für Flüchtlinge aus Aserbaidschan in Berg-Karabach sehr zurückhaltend geäußert hatte (Lagebericht Aserbaidschan v. 13.04.1999: "Sehr bescheidenes Leben in Flüchtlingsunterkünften"), stellt die Situation auf eine Anfrage des Verwaltungsgerichts Schleswig, die sich auf einen aserbaidschanischen Asylbewerber armenischer Volkszugehörigkeit nicht-karabachischer Herkunft bezog, jetzt (Auskunft vom 23.05.2002) wie folgt dar: Die Lebens- und Versorgungssituation habe sich in Berg-Karabach wesentlich gebessert und der in Armenien angeglichen. Es seien eine Vielzahl von humanitären Organisationen unterschiedlicher Geberländer, aber vor allem gesponsert von der armenischen Diaspora in den USA, in Berg-Karabach tätig und trügen zur Verbesserung der Lebens- und Versorgungssituation bei. Dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Geberländer oder humanitäre Hilfsorganisationen von den Hilfslieferungen bestimmte Personen ausschlössen. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes sei man in Berg-Karabach an einer Besiedlung interessiert und habe diesbezüglich mehrmals offizielle Stellungnahmen und Aufrufe abgegeben. Genügend Wohnraum und Land seien vorhanden. Es siedelten sich inzwischen Einzelpersonen und Familien, nicht nur armenischer Volkszugehörigkeit aus den verschiedensten GUS-Staaten in Berg-Karabach an. Sie würden mit staatlichen Mitteln und Programmen gefördert. Auch werde Übersiedlern staatliche Unterstützung in der Zuweisung von Wohnraum, Grundstücken, Steuerbefreiungen etc. und humanitären Hilfsgütern gewährt. Für diesen Personenkreis würden auch einmalige finanzielle Mittel für Familien zur Verfügung gestellt. Auch die Auslagen für den Transport von der Republik Armenien bis zum zukünftigen Wohnort in Berg-Karabach würden erstattet. Hinsichtlich der Integrationsmöglichkeiten von Personen, die aus Berg-Karabach stammten und in Deutschland Asyl beantragt hätten, werde darauf hingewiesen, dass es bekannt sei, dass im allgemeinen aus Deutschland Zurückkehrende nicht als mittellos gälten. Sie hätten in der Regel während ihres langjährigen Aufenthalts nicht unerhebliche Geldsummen erspart und seien bei Rückkehr im Vergleich zur ortsansässigen Bevölkerung im Herkunftsland bessergestellt.

Einschränkungen hinsichtlich der Existenzmöglichkeiten ergeben sich aus dieser Auskunft nicht ansatzweise. Andere Auskunftsquellen beurteilen die Situation für aus Deutschland zurückkehrende Asylbewerber nicht so optimistisch. Insbesondere für solche Rückkehrer, die - wie der Beigeladene - nicht aus Berg-Karabach stammen, werden die Existenzmöglichkeiten deshalb als schwierig beurteilt, weil sie keinen Anspruch auf Hilfsmaßnahmen hätten (Dr. Savvidis, Auskunft vom 07.05.2002 s.o.; Koutcharian, Auskunft vom 05.07.2002 s.o.), bzw. diese nicht immer realisieren könnten (Deutsch-Armenische Gesellschaft, Auskunft vom 03.08.2002 s.o.). Die Auskünfte hierzu sind insgesamt nicht eindeutig. Die Frage, ob und gegebenenfalls welche staatlichen Hilfen nicht-karabachische Neuankömmlinge zu erwarten haben, bedarf letztlich aber keiner Aufklärung, denn die in den Auskünften erwähnten finanziellen Hilfen sind derart niedrig (vgl. Auskunft der Deutsch-Armenischen Gesellschaft vom 03.08.2002, alle Angaben umgerechnet in US-Dollar: ca. 45,50 US-Dollar für Familienoberhaupt, ca. 4,50 US-Dollar für jedes weitere Familienmitglied; Kredit von ca. 364 US-Dollar über 20 Jahre rückzahlbar), dass sie für die Sicherung der Existenz im Ergebnis nicht entscheidend sein können. Wie bereits dargelegt, gelten Rückkehrer aus Deutschland nicht als mittellos. Dies erscheint angesichts der von den Auskünften für bedeutsam gehaltenen o.g. geringen Höhe der Aufbaubeihilfen, der niedrigen Monatseinkommen (ca. 50 US-Dollar) und der niedrigen Sozialleistungen (Koutcharian, Auskunft vom 05.07.2002 s.o.) ohne weiteres plausibel. Auch die hier lebenden Asylbewerber kennen die Diskrepanz zwischen diesen für westeuropäische Verhältnisse außerordentlich niedrigen Einkommen in Berg-Karabach, die in Armenien und im übrigen Aserbaidschan vergleichbar niedrig sind (vgl. Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Aserbaidschan vom 29.01.2002 und in Armenien vom 16. Januar 2002), und den im Verhältnis dazu außerordentlich hohen Löhnen und Sozialhilfeleistungen in Deutschland, so dass es nahe liegt, dass selbst aus Sozialhilfeleistungen, wie sie der Beigeladene bezieht, Rücklagen in Größenordnungen gebildet werden können und auch gebildet werden, die für westeuropäische Verhältnisse niedrig erscheinen mögen, denen in Berg-Karabach jedoch eine hohe Bedeutung zukommt. Auch durch Veräußerung des Hausrates bei Beendigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland ergeben sich Mittel, mit denen die Existenzgründung in Berg-Karabach erleichtert werden kann (zur Bedeutung von vorhandenen finanziellen Mitteln für die Existenzgründung: Auswärtiges Amt, Auskunft vom 23.05.2002; Savvidis, Gutachten vom 07.05.2002).

Angesichts der verhältnismäßig niedrigen Arbeitslosenquote (6,5%), die u.a. auch darauf beruht, dass ein großer Teil der männlichen Bevölkerung weiterhin zum Militärdienst verpflichtet ist (zur Arbeitslosenquote und den Ursachen: Deutsch-Armenische Gesellschaft, Gutachten vom 03.08.2002 s.o.), und der insgesamt positiven Zukunftsprognose hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung spricht ganz Überwiegendes dafür, dass arbeitsfähige Neuankömmlinge in der Lage sein werden, in der karabachischen Arbeitswelt Fuß zu fassen.

Selbst wenn - entgegen der Auffassung des Senats - für den Beigeladenen das wirtschaftliche Existenzminimum in Berg-Karabach nicht gewährleistet wäre, so würde dies nicht die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG rechtfertigen, denn das fehlende wirtschaftliche Existenzminimum wäre nicht verfolgungsbedingt. Art. 16 GG und § 51 Abs. 1 AuslG schützen nicht vor der Rückführung in ein verfolgungssicheres Gebiet, wenn die dort herrschende Notlage keine andere ist als die am Herkunftsort.

Entscheidend ist deshalb, ob die wirtschaftliche Lage bei einer Rückkehr nach Nachitschewan oder auch in andere Teile Aserbaidschans maßgeblich besser wäre. Dies ist nicht der Fall, wie sich aus einem Vergleich der Lebens- und Versorgungssituation im übrigen Aserbaidschan mit derjenigen in Berg- Karabach ergibt.

Die Situation in Berg-Karabach leitet der Senat ergänzend auch aus Auskünften zu Armenien ab, weil sich die Situation in Berg-Karabach derjenigen in Armenien angeglichen hat (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 23.05.2002 s.o.).

Bei zusammenfassender Würdigung dieser Erkenntnisse ergibt sich, dass die Existenzbedingungen in Berg-Karabach nicht schlechter, sondern eher besser sind als im übrigen Aserbaidschan (Arbeitslosigkeit, Lebensmittelversorgung, Hunger, Gesundheit). Ursächlich hierfür dürfte u.a. die wirksame Hilfe der zahlungskräftigen armenischen Diaspora sein, die neben humanitärer Hilfe auch Infrastrukturmaßnahmen (z.B. Straßenbau, Wasserversorgung in Stepanakert und viele kleinere Projekte in den Dörfern Berg-Karabachs) finanziert und auch direkt in die karabachische Wirtschaft investiert (vgl. dazu Deutsch-Armenische Gesellschaft, Gutachten vom 03.0S.2002 s.o.; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 23.05.2002 s.o.). Vergleichbar wirksame Hilfeleistungen erhält das übrige Aserbaidschan, das zwar - ebenso wie Berg-Karabach - auch von Hilfsorganisationen humanitäre Hilfe erhält (Bundesamt, Aserbaidschan-Informationen, Stand: Juli 2000), nicht.