VG Leipzig

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Zitieren als:
VG Leipzig, Urteil vom 09.09.2002 - A 3 K 30084/01 - asyl.net: M3413
https://www.asyl.net/rsdb/M3413
Leitsatz:

Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, da nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass der Beigeladene aufgrund seiner Homosexualität im Falle einer Rückkehr in den Iran Verfolgungsmaßnahmen drohen.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Iran, Homosexuelle, Strafverfolgung, hadd-Strafen, Todesstrafe, Körperstrafen, Glaubwürdigkeit
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; IranStGB Art. 108 ff.
Auszüge:

Der Beigeladene hat einen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.

Der Beigeladene hat zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft dargelegt, dass er den Iran wegen unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung verlassen hat, sodass der sogenannte herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab Anwendung findet. Es kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beigeladenen im Falle einer Rückkehr in den Iran Verfolgungsmaßnahmen drohen.

Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass ein homosexuell veranlagter Mann im Iran, der sexuelle Beziehung zu anderen Männern aufnimmt, jedenfalls nach geltenden Strafvorschriften mit einer Bestrafung bis zur Todesstrafe zu rechnen hat (Art.108 ff iran. StGB). Entscheidungserheblich ist allerdings, ob dem Beigeladenen tatsächlich objektiv, trotz - der genannten Strafandrohung - bei einer Rückkehr eine solche Verfolgung im Iran drohen würde. Dies ist der Fall. Hier gibt es Anhaltspunkte dafür, dass der iranische Staat die sog. hadd-Strafe exzessiv anwenden würde.

Ausweislich des differenzierten Berichts der Europäischen Union vom 20.7.1998, dem das Gericht folgt, gibt es in der Praxis keine wirkliche Politik der Verfolgung. So wird in diesem Bericht ausgeführt: "In Teheran werden mehrere bekannte Treffpunkte, an denen Homosexuelle zusammenkommen, stillschweigend geduldet. In verschiedenen Teheraner Parks werden in aller Öffentlichkeit Kontakte zwischen Homosexuellen geknüpft. Die Behörden sind sich dieser Tatsache bewusst, es werden jedoch nur in den seltensten Fällen Maßnahmen ergriffen. Aus der jüngeren Vergangenheit liegen keinerlei Erkenntnisse im Hinblick auf Strafverfahren, die ausschließlich auf homosexuelles Verhalten begründet sind, einschließlich Gerichtsurteilen, die auf eigenen Wahrnehmungen des Richters basieren, vor. In Fällen, in denen bei dem Richter Beschwerden eingereicht worden sind (...), wird den Parteien dringend empfohlen, zu einer Verständigung zu kommen. In diesem Zusammenhang weist dann der Richter in der Regel auf die schwierige Beweislast (vier Zeugen) und die möglichen Konsequenzen (achtzig Peitschenhiebe) hin, falls die Anschuldigung nicht glaubhaft nachgewiesen werden kann. Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen hat vor kurzem ebenfalls darauf hingewiesen, dass es keinerlei Erkenntnisse im Hinblick auf Fälle hat, in denen aufgrund von homosexuellen Beziehungen die Todesstrafe verhängt worden ist."

Auch das Auswärtige Amt kommt in seinem aktuellen Lagebericht zu dem Ergebnis, dass entsprechende Urteile selten sind (Lagebericht vom 18.4.2001) und führt dies auf die vorgeschriebenen Beweisverfahren, deren detaillierte Erfordernisse nur in den seltensten Fällen erfüllbar sind, zurück (so auch AA, Auskunft vom 16.6.1999 an VG München).

Das Deutsche Orientinstitut kommt in seiner Stellungnahme vom .22.12.2000 zu dem Ergebnis, dass es eine "gewisse Entspannung" gegeben zu haben scheint, und führt weiter aus, Homosexualität sei im Iran weit verbreitet. Amnesty International führt gleichfalls aus, dass die Beweisanforderungen sehr hoch seien und es daher nur selten zu Verurteilungen kommen dürfte (Stellungnahme vom 5.7.2000 an VG München). Berichte über Hinrichtungen gebe es nur wenig. Dem letzten bekannt gewordenen Fall von 1997 liegen weitere Delikte zugrunde (Rauschgifthandel und Ehebruch, vgl. Bericht der Europäischen Union vom 20.7.1998).

Wie bereits ausgeführt, wird die Homosexualilität zwischen Männern im Iran als solche strafrechtlich nicht verfolgt, jedoch die Durchführung homosexueller Handlungen (vgl. auch AA, Lagebericht v. 10.12.2001). Auch wenn das Beweisverfahren bei der hadd-Strafe schwierig ist, ist vorliegend nicht auszuschließen, dass aufgrund des vom Beigeladenen genannten Videofilms dem

Beigeladenen die Durchführung homosexueller Handlungen nachgewiesen wird. Hier kommt hinzu, dass der Beigeladene den iranischen Behörden bereits als Homosexueller bekannt ist und auch eine Geschlechtsumwandlung angeboten wurde. Die damalige Verweigerung zur Geschlechtsumwandlung und der Nachweis der Durchführung homosexueller Handlungen führt hier zu einer politischen Verfolgung des Beigeladenen.