VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 17.01.2003 - 3 UZ 484/01.A - asyl.net: M3424
https://www.asyl.net/rsdb/M3424
Leitsatz:

Um sich Gehör zu verschaffen, muss der Kläger ihm erkennbare Fehler bei der Ablehnung von Beweisanträgen durch das Gericht in der nächsten mündlichen Verhandlung rügen und auf eine erneute Beschlussfassung über die Beweisanträge hinwirken, wenn die Zeitspanne zwischen den beiden Verhandlungen genügend Zeit zur Vorbereitung der Rügen lässt.(Amtlicher Leitsatz)

 

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Berufungszulassungsantrag, Rechtliches Gehör, Beweisantrag, Hilfsbeweisantrag, Ablehnung, Nächste mündliche Verhandlung, Divergenzrüge, Darlegungserfordernis
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 S. 3; VwGO § 138 Nr. 3; ZPO § 295
Auszüge:

Der Kläger bleibt ohne Erfolg, soweit er sich auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. §138 Nr. 3 VwGO beruft und vorträgt, sein in der ersten mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2000 gestellter Beweisantrag Nr. 2 sei zu Unrecht abgelehnt worden.

Er hatte beantragt, Beweis zu erheben über seine Behauptungen, Angehörige der Hindu-Religion seien nach wie vor schutzlos der Verfolgung durch Dritte und durch staatliche Sicherheitskräfte ausgeliefert.

Zur Begründung der Verletzung des rechtlichen Gehörs macht der Kläger geltend, dem Gericht habe kein Ermessen zugestanden, um die Einholung sachverständiger Stellungnahmen im Beweiswege abzulehnen, da bisher noch keinerlei gutachterliche Stellungnahmen dazu vorlägen. Soweit sich in den Erkenntnisquellen Stellungnahmen befänden, enthielten diese nicht Aussagen oder Angaben dazu, der genannte Personenkreis sei vor einer erneuten mittelbaren Verfolgung sicher. Die Beweiserhebung hätte sich auch aufgedrängt.

Mit diesen Ausführungen ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht dargetan. Eine solche liegt vor, wenn das Gericht Beweisanträge mit Gründen ablehnt, die im Prozessrecht keine Stütze mehr finden. Auf einen Gehörsverstoß kann sich der Betroffene jedoch nur berufen, wenn er zuvor alle prozessualen und faktischen Möglichkeiten wahrgenommen hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl. BVerwG, B. v. 8.12.1988, NJW 1989 S. 1233, OVG Münster, Beschluss vom 20.04.1995, NVwZ Beilage 1995 S. 59; OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.01.1998, AuAS 1998 S. 141, Hamburgisches OVG, Beschluss vom 23.09.1998 - BS 129/96 -, zitiert nach JURIS; Hess. VGH, Beschluss vom I 07.02.2001 - 6 UZ 695/99.A -).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger es unterlassen, sich selbst Gehör zu verschaffen.

Das Verwaltungsgericht hatte die in der Sitzung vom 15. Juni 2000 vom Kläger gestellten Beweisanträge durch einen begründeten Beschluss abgelehnt. Bei dieser Sachlage hätte der Kläger in der nächsten mündlichen Verhandlung am 15. Januar 2001 das Verwaltungsgericht auf die seiner Ansicht nach gehörsverletzende Ablehnung der Beweisanträge hinweisen müssen, um eine erneute Beschlussfassung unter Berücksichtigung der von ihm nunmehr im Zulassungsverfahren im Einzelnen dargelegten Gesichtspunkte zu erreichen. Der Rechtsgedanke, wonach der Kläger in einer zweiten mündlichen Verhandlung Gehörsrügen, die ihm in diesem Zeitpunkt bereits erkennbar sein müssen, auch vorbringen muss, findet sich auch in § 173 VwGO i.V.m. § 295 ZPO wieder. Nach § 295 Abs. 1 ZPO kann die Verletzung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei bei der nächsten mündlichen Verhandlung in dem betreffenden Verfahren den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen ist und ihr der Mangel bekannt war oder hätte bekannt sein müssen. Die Rügeanforderungen sind zwar unterschiedlich je nachdem, ob der Beteiligte sich eines Anwalts bedient hat oder nicht. Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger sich jedoch eines Anwalts bedient, sodass Kenntnis der Rechtsprechung zur Verletzung des rechtlichen Gehörs vorausgesetzt werden muss. Der Rechtsgedanke des § 295 ZPO findet im Verwaltungsprozess Anwendung (vgl. BVerwG, U. v. 12. Februar 1959 - III C 133.57 -, BVerwGE 5, 149f.; BVerwG, B. v. 30.09.1988 - 9 CB 47/88 -, NJW 89,678; Kohlndorfer, Die Anwendung von § 295 ZPO in verwaltungsgerichtlichen Verfahren, DVBI. 1988,474 jeweils m.w.N.). Auch dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren das Seine dazu tun muss, eine Verwendung der auf einem Fehler beruhenden Entscheidungsgrundlage zu verhindern (BVerwG, U. v. 12.02.1959, a.a.O.). Zwar wird dem Kläger bzw. seinem Bevollmächtigten nicht zuzumuten sein, in der mündlichen Verhandlung selbst, in der er einen Beweisantrag stellt, die Begründung des Gerichts für die Ablehnung des Beweisantrags daraufhin zu überprüfen, wie weit sie mit dem Prozessrecht übereinstimmt. Sofern jedoch zwischen erster und folgender mündlicher Verhandlung eine solche Zeitspanne wie im vorliegenden Verfahren eingeräumt ist, ist dem Bevollmächtigten des Klägers eine Überprüfung der den Beweisantrag ablehnenden Entscheidung des Gerichts durchaus zuzumuten.

Soweit der Kläger weiterhin rügt, das Gericht habe den Beweisantrag Nr. 2, soweit mit ihm die tatsächliche Schutzunfähigkeit der Sicherheitskräfte gegenüber Personen, die als Funktionäre in der Hindugemeinde tätig gewesen seien, nicht wahrgenommen, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vor. Auch insofern hat es der Kläger unterlassen, sich selbst Gehör zu verschaffen. Denn wenn er Anlass hatte, davon auszugehen, das Gericht habe seinen Beweisantrag nicht vollständig wahrgenommen, indem es auf die Schutzbereitschaft und nicht auf die tatsächliche Schutzfähigkeit abgestellt habe, hätte der Kläger dieses Missverständnis spätestens in der zweiten mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2001 aufklären können und müssen. Bei offensichtlichen Missverständnissen ist der Kläger, um der Anforderung des Sich-Gehör-Verschaffens Genüge zu tun, gehalten, das Gericht darauf bereits im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung hinweisen (vgl. OVG Hamburg, B. v. 23.09.1998 - Bs 1 29/96 - zitiert nach JURIS).

Soweit der Kläger die Abweisung der Hilfsbeweisanträge im angefochtenen Urteil rügt, ist damit ebenfalls keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dargetan. Denn wenn ein Verfahrensbeteiligter in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag nur hilfsweise stellt, kann er sich auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht mehr berufen (Hess. VGH, B. v. 07.02.2001 - 6 UZ 695/99.A -).