VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.06.2002 - 11 S 800/02 - asyl.net: M3447
https://www.asyl.net/rsdb/M3447
Leitsatz:

Die Integrationsanforderung einer zweijährigen Ehebestandszeit nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG ist grundsätzlich dann nicht erfüllt, wenn sich die Ehegatten vor Ablauf der Zweijahresfrist trennen und diese Trennung nach dem ernsthaften, nach außen verlautbarten Willen beider oder auch nur eines der Ehepartner - insbesondere des aufenthaltsrechtlich begünstigten Ehegatten - als dauerhaft betrachtet wird. In diesem Fall wird die Zweijahresfrist bei einer späteren, auf geändertem Willensentschluss beruhenden Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft neu in Lauf gesetzt (Ergänzung zum Urteil des Senats vom 21.11.2001 -11 S 1822/01 -).(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Ausländer, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Deutschverheiratung, Ehebestandszeit, Zwei-Jahres-Frist, Eigenständiges Aufenthaltsrecht, Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft, Besonderer Härtefall, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AuslG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AuslG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Auszüge:

 

Der Senat folgt dem Antragsgegner darin, dass ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG ausscheidet, weil die eheliche Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit seiner deutschen Ehefrau xxxx xxxxxxxx nicht seit mindestens zwei Jahren bestanden hat.

Für die Bemessung der Ehebestandszeit nach § 19 Abs. 1 maßgeblich ist nicht die formalrechtliche Dauer der Ehe, sondern nur die Zeit der tatsächlichen Verbundenheit der Ehegatten, die regelmäßig in der Pflege einer häuslichen Gemeinschaft zum Ausdruck kommt und bei getrennten Wohnungen einer besonderen Darlegung der Bestrebungen der Ehegatten bedarf, sie gleichwohl durch intensive Kontakte und äußerlich erkennbar und nachprüfbar aufrecht zu erhalten (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.3.1998 - 13 S 2792/96 -, Justiz 1998, 540, <JURIS>). Mit der Forderung einer bestimmten Mindestbestandsdauer der "gelebten" Ehe von - nur noch - zwei Jahren in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG soll der sich hieraus ergebenden Verfestigung der Lebensverhältnisse des nachgezogenen Ausländers in Deutschland Rechnung getragen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.9.1998 - 1 B 92.98 -, <JURIS>. Unproblematisch sind die Fälle, in denen - wie regelmäßig - die eheliche Lebensgemeinschaft während des geforderten Zeitraums fortlaufend besteht. Bei längeren Unterbrechungen wird umgekehrt - zunehmend mit deren Dauer - die Annahme nahe liegen, dass die mit § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG bezweckte und erforderliche Integrationsstufe nicht erreicht worden ist. In einem solchen Fall dürfen nach Sinn und Zweck des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG verschiedene Zeitabschnitte ehelichen Zusammenlebens nicht zusammengerechnet werden. Allerdings führt nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 21.11.2001 - 11 S 1822/01 -, <Juris>) nicht jede Unterbrechung einer ehelichen Lebensgemeinschaft ohne weiteres dazu, dass das zeitliche Erfordernis des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG in vollem Umfang neu erfüllt werden muss (strenger OVG Münster, Beschluss vom 29.11.2000 - 18 B 1627/00 -, AuAS 2001, 67; wie hier Bay.VGH, Beschluss vom 9.2.2001 - 10 CS 00.1916 -, InfAuslR 2001, 279; Beschluss vom 29.2.2000 - 10 CS 99.3494 -, InfAuslR 2000, 402). Andererseits können Unterbrechungen aber nicht schon deshalb außer Betracht bleiben, weil die Ehegatten die eheliche Lebensgemeinschaft später wieder aufnehmen. Zweifelsfälle sind unter Berücksichtigung des oben genannten Zwecks des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG (Erreichen einer Mindestintegrationsstufe unter dem Gesichtspunkt familiärer Verbundenheit) zu lösen. Dieser Zweck kann nicht erreicht werden, wenn die Eheleute tatsächlich auf Dauer getrennt leben (BVerwG a.a.O.). Ob die Trennung "auf Dauer" erfolgt oder nur vorübergehender Natur ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln (Senatsurteil vom 21.11.2001 a.a.O.; ebenso Bay. VGH, Beschluss vom 9.2.2001 a.a.O.). Dabei kommt neben den nach Lage der Dinge gewichtigen objektiven Umständen (Dauer der Trennung, Verhalten der Beteiligten) auch dem verlautbarten Willen der Ehegatten maßgebliche Bedeutung zu. Das Bundesverwaltungsgericht hat es offen gelassen, ob von einem Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft dann auszugehen ist,

wenn eine räumliche Trennung der Ehegatten vom beiderseitigen Willen getragen wird, die Trennung alsbald wieder aufzuheben (vgl. Beschluss vom 30.9.1998 - 1 B 92.98 -, InfAusJR 1999, 72 - Hervorhebung durch den Senat -). Fehlt es aber bereits an einem derartigen übereinstimmenden Wiederaufnahmewillen, geben beide oder auch nur einer der Ehegatten - insbesondere der durch § 19 Abs. 1 AuslG begünstigte ausländische Ehepartner - vielmehr ernsthaft und eindeutig zu erkennen, dass die eheliche Lebensgemeinschaft als dauerhaft beendet betrachtet wird, ist die Trennung integrationsschädlich. Sie beendet die begonnene Integrationsphase endgültig mit der Folge, dass bei späterer Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft aufgrund geänderten Willensentschlusses die Frist des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG neu in Lauf gesetzt wird (vgl. auch Bay VGH, Beschluss vom 9.2.2001 a.a.O.).

Gemessen an diesen Grundsätzen erfüllt der Antragsteller die Integrationsanforderungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Die räumliche Trennung der Ehegatten hielt mindestens 6 Monate an; eine eheliche Lebensgemeinschaft mit den erforderlichen intensiven und äußerlich feststellbaren Kontakten zwischen den Ehegatten selbst (und nicht lediglich über Verwandte) fand nicht statt. Erst im (...) änderten sich die Verhältnisse. Der Antragsteller meldete sich in die Wohnung um, wo seine Ehefrau seit (...) lebte, und zog dort am (...) ein (vgl. Vermieterbescheinigung v. 28.9.1999). Der Senat unterstellt zugunsten des Antragstellers, dass er in der Folgezeit tatsächlich mit seiner Ehefrau in ehelicher Lebensgemeinschaft zusammenlebte, obwohl dies nicht zweifelsfrei erscheint.

Einer abschließenden Klärung dieser Zweifel bedarf es insofern aber nicht. Denn die eheliche Lebensgemeinschaft hat auch in der zweiten Phase im für den Antragsteller günstigsten Fall jedenfalls deutlich weniger als zwei Jahre gedauert. Seither ist sie unstreitig beendet, da der Antragsteller seit (...) mit Frau xxx in der Wohnung xxx in xxx zusammenlebt und beide nach übereinstimmenden Angaben heiraten wollen, sobald das beim Amtsgericht (...) anhängige Scheidungsverfahren abgeschlossen ist.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers können die erste und die zweite Phase des Zusammenlebens der Ehegatten nicht zu einer Gesamtehebestandszeit addiert werden. Denn nach dem Auszug des Antragstellers im (...) wurde die damalige eheliche Lebensgemeinschaft nicht lediglich vorübergehend unterbrochen, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit beendet. Ein Indiz hierfür ist bereits in den damaligen objektiven Umständen zu sehen, die gekennzeichnet waren durch einen erheblichen Zeitraum der räumlichen Trennung sowie durch die Tatsache, dass der Antragsteller damals ersichtlich bereits mit einer anderen Frau "zusammen" war (vgl. Erklärung der Ehefrau vom 21.7.1999). Allerdings haben nach dem Vortrag des Antragstellers während der Trennungszeit Kontakte seiner Ehefrau insbesondere mit seinen Verwandten stattgefunden. Ob dieser Sachverhalt zutrifft und wie er zu bewerten ist, kann aber auf sich beruhen. Entscheidend ist, dass der Antragsteller - also der nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG begünstigte Ehegatte - den Willen verlautbarte, dass er die Trennung nicht nur als vorläufig ansah. Dies ergibt sich zum einen aus der unterschriftlich bestätigten Erklärung vom (...) über ein dauerndes Getrenntleben im steuerlichen Sinn. Hinzu kommt, dass der Antragsteller seinen dauerhaften Trennungswillen wenig später am (...) gegenüber der Ausländerbehörde nochmals untermauert hat. Ausweislich eines nicht bestrittenen Aktenvermerks erklärte er, dass er von seiner Frau getrennt sei. Gleichzeitig fragte er an, ob er wieder heiraten könne, da er mit einer deutschen Staatsangehörigen befreundet sei. Angesichts dieser eindeutigen Willensbekundungen des Antragstellers ist von einem dauernden Getrenntleben der Ehegatten ab (...) auszugehen. Die spätere Wiederaufnahme des Zusammenlebens im (...) beruhte ersichtlich auf einem neuen Willensentschluss.

Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg auf den Tatbestand des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG berufen. Zwar hat die eheliche Lebensgemeinschaft geraume Zeit rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden. Jedoch ist es nicht zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich, dem Antragsteller den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen.

Der Beispielsfall des § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG liegt offensichtlich nicht vor, da weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass dem Antragsteller gerade wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung erhebliche Beeinträchtigungen seiner schutzwürdigen Belange drohen oder dass ihm wegen Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange ein Festhalten an der Ehe (in der ersten oder zweiten Phase) nicht zuzumuten war (zu den maßgeblichen ehe- oder kindesspezifischen Schutzzwecken und Fallgruppen des § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG vgl. BT-Drs. 14/2368). Auch ein gemeinsames Kind ist nicht vorhanden.

Auch sonst löst die Rückkehr des Antragstellers in sein Heimatland keine "besondere" Härte, d.h. Nachteile aus, die ihn wegen der Rückkehrverpflichtung ungleich schwerer als andere ausreisepflichtige Landsleute aus dem Kosovo treffen (zu diesen Anforderungen vgl. BT-Drs 124/2368). Besondere Nachteile dieser Art ergeben sich nicht allein daraus, dass der Antragsteller sich seit (...) Jahren im Bundesgebiet aufhält und seine Eltern und sein Bruder hier leben. Hierdurch ist er seinem Herkunftsland nicht ungewöhnlich entfremdet und wird auch keine ungewöhnlichen Wiedereingliederungsschwierigkeiten haben. Der Antragsteller hat schließlich auch keine besonderen wirtschaftlichen oder beruflichen Integrationsleistungen in Deutschland erbracht. Sonstige Nachteile im Herkunftsland, die nicht wegen der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern wegen der dortigen allgemeinen und wirtschaftlichen Verhältnisse drohen, können nicht zur Berücksichtigung als besonderer Härtefall nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG führen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 2.4.1996 - 13 S 716/96 - <JURIS>).